Zwei Fadenwürmer, zwei Zustände: Das obere Exemplar schläft, das untere ist wach.

Foto: Annika Nichols/Manuel Zimmer

Wien – Am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien erforschen Neurobiologen das Schlafverhalten anhand von Fadenwürmern. Die Wahl der Modellorganismen kommt nicht von ungefähr: Mit eigens entwickelten Verfahren können sie dabei alle Nervenzellen der Tiere beim Einschlafen und Aufwachen beobachten, berichten sie aktuell im Fachjournal "Science".

Alle Organismen, die ein Nervensystem besitzen, weisen Schlafphasen mit drastisch veränderter Gehirnaktivität auf. Der Grund dafür ist noch immer unklar. Auch jene Mechanismen, die das Gehirn einschlafen und erwachen lassen, sind noch weitgehend rätselhaft. Ein Team um Manuel Zimmer vom IMP konnte nun an Fadenwürmern die Übergänge zwischen Wachen und Schlafen im Detail studieren und zeigen, dass Schlaf bei Müdigkeit ein stabiler Grundzustand des Gehirns ist, auf den es unweigerlich zusteuert, wenn starke äußere Reize fehlen.

Steuerung mit Sauerstoff

Zimmer vergleicht diesen Zustand mit dem einer ruhenden Kugel in einer Mulde. Nur durch einen Anstoß lässt sie sich bewegen, rollt dann aber sogleich zurück. Ähnlich sei es mit dem Schlaf, aus dem die Tiere durch einen passenden Reiz geweckt werden und in den sie spontan wieder zurückfallen. Für ihre Schlafstudien wählten die Forscher den winzigen Fadenwurm C. elegans, weil sein Nervensystem nur 302 Zellen umfasst – klein genug, um mit speziellen Verfahren die Aktivität sämtlicher Gehirnzellen in Echtzeit zu messen. Das war die Voraussetzung, um die tief greifenden Veränderungen beim Übergang zwischen Wachen und Schlafen zu erfassen.

Die nächste Herausforderung war es, Wach- und Schlafphasen der Würmer zu steuern. Dies gelang den beiden Doktoranden Annika Nichols und Tomas Eichler, indem sie die Frischluftzufuhr ihrer Wurmkulturen veränderten: C. elegans lebt in der Erde, wo viele Mikroorganismen atmen und die Sauerstoffkonzentration niedrig halten. Deshalb bevorzugen Würmer niedrige Sauerstoffkonzentrationen und können, sobald sie müde sind, unter diesen Bedingungen schlafen, was Nichols und Eichler experimentell belegen konnten. Darauf aufbauend entdeckten die Forscher, dass Frischluft mit 21 Prozent Sauerstoffgehalt die Tiere in einen Alarmzustand versetzt und rasch aufweckt. Die Forscher nutzten dies in ihren Experimenten wie einen Schalter, um die Tiere zwischen Schlafen und Wachen wechseln zu lassen.

Vorhersagbares Einschlafen

Nichols maß dann die Aktivität aller Nervenzellen im Gehirn während dieser Wach-Schlaf-Übergänge. Es zeigte sich, dass ein Großteil der Zellen, die beim wachen Tier sehr aktiv sind, im Schlaf ruhen. Es gibt jedoch einige Zelltypen, die davon ausgenommen sind: die sogenannte RIS-Zelle etwa, von der bekannt ist, dass sie eine schlaffördernde Substanz produziert. Die Wissenschafterin konnte zeigen, dass diese Zellen auch bei wachen Tieren aktiv sind, und zwar besonders dann, wenn die Schlafneigung hoch ist. Aus der Aktivität dieser spezialisierten Nervenzelle lässt sich also die Müdigkeit des Gehirns ableiten und vorhersagen, wann das Tier einschlafen wird.

Eine besonders interessante Beobachtung machte die Forscherin, als sie das Gehirn beim Einschlafen genau beobachtete. Einer Computeranalyse deutete an, dass die Netzwerkaktivität sich spontan und von selbst in einen Grundzustand versetzt. Eigentlich hatten die Forscher angenommen, dass die RIS Zelle das Nervensystem "zum Schweigen" zwingt. Tatsächlich scheint RIS aber ein Zusammenspiel der beteiligten Nervenzellen zu etablieren, bei dem der Wechsel zwischen Schlaf und Wachheit bereits durch subtile Veränderungen im Gehirn gesteuert werden kann. (APA, 23.6.2017)