Kurios: Lisl Ponger fotografierte in den 1990ern als Reaktion auf sich verschärfende Asylgesetze im Land Österreicher mit Faible für andere Ethnien. Im Bild: "Die Brasilianerin", aufgenommen vor Dachkulisse der Wiener Innenstadt.

Foto: Courtesy Charim Galerie

Welche Sehnsucht transportiert ein Stofftischtuch? Welche Lebenspraxis ein Plastikgeschirr? Essen und Trinken als Spiegel- und Sittenbild der Gesellschaft zeigt Robert F. Hammerstiels Fotoserie "Mittagsporträts – Der Stand der Dinge" von 1989.

Foto: Albertina, Wien

Wien – Was sagt ein Gulasch auf dem Teller über die Seele seiner Esser? Was ein Hirschgeweih oberst der Schlafzimmertür über den, der darunter schläft? Was ein Zwergenpark im Vorgarten über den Bewohner des Hauses, das sich dahinter von der Welt abschottet?

Österreich Fotografie – nicht Österreichische Fotografie, Achtung! – heißt die aktuelle Fotoausstellung der Albertina. Tendenzen des Mediums lassen sich im Beobachtungszeitraum 1970 bis 2000 zwar auch ausmachen, eigentlich geht es der Schau aber um die Erforschung von Land und Leuten.

Soziologisch und humorvoll

Die eingangs erwähnten Mittagstische (Robert Hammerstiel), Schlafzimmer (Nikolaus Walter) und Aufnahmen von Nippes (Branko Lenart) sind der eine präsentierte Weg, um Stereotypen, Sehnsüchten und Realitäten der Bevölkerung der 1980er auf die Spur zu kommen. Humorvoll-liebevoll und soziologisch-genau zugleich erinnern letztere Arbeiten an Bewegtbilder aus Elizabeth T. Spiras Alltagsgeschichten und Filmen Ulrich Seidls. Aber der Blick auf das, was Österreich einst ausmachte, kann auch anders.

In den 70er-Jahren setzt die aus Beständen der Albertina, der Fotosammlung des Bundes und Leihgaben gespeiste Auswahl deshalb ein, weil sich damals in der Fotografie sowie im Heimatbegriff ein Wandel eingestellt habe, meint ihr Kurator Walter Moser. Nichts mit den Idyllen der Sissi-Filme und Bergpanoramen, mit denen die Nation sich nach dem Krieg auch von der Mitschuld zu restaurieren suchte, am Hut haben nämlich die Arbeiten auch Heinz Cibulkas.

Dokumentation statt Illusion

Von ihm sind Fotos aus dem Weinviertel zu sehen. In beiläufiger Manier in den frühen 1980ern aufgenommen und zu Vierergruppen zusammengestellt, zeigen die Tableaus Schlachtungen, Apfelernten, Herrgottswinkel, denen eine gewisse Archaik eignet. Ohne Kommentar sollen sie als assoziative "Bildgeschichten" wirken.

Stand dem gebürtigen Wiener das Landleben fern genug, um es ohne persönliche Involviertheit sezieren zu können, hantiert Manfred Willmers Blick mit ähnlich skeptischer Neugier am Bekannten. Konsequent mit Blitzlicht fotografiert, kennzeichnen seine Alltagsszenen aus der Steiermark (1981-93) harte Farbkontraste und eine oft kühle Nüchternheit. Entgegen den Regeln der Kunst fotografiert, versagen sich diese nackten Bilder schönen Illusionen.

Privat und politisch

Thema vieler Arbeiten ist das Verschwinden. Dieses dokumentieren etwa Norbert Brunner und Michael Schuster, die im Abstand von 20 Jahren dieselben Ortsansichten abgelichtet haben. Fast einzig änderten sich die zu den präsentierten Panoramen gehörigen Sprachaufnahmen: Der Dialekt ist fast verschwunden. Den wiederholten Blick ganz anders erprobt Heimrad Bäcker, der das KZ Mauthausen mehrfach fotografierte, um die Konstruiertheit von Fotos und Geschichte zu zeigen.

Wien ist u. a. mit der Stadtschrift Bodo Hells ein eigener Raum gewidmet. Das Grenzgebiet des Eisernen Vorhangs (Seiichi Furuya) und die Nazizeit (Helmut Kandl) als Schauplätze der Koexistenz von privat und politisch kommen auch vor. Zeitgeist und künstlerische Aufbruchstimmung ergänzen sich in der Tat. (Michael Wurmitzer, 20.6.2017)