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Die Digitalisierung sorgt auch in Österreichs Newsrooms für Umstrukturierungen.

Foto: Reuters/Dado Ruvic

Eingespielte Abläufe aufzugeben und radikal neue Wege einzuschlagen ist selten eine leichte Aufgabe – vor allem dann, wenn das Gewohnte die längste Zeit satte Gewinne versprach. Seit über zehn Jahren wird in Medienunternehmen darüber diskutiert, wie viel Gewicht Redaktionshäuser den digitalen Geschäftsmodellen geben sollen. Eine zumeist leidige Diskussion, die endlose redaktionsinterne Streits hervorbrachte.

Geht es nach Lucy Küng, dann sind die Debatten über die Gewichtung des Digitalen in den Medienhäusern obsolet. "Wir stehen nun am Ende des Anfangs eines digitalen Umbruchs", sagt die Medienexpertin vom Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford in einer Analyse im mittlerweile fünften "Journalistenreport", der vom Medienhaus Wien herausgegeben wird.

Technologie als essenzielles Tool

Das bedeutet: Jene Unternehmen, die anno 2017 nach wie vor damit hadern, ob sie ihren digitalen Produkten genauso viel Gewicht geben sollen wie den traditionellen, seien bereits dem Untergang geweiht, meint Küng. "In den vergangenen 20 Jahren haben sich Medien und Tech-Unternehmen schrittweise angenähert. Heute ist Technologie nicht länger ein notwendiges Tool, um Inhalte ans Publikum zu bringen, sie ist essenziell für die Verbreitung von Inhalten, für die Qualität des Inhalts, für die Verbindung mit dem Publikum und für die Wettbewerbsfähigkeit." Medienunternehmen seien daher in erster Linie Tech-Unternehmen, die unter anderem auch mediale Inhalte produzieren.

Für die Medienhäuser ist das womöglich keine Neuigkeit – mit dem Umbau der Redaktionen tun sich die meisten dennoch schwer. Die "Washington Post" hat zumindest seit der Übernahme durch Amazon-CEO Jeff Bezos schrittweise ihren Newsroom umgebaut und sammelt akribisch Userdaten, um auf die speziellen Interessen des Publikums besser zu reagieren. Dean Baquet, Chefredakteur der "New York Times", arbeitet gerade an einem radikalen Umbau des Newsrooms, der bisher vor allem für Logiken des Printprodukts geschaffen war. Hunderte Printredakteure sollen über Abfindungsangebote durch digitale Profis ersetzt werden. Sollten sich zu wenige freiwillige Abgänger finden, wird Personal abgebaut.

Digitalisierung in Österreich: Später, dafür umso härter

Und in Österreich? "Hier schlägt der digitale Umbruch im Vergleich zu den USA und den Ländern im Norden und Süden Europas verspätet auf – aber jetzt doch immer heftiger", sagt der Medienforscher Andy Kaltenbrunner, der seit zwei Jahrzehnten "Medienkonvergenz" untersucht, das Zusammenwachsen der Branchen und des Journalismus unter digitalen Bedingungen. "Technologie-Entwicklung rückt jetzt ins Zentrum der Strategien. Nur wer es schafft, sich strategisch auf den digitalen Markt ohne Zaudern einzulassen, und nicht nur halbherzige Maßnahmen setzt, wird bestehen", so Kaltenbrunner.

Noch zögern viele Medienhäuser: Der für 2020 geplante trimediale Newsroom des ORF am Küniglberg ist beschlossene Sache. Die Bauarbeiten könnten sich allerdings um viele Jahre verzögern, heißt es. Im STANDARD soll nach Umzug (2012) und Zusammenlegung von Print- und Onlineredaktion (2013) nun der weitere digitale Ausbau forciert werden. Die "Oberösterreichischen Nachrichten" haben ihren integrierten Newsroom für Print, Online und Regional-TV bereits zu Ostern bezogen. Sie konnten da schon aus vieljährigen Erfahrungen internationaler Medienhäuser lernen.

Just das Gratis-Boulevardblatt "Heute" ist in Österreich ein Vorreiter und lässt seit einigen Monaten seine Journalisten vorrangig Nachrichten für Handy-App und Website erstellen. Das wird vom neuen Schweizer Miteigentümer von "Heute", der Tamedia-Gruppe, forciert. Die Zeitung in Papier ist nur noch Folgeprodukt, sie wird von wenigen spezialisierten Redakteuren im neuen Newsroom aus dem vielfältigen Digitalmaterial gebaut. Viele Medienmarken haben einen Umbau ihrer Redaktionsräume und -abläufe noch nicht in Erwägung gezogen, die Diskussion über neue Organisationsformen und digitale Zielgruppen schleppt sich in manchen Häusern noch träge dahin.

Organisation sollte höheren Stellenwert haben

Doch warum tut sich ausgerechnet die traditionelle Medienbranche mit dem digitalen Wandel so schwer? Reuters-Institute-Expertin Lucy Küng, selbst seit kurzem auch im Verwaltungsrat der "Neuen Zürcher Zeitung" tätig, davor viele Jahre in der öffentlich-rechtlichen SRG, sieht ein strukturelles Problem. "Diese Industrie hat sich immer auf die Schaffung von Inhalten konzentriert, hier ist sie sehr stark. Sich auch organisatorisch gut aufzustellen hatte in der Medienwelt nie einen besonders hohen Stellenwert", schreibt die Managementforscherin in ihrer Analyse zu "Digital Transformation: The Organisational Challenge". "Doch genau das wird jetzt zum Problem, weil die organisatorische Ebene im digitalen Wandel wahrscheinlich noch wichtiger ist als die inhaltliche. Die Unternehmen müssen digitale Technologie und den Umgang mit Daten in die DNA ihrer Organisation aufnehmen." (Gunther Müller, 20.6.2017)