Spezialisten, die die Digitalisierung verstehen und vorantreiben können, sind gefragt.

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Wer digital kann, wer über die vielgesuchte "digitale DNA" verfügt und mit seinen Ausbildungen und seiner Persönlichkeit auch noch anschlussfähig an die klassischen Businessabteilungen ist, der kann aus einem schier unlimitierten Jobportfolio quer durch die Branchen wählen. Denn die Not, mit dem Wandel zum Digitalen auch irgendwie mithalten zu können, wird offenbar größer – das suggerieren zumindest recht deckungsgleich Studien und Umfragen.

"Weltweit rechnen Top-Entscheider im Laufe dieses Jahres in allen Sektoren mit einer starken Zunahme der digitalen Disruption", heißt es etwa in einer branchenübergreifenden Studie der Personalberatung Russell Reynolds Associates, bei der 1500 Manager der obersten Führungsebene interviewt wurden. Und weiter: "Obwohl die Digitalisierung durch die oberste Führung initiiert und unterstützt wird, stockt in vielen Unternehmen die Umsetzung. Hauptgründe sind der Mangel an Top-Talenten, die Trägheit großer Organisationen sowie interne Silostrukturen."

Mangel an IT-Experten

Die Personalberater legen in ihrer Exegese nach: "Das Bewusstsein über die Relevanz der Digitalisierung ist in den obersten Konzernebenen aller Branchen angekommen. Nun gilt es, sehr konsequent die Digitalexpertise in den Aufsichtsräten, auf Vorstandsebene und über alle Entscheidungsebenen hinweg zu verankern. Dieses muss die ,neue Normalität' sein. Auf Strategieebene ist dies erfolgt. Die tatsächliche Umsetzung verläuft beim Gros führender deutscher Unternehmen jedoch noch viel zu langsam. So geht Zeit verloren, die für die umfassende Transformation der Unternehmen eigentlich nicht mehr da ist. Längst arbeiten reine Internetplayer, meist von der US-Küste, aggressiv an Geschäftsmodellen, welche die Kernbranchen maßgeblich verändern."

Wenig überraschend also die Ergebnisse einer Studie der Internetoffensive Österreich zu "Digital-Future-Jobs", welche einen "eklatanten Mangel" an IT-Experten ausweisen. Besonders schwerwiegend sei der Mangel an ausgebildeten Data-Scientists (durchschnittlich 58 Prozent über die Branchen und Unternehmensgrößen hinweg) sowie an Software-Entwicklern (45 Prozent), wobei hier der Mangel vor allem in Kleinstunternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern existiert.

Praktische Fähigkeiten sind derzeit demnach besser ausgeprägt und verfügbar als fachliche Skills – hier stellen die Unternehmen einen Mangel von 51 Prozent fest.

Anschlussfähigkeit gefragt

Starke Nachfrage besteht vor allem bei Berufen, die den Brückenschlag zwischen IT und Business darstellen, wie beispielsweise, Business-Analysts, IKT-Berater und Test-Specialists. Kaum einen Mangel gibt es hingegen bei den mittlerweile traditionellen bzw. techniknahen Berufen wie etwa Datenbankadministratoren, Netzwerkspezialisten oder Systemadministratoren. Die Warnung: "Diese Situation gefährdet den Wirtschaftsstandort Österereich."

So sieht es auch Alfred Harl, Obmann des immer mächtiger werdenden Fachverbands Unternehmensberatung, Buchhaltung und IT (Ubit) – aus seiner Position nur unter anderen Vorzeichen, kann er doch auf anhaltenden Boom in seinen Bereichen verweisen: In diesem Jahr zeichnet sich laut KMU-Forschung Austria sogar ein regelrechter Wachstumssprung ab, nämlich ein Anstieg von 9,5 Prozent auf 27,64 Mrd. Euro. Das stärkste Wachstum verzeichnen die Informationstechnologiebetriebe mit einem Anstieg von 10,4 Prozent auf 21,14 Mrd. Euro, gefolgt von den Unternehmensberatern mit einem Plus von 8,0 Prozent auf 4,48 Mrd. Euro und den Buchhaltungsberufen mit einem Wachstum von 4,1 Prozent auf 2,02 Mrd. Euro.

"Innovation programmieren können"

Harl kann also selbstbewusst sagen: "Die Mitgliedsbetriebe der Ubit boomen, weil Kunden österreichische Beratung stark nachfragen. Seit 2008 verzeichnet unsere Branche steigende Umsatzzahlen – um mittlerweile mehr als 85 Prozent. 7700 Arbeitgeberbetriebe und 75.000 Beschäftigte machen deutlich, dass die wissensbasierten Dienstleister eine der Wachstumsbranchen der Zukunft sind. Der Fachverband Ubit ist die dynamischste Branche in der Wirtschaft und hat einen wesentlichen Anteil am österreichischen Konjunkturmotor."

Plus: Wer kann schon von sich so konkret sagen, dass der Beschäftigungsstand heuer um 7500 bis 12.000 Arbeitsplätze wachsen wird? Die Ubit-Mitglieder erwarten das jedenfalls ziemlich querbeet durch die digitalen Fach- und Beratungsbereiche. Womit sich laut Obmann Harl die Wirtschaft am allerschwersten tut? "Experten zu finden, die Innovation erkennen und auch programmieren können." Für solcherart Informatiker gebe es derzeit jährlich Bedarf zwischen 3000 und 5000 Positionen. Nicht verwunderlich, dass Alfred Harl auch einer der lautesten Kritiker des Limits für solche Studienplätze an der Wiener TU war und ist.

Gute Beratergeschäfte

Zu tun gibt es für Berater jedenfalls ausreichend, eine wahre Flut an Umfragen und Studien zum Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung ist unterwegs: 93 Prozent der von Kienbaum zuletzt befragten heimischen Firmen sehen sich von der Digitalisierung beeinflusst. Jedoch haben demnach nur wenige schon eine klar definierte Digitalisierungsstrategie. In 60 Prozent der Firmen gebe es zwar vereinzelte Digitalisierungsinitiativen, jedoch seien diese nicht systematisch miteinander verbunden. Auch bei den Digitalkompetenzen erkennen die Personalchefs laut Kienbaum-Umfrage noch erhebliche Lücken: Besonders wichtig ist die stärkere Ausprägung der IT-Compliance und des Einsatzes digitaler Medien für die interne Kommunikation. Im Umgang mit modernen Organisationsformen und Führungssystemen klaffen die größten Lücken zwischen der eingeschätzten Wichtigkeit und der tatsächlichen Ausprägung im Unternehmen.

"HR-Leiter und Geschäftsführer sind sich einig: Die Unternehmen müssen auch im Personalbereich den Digitalisierungsprozess endlich angehen und die Digitalisierung als Chance begreifen, sich strategisch zu positionieren. Hier sehen sich die Personalleiter als Sparringspartner der Geschäftsführung", sagt Studienleiter Alfred Berger von Kienbaum in Wien. Woher all die Wunderwuzzis mit der digitalen DNA kommen sollen, bleibt allerdings überwiegend erratisch.

Trendence befragt regelmäßig Hochschulabsolventen nach ihren Berufswünschen und kommt heuer für Österreich (12.000 abschlussnahe Studierende wurden gefragt) zu folgendem Ergebnis: "Der Wettbewerb der Arbeitgeber um die digitalen Talente ist hart. Die wenigen Digitals, die es gibt, stehen den Arbeitgebern nicht uneingeschränkt als Arbeitskräfte zur Verfügung. Digitals wollen doppelt so häufig ein Start-up gründen wie ihre Kommilitonen. Etwas mehr als ein Viertel der Digitals geht den Unternehmen so als potenzielle Mitarbeiter verloren. Alle anderen sind hart umkämpft: Sie haben wesentlich häufiger schon während des Studiums eine feste Jobzusage von einem Arbeitgeber als Non-Digitals. Das macht es vor allem für Arbeitgeber unattraktiver Branchen schwer, ausreichend digitale Talente zu rekrutieren. (Karin Bauer, 17.6.2017)