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Albert Finney als Hercule Poirot in "Mord im Orient-Express" von Regisseur Sidney Lumet aus dem Jahre 1974.

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Die Ausstattung ist luxuriös.

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Die livrierte Crew des modernen Orient-Express.

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Zu essen gibt's zuhauf.

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Der Orient-Express ist eine glänzende Showbühne auf Schienen. Die Passagiere sind die Schauspieler und das Zugpersonal in den feschen blauen Uniformen und den weißen Handschuhen die Regieassistenten. Sie sind es, die vorgeben, bei welchem Akt welche Garderobe zu tragen ist. Bei einer Fahrt mit dem Orient-Express geht es nämlich nicht darum, ein Land vom Zug aus zu entdecken. Vielmehr schlüpft der Reisende gedanklich in unzählige Rollen – die prägendste ist bis heute jene des Privatdetektivs Hercule Poirot.

Agatha Christies Roman aus dem Jahr 1934 – Mord im Orient-Express – wurde bereits viermal verfilmt. Am eindrücklichsten ist aber noch immer die Regiearbeit von Sidney Lumet aus dem Jahr 1974, bei welcher der britische Schauspieler Albert Finney den belgischen Detektiv Hercule Poirot verkörperte. Das Staraufgebot war bemerkenswert: Lauren Bacall, Ingrid Bergman und Jacqueline Bisset ließen sich ebenso für die mörderische Zugfahrt gewinnen wie Sean Connery, Anthony Perkins und Richard Widmark.

Treffpunkt der Reichen und Einflussreichen

Im November 2017 scheint Regisseur Kenneth Branagh diese Vorgabe, die kaum zu übertreffen ist, wenigstens einstellen zu wollen. Dann kommt seine Version von Mord im Orient-Express in die Kinos – mit ihm selbst als Hercules Poirot und Willem Dafoe, Michelle Pfeiffer sowie Penelope Cruz, Judi Dench und Johnny Depp in weiteren Rollen.

Am 4. Oktober 1883 brach der Orient-Express zu seiner Jungfernfahrt von Paris nach Istanbul auf. In Windeseile wurde der Zug berühmt für pünktliches Reisen, hervorragende Küche und als Treffpunkt der Reichen und Einflussreichen. Sein Niedergang begann in den 1950er-Jahren, als es modern wurde, möglichst schnell ans Ziel zu kommen – mit dem Auto oder Flugzeug.

Edel und fein

Der heutige Venice Simplon-Orient-Express verkehrt überwiegend zwischen London, Paris und Venedig, fährt aber auch weitere europäische Städte an wie Berlin, Prag, Wien, Budapest, Bukarest und Istanbul. 1982 wurde er in dieser Form zum ersten Mal eingesetzt, nachdem der aus Kentucky stammende Unternehmer James Sherwood Originalwagen der Compagnie Internationale des Wagons-Lits ersteigert hatte und aufwendig restaurieren ließ. Derzeit gehört der Zug zu Belmond Limited, einem Unternehmen, das Luxushotels, -restaurants, -züge und -flussschiffe in über 20 Ländern unterhält.

Der heutige Orient-Express wird mit unterschiedlichen Wagons – meist aus den 1920er- und 1930er-Jahren – betrieben: In Großbritannien kommen braun-cremefarbene British-Pullman-Salonwagen als Tages- oder Wochenendzug zum Einsatz. Auf dem Kontinent sind es elf dunkelblaue Schlafwagons der früheren Compagnie Internationale des Wagons-Lits. Die Einzel- und Zweibettkabinen mit Doppelstockbetten, die tagsüber zu Sitzabteilen umfunktioniert werden, sind mit edlen Hölzern, feinen Intarsien und Jugendstillampen ausgestattet.

Parfum und Puder

Vom Platzangebot entsprechen die edlen Abteile dem Reisebedürfnis vor über 100 Jahren. "Umkleidegarderoben mit Schlafmöglichkeit" trifft eher als Beschreibung zu, die Gepäckablage reicht höchstens für ein Agententascherl. Immerhin verfügen alle über ein Waschbecken mit Spiegel, dezent hinter der Tür versteckt. Weiße, zarte Handtücher, bestickt mit dem Wappen der Compagnie, liegen bereit, die Seife ist in Seidenpapier gewickelt. Da es keine Duschen gibt, wird bei mehrtägigen Reisen abwechselnd im Zug und im Hotel übernachtet. Alternativ dazu greift man wie in alten Zeiten einmal mehr zum Parfumflakon oder Puderdöschen. "Camping auf höchstem Niveau", nennen das manche der zahlungskräftigen Gäste.

Wer einen Platz im Wagen Nummer 3504 ergattert, befindet sich mitten in der Filmkulisse von Mord im Orient-Express. Doch mörderisch ist auf den regulären, touristischen Fahrten höchstens das pausenlose Essen. Die Restaurantwagen sind mehrmals am Tag gesellschaftlicher Treffpunkt und Bühne der Reisenden, auf der man vorführen kann, was der eigene Kleiderschrank zu bieten hat. Zu elegant gekleidet ist man im Orient-Express nie.

Passende Bettlektüre

Nach dem Five o’Clock Tea kredenzen Christian Bodiguel – seit über 30 Jahren Chef de Cuisine an Bord – und seine livrierte Crew ein mehrgängiges Menü: etwa grünen Spargel mit Parmesanflöckchen, Medaillons vom Seeteufel an Muschel-Jus und violettem Kartoffelpüree und Himbeerbaiser auf Nougat an Rosenblättern. Verputzt wird all das auf exquisitem Goldrandporzellan und aus dem Tafelsilber der Compagnie. Und sollte es den Damen im Chiffon beim Dinner zu kühl werden, schüren Claude oder Pascal den alten Ofen. Dann zieht Kohlegeruch durch die Wagons, der daran erinnert, dass der Orient-Express einst von einer Dampflok gezogen wurde.

Nach dem Dinner wird im Barwagen bei sanfter Musik Konversation betrieben. Wer dann noch immer Hunger verspürt, kann sich Blinis mit Beluga-Kaviar bringen lassen. Einige Hundert Euro extra werden dafür am Ende der Tour auf der Rechnung stehen. Die Fahrt im Orient-Express war noch nie eine All-inclusive-Reise.

Irgendwann spät in der Nacht ist die Vorstellung vorbei. Man zieht sich ins Abteil zurück, vielleicht sogar mit der passenden Bettlektüre von Agatha Christie, um beim monotonen Klackadiklack der Räder einzuschlafen. War da nicht ein Geräusch? Ist jemand aus dem schaukelnden Bett gefallen? Hat sich jemand im Abteil den Kopf angehaut? Spätestens, wenn Claude oder Pascal das Frühstück servieren, werden alle erfahren, was in dieser Nacht vorgefallen ist. (Dagmar Krappe, 20.6.2017)