Neos-Chef Matthias Strolz spricht im Parlament, auf der Regierungsbank begrüßt Bundeskanzler Christian Kern Wissenschaftsminister Harald Mahrer, der mit Bildungsministerin Sonja Hammerschmid eine Einigung mit den Grünen erzielte.

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Wien – Die Regierungsbank war ziemlich schief besetzt. Wenn die Zahl der anwesenden Ministerinnen und Minister ein Indikator für die der zu verhandelnden Materie zugesprochene Wichtigkeit sein sollte, dann scheint das Thema Schule für die ÖVP nicht so wahnsinnig wichtig. Jedenfalls hat bis auf Wissenschaftsminister Harald Mahrer an diesem Montag kein Einziger aus der schwarzen Riege den Weg ins Hohe Haus gefunden.

Anders bei der SPÖ. Da tauchte Bundeskanzler Christian Kern schon zwei Minuten vor Sitzungsbeginn um 9.00 Uhr auf, im Schlepptau die sichtlich erleichterte Bildungsministerin Sonja Hammerschmid sowie Alois Stöger, Pamela Rendi-Wagner, Muna Duzdar und etwas später auch noch Thomas Drozda. Mit dieser Koalitionspräsenzschieflage ging es also in eine auf Wunsch der Neos anberaumte Sondersitzung "betreffend die gescheiterte Bildungsreform der Kern-Kurz-Regierung: verantwortungslose Machtpolitik und Parteitaktik auf dem Rücken unserer Kinder".

Nur drei ÖVP-Abgeordnete pünktlich

Als Neos-Chef Matthias Strolz ans Rednerpult trat, war nicht nur er irritiert, dass auch die ÖVP-Abgeordnetenreihen bis auf drei einsame Mandatare verwaist waren. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch warten soll auf die Kollegen der ÖVP", fragte er "ernsthaft", denn er war "nicht sicher, ob sie der Sitzung zu 60, 70 Prozent fernbleiben wollen". Um 12.04 tauchten dann auch die Schwarzen auf – und Strolz konstatierte: "Alle spüren: In der Bildung läuft's nicht gut genug." Brennpunktschulen mit einem Drittel Absolventen, die direkt zum AMS müssten, jährlich 5000 bis 7000 Teenager, die nach der Pflichtschule weder Ausbildung machen noch Job suchen, weil sie in der Schule die Botschaft bekommen: "Du bist ein Defizit auf zwei Füßen." Das alles seien Symptome, "dass wir nicht ideologisch gefärbt streiten sollen", sagte Strolz an einem "Tag mit Licht und Schatten".

"Strukturelle Korruption"

Mehr Transparenz hinsichtlich der Gelder für Landeslehrer finde er gut, aber der zentrale Punkt, warum "die Neos nicht mitkönnen", sei das "Muster struktureller Korruption". Strolz meint damit den parteipolitischen Zugriff auf das Schulsystem, der mit den "Grünen als Steigbügelhalter" weiterhin erhalten bliebe. "Die Landesfürsten stehen mit dem Parteibuch in der Klasse." Die Landeshauptleute intervenierten bei Direktorenbestellungen, bei Lehrerzuteilungen, bei Investitionen, wunderte er sich über den "Kniefall von Kern und Kurz: Sie haben die Fußfessel der Landeshauptleute an, und ich verstehe nicht, dass die Grünen das mittragen".

Kanzler Kern verteidigte die Einigung und sprach von einem "guten Tag für die Bildung". Er verwies auf die mangelnde Effizienz des Schulsystems und die Tatsache, "dass Bildung in Österreich noch immer vererbt wird, mehr als in anderen Ländern". Da würden "Ideologiedebatten nicht weiterbringen". Es gebe künftig mehr Freiheit für die Schulen und mehr Transparenz sowie "eine signifikante, wiewohl nicht gänzliche Reduktion des parteipolitischen Einflusses". Von einem Kniefall könne keine Rede sein. "Sonst hätte man gar nichts erreicht."

Ideologie- und Machtfragen

Mit Blick zurück bis in die Antike erklärte ÖVP-Wissenschaftssprecher Karlheinz Töchterle dann, dass "Bildungsfragen immer auch Ideologie- und Machtfragen sind. Das muss so sein". Aber diesmal habe sich die ÖVP "erstmals vom Dogma verabschiedet: Es kann keine gemeinsame Schule geben".

Für den grünen Bildungssprecher Harald Walser ist die entscheidende Messlatte die Frage: "Ist es besser oder ist es schlechter als vorher?" Es sei eindeutig: "Es ist ein gutes Gesetz. Es stellt die Weichen an Österreichs Schulen in die richtige Richtung."

Scharfe Kritik kam von FPÖ-Bildungssprecher Wendelin Mölzer, der der ÖVP zur Einigung mit SPÖ und Grünen auf Modellregionen nur "ironisch gratulieren" wollte. Der designierte ÖVP-Chef Sebastian Kurz zeige "als Basti-Fantasti, dass er offensichtlich alles darf, aber Sie werden mit Kopfweh aufwachen", wenn bis zu 45.000 Schüler "zu Versuchskaninchen in der Gesamtschule werden", sagte Mölzer. Die im Neos-Antrag fehlende "Zuwanderungs- und Integrationsproblematik" packte er in einen eigenen blauen Entschließungsantrag für Deutschklassen für Kinder mit mangelnden Sprachkenntnissen.

"Bildungsreförmchen" reicht nicht

Team-Stronach-Klubchef Robert Lugar machte dann noch eine besondere Schieflage aus: Das vereinbarte "Bildungsreförmchen" sei ein "erster Schritt in die richtige Richtung", aber es diene primär dem "Abstützen des schiefen Gebäudes" namens Schulsystem, da dessen Fundament "vom politischen Einfluss zerfressen ist". (Lisa Nimmervoll, 19.6.2017)