Eine Liebe, die letztendlich vergeblich versucht, sich über Wasser zu halten: Adrian Eröd (als Pelléas) und Olga Bezsmertna (als Mélisande) an der Wiener Staatsoper.

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Wien – Es sieht doch eigentlich aus, als wäre die Innenwelt dieses Charakters namens Golaud zum Raum geworden. Anfangs, wenn er die rätselhafte Mélisande entdeckt, umweht diesen Golaud und sie, die im unschuldigen Weiß auf einem umgekippten Boot sitzt, zwar ein Hauch von Naturromantik samt malerischem Blick auf die See. Der düster gestimmte Golaud, der einst seine Frau verlor, probt mit seinem Jagdgewehr dennoch zunächst einen Selbstmord. Und auch wenn er schließlich den Finger vom Abzug zieht, da er sich in Mélisande verliebt, ist unschwer zu erahnen, dass dieses seltsame Paar vom Dunkel ihrer Biografien eingehüllt bleiben wird.

Es landet diese am Gestade angebahnte Ehe jedenfalls in einem Schlossraum der Düsternis, der die Atmosphäre von Claude Debussys Pelléas et Mélisande an der Wiener Staatsoper dominieren wird. Und ebendieses Schloss, wie in eine tiefe Grotte hineingebaut, scheint das Innere des fragilen Kraftlackels Golaud zu spiegeln. Regisseur und Bühnenbildner Marco Arturo Marelli ist natürlich auch ein Virtuose der eindringlichen Bilder, die sich einen Hauch von Abstraktion gönnen, um immer offen zu sein für kleine Irritationen und Metamorphosen, deren Sinnhaftigkeit sich mit optischem Zauber vereint. Das Schloss, in dem sich einer Familienaufstellung ähnelnde Szenen abspielen, ist zwar Symbol der Aussichtslosigkeit und des Eingeschlossenseins auch in diffuser Todesahnung.

Die Härte des Raumes

Mitunter erstrahlt diese räumliche Härte aber im Lichte flüchtiger Hoffnung: Vor allem Wasser wird dabei zu jenem erhellenden Element, das auch mit der Klangpoesie dieser Oper optisch korrespondiert. Der Regisseur in Marelli versteckt die brutalen, letztlich letalen Aspekte dieses Werkes aber auch nicht hinter artifizieller Kitschsymbolik.

Die Bootsfahrt von Mélisande und ihres sie durchs Wasser ziehenden Pelléas hat zwar schüchterne Züge einer nie direkt ausgelebten Zärtlichkeit. Die Inszenierung jedoch zieht dann aus der explosiven Gefühlsenge Golauds und dessen von Eifersucht befeuerter Raserei quasi realistische Schlüsse: packend, wie Simon Keenlyside (als Golaud) diesem inneren Druck seiner Figur noblen Klang und elegante Deklamatorik verleiht.

Dabei bringt er Aggressionen auf unmittelbare Art und Weise über die Rampe, ohne eben in körperliche Plattheiten zu verfallen – etwa wenn Golaud sein Kind (eindringlich und differenziert Maria Nazarova als Yniold) dazu zwingt, Pelléas und Mélisande auszuspionieren.

Tolle Besetzung

Überhaupt ist diese Produktion der Wasserfantasien delikat besetzt: Da beeindruckt Franz-Josef Selig (als Arkel) mit Intensität wie Klarheit; da vermittelt Bernarda Fink (als Genevieve) profund Seelenzustände. Und Adrian Eröd wird (als Pelléas) – neben Keenlyside – zum ebenso delikaten Sängerdarsteller. Nobel klang Marcus Pelz (als Arzt).

Olga Bezsmertna (als Mélisande) ist vor allem vokal bemerkenswert: Beeindruckend die Zartheit und Leichtigkeit der Diktion und der einnehmende Klang. Ihre Figur bleibt aber szenisch gefangen im Bereich des Ungefähren und Unentschlossenen; letztlich gerät die Gestaltung des Enigmatischen dieser Figur etwas harmlos und klischeehaft.

Dirigent Alain Altinoglu und das Staatsopernorchester setzen diese impressionistischen Klanglichtspiele ohne Schwulst um. Das klingt klar, bisweilen aber auch etwas matt, ohne jenes besondere "Brennen" jedenfalls, das in diesen intimen Strukturen auch schlummert. Keinesfalls jedoch wird unterschlagen, dass auch dramatische Momente zum Charakter dieser raffinierten Musik gehören und in reinen Instrumentalpassagen resolute Kraftentfaltung möglich und nötig ist.

Dies geschieht beeindruckend – bis Mélisande zur letzten Bootsfahrt aufbricht und von einer Frauengruppe in ein "Irgendwo" geleitet wird, während sich diese Oper schließlich durch ihren eigenen poetischen Gestus quasi entmaterialisiert. So geht eine durchwachsene Premierensaison an der Wiener Staatsoper mit dem heiklen Meisterwerk Pelléas et Mélisande versöhnlich, da fast rundum gelungen, zu Ende. Und mit durchaus heftigem Applaus. (Ljubisa Tosic, 19.6.2017)