Wien wächst auch nach oben: Gebäude aus der Zeit 1950 bis 1970 sind ideal für einen standardisierten Dachgeschoßausbau.

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2,1 Millionen Einwohner wird Wien im Jahr 2050 haben, sagen Prognosen. Wo sie alle wohnen sollen, ist bislang nicht klar. Neubauprojekte reichen in jedem Fall nicht aus. Nachverdichtung sei der Schlüssel, glauben die Verantwortlichen des Projekts "Attic Adapt 2050". Sie haben ausgerechnet, dass rund 34.300 Wohnungen auf den Dächern der Gemeindebauten der Stadt Wien aus den Jahren 1950 bis 1970 errichtet werden könnten.

Warum gerade diese Gebäude? Geringe Dichte und eine Bauweise mit ausreichend Freiraum zwischen den Zeilen sind Argumente, die für die Nachverdichtung sprechen. Hinzu kommen die standardisierten Layouts. "Um kostengünstig zu bauen, wurde der Wohnbau in der Nachkriegszeit stark standardisiert", weiß Martin Treberspurg von der Arbeitsgruppe Ressourcenorientiertes Bauen am Institut für konstruktiven Ingenieurbau der Wiener Boku. Dadurch habe man in sämtlichen Gebäuden die gleichen Bauteile, Spannweiten und gleichartigen Grundrisse verwenden können. "So war es möglich, in kürzester Zeit viele Wohnungen zu bauen."

Weil die Nachkriegsbauten sich also in ihrer Bauweise stark ähneln, wurde im Zuge des Projekts ein Modulsystem entwickelt, das mit geringen Änderungen auf einem Großteil der Gebäude aus dieser Zeit eingesetzt werden kann. Treberspurg: "Natürlich muss der Aufbau für jedes Haus eigens adaptiert werden. Im Prinzip bleibt das Konzept aber gleich."

Hoher Vorfertigungsgrad

Wie Dachgeschoßausbauten für gewöhnlich ablaufen, etwa bei Gründerzeithäusern, weiß Treberspurg aus der Arbeit mit seinem eigenen Architekturbüro: Das alte Dach wird abgenommen, ein Stahlgerüst aufgestellt, dann nimmt der Zimmermann die Naturmaße. Bis die Konstruktion fertig ist, vergeht oft viel Zeit. "Das Dach steht bis zu zwei Monate offen, es regnet hinein, und Feuchtigkeit gelangt in die obersten Geschoße. Dadurch leiden Mieter und Eigentümer."

Um all das zu verhindern, habe man sich im Forschungsprojekt "Attic Adapt 2050" für eine leichte Holzkonstruktion entschieden. Einer der größten Vorteile, neben der Speicherung von CO2 im Holz, ist ihr hoher Vorfertigungsgrad. "Dadurch lässt sich auch wirtschaftlicher bauen", so Treberspurg. Berechnungen hätten ergeben, dass diese Vorfertigung Kosten und Zeit spart. Denn obwohl die Planung zwar einige Wochen länger dauere als bei einer konventionellen Bauweise, verkürzt sich die Bauzeit stark.

Dadurch werden vor allem die Nerven der Bewohner geschont. "Es ist eine Grundvoraussetzung von Wiener Wohnen, wie in der Sanierung von sozialen Wohnbauten üblich, dass die Mieter während der Bauzeit in ihren Wohnungen bleiben können und nicht zu stark beeinträchtigt werden", sagt Treberspurg.

Wertsteigerung des Hauses

Zuvor wird natürlich auch bei den Nachkriegsbauten von einem Statiker untersucht, ob die konstruktiven Voraussetzungen für einen Ausbau überhaupt gegeben sind. Denn nicht alle diese Gebäude sind auch dafür geeignet, weiß Architekt Treberspurg: "Damals wurden Ziegel oft aus gemahlenem Bombenschutt hergestellt. Hin und wieder wurde dafür zu wenig Zement verwendet. In diesem Fall ist die notwendige Tragfähigkeit für einen Ausbau des Dachgeschoßes nicht gegeben."

Neben zusätzlichem Wohnraum in hoher Qualität bringt ein Ausbau auch eine Wertsteigerung der Immobilie, vor allem wenn die Erweiterung im Zuge einer Sanierung geschieht. Durch den Ausbau und die Flexibilität des Systems können neue Wohnmodelle und barrierefreie Wohnungen in bestehenden Bauten umgesetzt werden. "Zudem ist der Ausbau auch für die Wärmedämmung förderlich", sagt Treberspurg, denn die meiste Wärme entweiche im Winter durch die oberste Geschoßdecke. "Wird ein Nachkriegsgebäude ordentlich saniert, kann es problemlos noch einmal 60 bis 100 Jahre ohne größere Investitionen bewohnt werden."

Umsetzung in Arbeit

Im nächsten Schritt sollen die Pläne aus dem Projekt an einem konkreten Objekt demonstriert werden. "Die Umsetzung ist derzeit noch in Ausarbeitung", sagt der Architekt. Bei Wiener Wohnen sei man prinzipiell interessiert, "wir stellen unsere Idee aber sämtlichen Bauträgern vor, die über einen Gebäudebestand aus der Nachkriegszeit verfügen". (Bernadette Redl, 18.6.2017)