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Michael Sturminger wird in seiner Neuinszenierung den Salzburger "Jedermann" in die Gegenwart verlegen.

Foto: EPA/JAVIER ETXEZARRETA

STANDARD: Das Angebot, den "Jedermann" zu inszenieren, schien aus heiterem Himmel zu kommen. Ist der Himmel noch immer heiter?

Sturminger: Anders, aber noch immer heiter, ja. Zehn Tage vor der Premiere von Sciarrinos "Lohengrin" bei den Osterfestspielen wurde mir der "Jedermann" angeboten. Eine Inszenierung in so kurzer Zeit zu konzipieren ist eine logistische Herausforderung, gleichzeitig haben wir das Glück, dass die Crew der Salzburger Festspiele unmögliche Sachen möglich macht.

STANDARD: Tut es Ihnen leid, dass Sie nur so kurze Vorbereitungszeit hatten?

Sturminger: Nein, überhaupt nicht. Theater ist die Kunst des Möglichen. Es geht darum, aus dem, was man hat, etwas zu schöpfen. Ich habe an vielen Häusern inszeniert und immer festgestellt: Das Faszinierende am Theater ist, dass man mit dem auskommen kann, was man zur Verfügung hat. Das kann Geld oder Zeit betreffen.

STANDARD: Ist der "Jedermann" ein Selbstläufer, oder lastet ein Erfolgsdruck auf einem, weil er die Cashcow der Salzburger Festspiele schlechthin ist?

Sturminger: Ich würde nicht sagen, dass die Geschichte des Jedermann immer einer der inszenatorischen Höhepunkte war, doch alle Inszenierungen sind gut angekommen. Die ganz große Aufmerksamkeit für das Stück hat mit Dingen zu tun, die nicht nur die Aufführung selber betreffen. Es hat sich eine Art Ahnengalerie entwickelt, man kann also sein Porträt in eine illustre Reihe hängen. Man hat mir gratuliert, dass ich zum "Jedermann"-Regisseur "ernannt" wurde.

STANDARD: Kann man bei der Inszenierung überhaupt so viel anders machen als bisher?

Sturminger: Man muss! Wir waren gezwungen, es völlig umzukrempeln, schon aus Copyright-Gründen. Die letzte Inszenierung von Julian Crouch und Brian Mertes hatte viele kluge Lösungen. Aber im Prinzip ist es erstaunlich, wie wenig über die Jahrzehnte verändert wurde. Wir scheuen uns nicht davor.

STANDARD: Was heißt das?

Sturminger: Das heißt, dass unsere Inszenierung nicht historisierend sein wird. Wir verlegen das Stück in die Gegenwart. Mathias Rüegg komponiert für uns, das Thema von Schuberts "Der Tod und das Mädchen" umkreisend, die Musik. Wir werden erstmals auf dem Domplatz einen Vorhang haben, das gab's erstaunlicherweise noch nie. Mir liegt viel daran, dass auch leise Töne möglich sind. Das Deklamieren hat mir bei manchen "Jedermännern" den Zugang erschwert. Wir arbeiten daran, dass die Protagonisten intensiv miteinander agieren und Intimität möglich ist. Ich glaube, dass ohne Zweifel theatralisch noch viel drin ist in dem Text. Die Fragen, die verhandelt werden, sind archaisch und groß, aber es sind meist zwei Menschen, die auf der Bühne etwas miteinander verhandeln.

STANDARD: Sie konnten sich die Schauspieler für Ihre Inszenierung nicht, wie sonst üblich, selbst aussuchen. Haben Sie das Konzept um Tobias Moretti und Stefanie Reinsperger herumgebaut?

Sturminger: Natürlich! Das sind ja nun wirklich keine schlechten Vorgaben. (lacht) Es ist eine fantastische Besetzung, bis in die kleinsten Rollen. Mit dem Tobias haben wir einen Vollblutschauspieler und Publikumsliebling, das ist ein großes Geschenk. Er wurde schon des Öfteren gefragt, nun hat sich das für uns glücklich ergeben. Er ist jemand, der das Stück tragen kann, das ist eine großartige Voraussetzung.

STANDARD: Und eine Herausforderung für die Regie. Moretti wird ja auch seine eigenen Vorstellungen von der Rolle haben.

Sturminger: Ich arbeite gern mit starken Leuten. Ich begreife den Beruf nicht als Arbeit, die jemand im stillen Kämmerchen konzipiert und dann puppenspielartig exekutiert. Ich habe grundsätzlich das Gefühl, dass eine Kunst, die so viele Menschen braucht wie das Theater, nicht richtig genutzt ist, wenn sich die beteiligten Menschen nicht wirklich und echt einbringen können.

STANDARD: Also ein prozesshafter Vorgang?

Sturminger: Ja, natürlich. Die Premiere ist nur eine gesetzte Wegmarke. Das Schöne am Theater ist ja, dass die Entscheidung des Schauspielers im Augenblick, instinktiv, erfolgt. Bei den Proben versuche ich den Leuten Offenheit und Verbundenheit zu vermitteln, dass sie aufeinander achten und miteinander spielen. Dann können sie einander, unter Einhaltung von Abmachungen, auch überraschen, und es wird ein großes Miteinander. Das ist eine meiner Stärken, dass ich im Teambuilding die Menschen dazu ermuntern kann, das Beste von sich zu geben.

STANDARD: Sind Sie ein In-die-Tiefe-Bohrer oder jemand, der eher intuitiv arbeitet?

Sturminger: Ich lese viel und bereite mich sehr gut vor. Profunde Auseinandersetzung mit dem Stoff ist mir wichtig. Meine Verbundenheit zu Hofmannsthal kam bis dato aus der Oper. "Ariadne" habe ich mehrfach inszeniert. Die historischen und referenziellen Fakten bieten Inspiration.

STANDARD: Das Stück handelt laut Untertitel zwar vom Sterben des reichen Mannes. Aber geht es nicht viel mehr um das Leben, das er führt?

Sturminger: Die Kernszene des Stückes ist, wenn der Tod ins Leben dieses Mannes tritt. Was geschieht, wenn der Tod kommt? Wie gehen wir als Individuum, als Gesellschaft damit um, konfrontieren wir uns damit, oder leugnen wir es? Daher ist auch die große Wirkung des Stückes immer noch da, denn es ist eine Frage, die alle Menschen, jedermann, betrifft. Wir werden keine Ergebnisse im Sinne von Ratschlägen haben, wie man mit dem Tod und dem Wissen darum umgehen soll, aber Anstöße liefern, womit man sich im Leben auseinandersetzen muss. Nicht die Feinheit der Dramaturgie, der geistreiche Witz, die gut gebaute Mechanik machen die archaische, fast würde ich sagen, mythische Kraft des Stückes aus. Sondern diese ganz profunde Frage: Wie hältst du es mit dem Tod?

STANDARD: Ist es ein moralisches oder ein moralisierendes Stück?

Sturminger: Wenn man es oberflächlich anschaut, springt einem das Moralisierende ins Auge. Wenn man sich genauer damit beschäftigt, kann man dem bei liebevoller Betrachtung eher Moral als Moralisierendes abgewinnen. Wir werden darum kämpfen, dass es keine moralisierende Inszenierung wird, ganz im Gegenteil. Je mehr an Farben dieser Mensch hat, je mehr sich herausstellt, dass er Ambivalenzen hat, umso interessanter ist es, ihm zuzuschauen. Ich hoffe, dass man ihn nicht mit "gut" oder "schlecht" charakterisiert, sondern sieht, wie gebrochen er am Ende ist. Daher nehme ich die Geschichte mit dem Glauben am Ende ernst. Ich fände es traurig, es zynisch zu erzählen.

STANDARD: Kann man den "Jedermann" ohne Religion, ohne katholische Schuld-und-Sühne-Grundierung interpretieren?

Sturminger: Ohne religiös zu sein: ja. Ohne Religion: nein. Ich werde keine religiöse Botschaft bringen können, glaube auch nicht, dass es Aufgabe des Theaters ist, religiöse oder ideologische Glaubenssätze zu festigen, zu implementieren oder zu propagieren. Sondern dass man Fragen stellt und mit Dingen konfrontiert, die man sonst ausblendet. Und ich finde auch den Umgang mit Schuld sehr interessant – aus dem Wissen heraus, dass es unser Schicksal ist, schuldig zu sein. Aber deshalb müssen wir uns nicht klein oder schlecht fühlen. Der Glaube sagt, solange du auf der Welt bist, kann man dir vergeben. Das ist doch ein sehr schöner Gedanke!

STANDARD: Der Mammon sagt: "War dir geliehen für irdische Täg und geh nit mit auf deinen Weg, geh nit, bleib hier, lass dich allein ..." Ist es ein antikapitalistisches Stück?

Sturminger: Natürlich, der Text ist ganz klar kapitalismuskritisch. Gleichzeitig schätze ich den Aspekt, dass Jedermann das Leben genießen will. Mich fasziniert das immer, wenn Menschen genießen können. Ich bin ein durchaus hedonistischer Mensch, Genuss finde ich etwas sehr Lebensbejahendes. Erfüllte Lebensfreude in geistiger, körperlicher und seelischer Hinsicht ist notwendig, um ein glücklicher Mensch zu sein. (Andrea Schurian, 22.6.2017)