Der verstorbene deutsche Überkanzler Helmut Kohl hatte ein freundschaftliches, aber mehr als patriarchalisches Verhältnis zu Österreich. Nicht, dass er irgendwie auch nur im Entferntesten an "Anschluss" oder so etwas gedacht hätte. Aber er pflegte die Österreicher wegen ihres eigenbrötlerischen Neutralitätsdusels gerne zu kritisieren und forderte sie – auch in Gesprächen mit österreichischen Journalisten – auf, sich stärker in der westlichen Gemeinschaft zu engagieren. "Ist es euch nicht peinlich, dass die Nato euch beschützt, ohne dass ihr was dazutut?", fragte er einmal in einer Runde, die der damalige Außenminister Alois Mock im Gasthaus "Spatzennest" arrangiert hatte. Bei der Gelegenheit konnte man den gargantuesken Appetit Kohls bestaunen: es gab drei Tische mit Journalisten, an jedem nahm Kohl Platz und verzehrte eine volle Portion Hausmannskost.

Dem neuen ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel riet 1995 Kohl dazu , er müsse sich unbedingt "von den Roten lösen" (Joachim Riedl: "Der Wendekanzler"). Was Schüssel auch versuchte, was ihm aber erst 2000 im zweiten Anlauf gelang. Bei den Beitrittsverhandlungen zur EU war Kohl sehr hilfreich, wenn er sich auch auf Ersuchen des damaligen Kanzlers Vranitzky öffentlich zurückhielt. Als die Verhandlungen an einem toten Punkt angelangt waren, half Kohl im Hintergrund, die Schwierigkeiten zu überwinden. Für ihn war Österreich ein wenig wie ein eigensinniges, verspieltes Kind, dem man manchmal auf den rechten Weg helfen musste. (Hans Rauscher, 17.6.2017)