In seinem "Traktat über die menschliche Natur" (1739/40) schreibt der Philosoph David Hume (1711–1776): "Weit entfernt zu glauben, daß die Menschen nur für ihr eigenes Selbst Interesse und Mitgefühl haben, bin ich der Meinung, daß, wenn man auch selten jemanden finden mag, der eine einzelne Person mehr liebt als sich selbst, man doch ebenso selten jemandem begegnet, dessen wohlwollende Regungen zusammengenommen nicht seine selbstbezogenen Neigungen überwiegen."

Für Hume sind philosophische Beschreibungen der ruchlos egoistischen Natur der Menschen "von der Wahrheit ebensoweit entfernt […] als die Berichte über Ungeheuer, denen wir in Fabeln und Dichtungen begegnen".

Zwei Interessen des Menschen

Es war Thomas Hobbes (1588–1679), dem Hume in diesem Punkt so gar nicht folgen wollte. Für Hobbes zeichnen die Menschen zwei Interessen aus: erstens, der von der Angst vor dem Tod getriebene Wunsch zu überleben und, zweitens, der Wunsch, sich so viel als möglich an externen Gütern anzueignen. Und im 13. Kapitel seines philosophischen Hauptwerks "Leviathan" (1651) schildert Hobbes in eindringlichen Worten, wohin diese Bestrebungen die Menschen führen, wenn ihnen nicht von einer übergeordneten Macht entschieden Einhalt geboten wird: sie befinden sich in einem Zustand, "der Krieg genannt wird, und zwar in einem Krieg eines jeden gegen jeden". Und "es herrscht, was das Schlimmste von allem ist, beständige Furcht und Gefahr eines gewaltsamen Todes – das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz".

Hume schauderte zu Recht vor dieser Schilderung menschlicher Existenz. Und in seiner Analyse der menschlichen Natur, auf der seine Moralphilosophie aufbaut, zeichnet er ein völlig anderes Bild. Der Menchanismus der Sympathie, also die im Menschsein verankerte Registierung der Empfindungen anderer, generiert nach Hume nicht nur das Mitgefühl mit deren Glück, Leid und Schmerz, sondern im besten Fall auch "einen Gleichklang der Empfindungen", der Menschen zu einer geordneten, gedeihlichen Gestaltung ihrer sozialen Verhältnisse motiviert. Und im Bewusstsein, dass das Mitgefühl im Nahbereich stärker ist als im Fernbereich, schaffen die Menschen künstliche Institutionen wie das Rechts- und Moralsystem, also Einrichtungen, die sie normativ dazu anhalten, auch entfernt lebende Menschen in ihre moralischen Reflexionen einzubeziehen.

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Souverän und Individuen

Wo im Hobbes’schen Universum den von Unsicherheit, Misstrauen und Angst getriebenen Wesen nur die Zuflucht zu einem gegenseitigen Vertrag bleibt, einem übermächtigen Souverän (dem Leviathan) Kontrolle und Herrschaft zu übertragen, finden bei Hume die von gemäßigtem Eigeninteresse und Wohlwollen geleiteten Individuen über Koordination und Konventionen zu einem friedlichen und sozial produktiven Zusammenleben.

Warum diese Divergenz in den anthropologischen Szenarien und politischen Konzeptionen dieser beiden Philosophen? Der historische Kontext ist wohl maßgeblich: auf der einen Seite Hobbes, dem Furcht vor Krieg und Zerstörung, wie er selbst schreibt, schon in die Wiege gelegt wurden, und den innenpolitische Turbulenzen und der sich zum Bürgerkrieg steigernde Kampf zwischen König und Parlament zeitweise ins Ausland vertrieben; auf der anderen Seite Hume, der im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs Schottlands nach der Union mit England (1707) eine Zeit relativer politischer Stabilität und kultureller Produktivitität erlebte.

Politische Entwürfe

Mit der Kirche hatten beide als "Atheisten" gebrandmarkte Philosophen ihre Probleme: doch der sich abzeichnende Machtverlust dieser Institution spiegelt sich in den politischen Entwürfen beider. Hobbes geht es, unabhängig von göttlichen Geboten, um die Rechtfertigung weltlicher Macht auf der Grundlage von Einsichten in die Konstanten menschlicher Existenz. Hume macht sich weniger Gedanken um politische Herrschaft und Legitimität. Für ihn tritt die politische Ordnungsmacht in den Hintergrund: wichtig ist allein, dass sie ihre maßgebliche Aufgabe erfüllt, nämlich den in der menschlichen Natur angelegten positiven Ressourcen Raum für die Gestaltung des Zusammenlebens zu geben.

Wie sollen wir mit der historischen Kontingenz normativ-politischer Gesellschaftsentwürfe umgehen? Sollen wir in dunklen Zeiten unsere politischen Visionen den dunklen Eingebungen anpassen? Oder sollen wir ungeachtet von Krisen und Kriegen an der Konstruktion jener Institutionen festhalten, die nicht nur friedliche und wirtschaftlich gesicherte Koexistenz, sondern den von Hume gepriesenen "Fortschritt der Gefühle" ermöglichen? (Herlinde Pauer-Studer, 19.6.2017)