Als domestizierte Diva präsentierte sich Anja Harteros im Konzerthaus.

Foto: marco borggreve

Wien – Man kennt sie in Wien gut, doch nicht als sie selbst. Man kennt sie an der Staatsoper als stolze, aufbrausende Floria Tosca, die für ihren künstlerisch ambitionierten Liebhaber über eine Leiche geht, man kennt sie als Elisabetta, die zwischen den Macht- und Liebesinteressen der spanischen Königsfamilie zerrieben wird. Als Marschallin sinniert sie über die Zeit, im Plauderton kokettiert sie als Arabella.

Im Konzerthaus war Anja Harteros am Mittwochabend einmal ohne Kostüm zu erleben, angetan nur mit einer türkisfarbenen Abendrobe und reichlich Lust auf einen Liederabend mit Wolfram Rieger als pianistischem Begleiter.

Anstelle der emotionalen Achterbahnfahrten der Oper war nun also ein beschaulicher Spaziergang durch die Ziergartenlandschaften des Liedgesangs angesagt. Die Harteros als domestizierte Diva: Kann das denn gut gehen?

"Stille Tränen", die in Zeitlupe fließen

Doch, schon. Schuberts Fischerweise trug sie sogar fast zu zurückhaltend vor, doch schon Die Forelle schoss "in einem Bächlein helle" mit dezenter Agilität herum. Große Oper erlaubte sich Harteros augenblicksweise bei Schumann, etwa bei den Stillen Tränen, die allerdings fast in Zeitlupe flossen. Die Entdeckung der Langsamkeit wurde zu einem interpretatorischen Leitmotiv des Abends, welches sich bis in den Zugabenteil durchzog, bis zu Strauss' Zueignung.

Bei Alban Bergs Sieben frühen Liedern mit ihrem Fin-de-Siècle-Reichtum konnte sich Harteros noch mehr aussingen und ihr haselnussfestes, kirschschwarzes Timbre oft in glänzend-glatter Vollendung präsentieren. Die Beanspruchung durch die vielen Opernschlachten hörte man ihrem Sopran fallweise an, jedoch nicht über Gebühr.

Und wen befremdet hatte, dass die 44-Jährige ausgerechnet am Abend der Sommersonnenwende Strauss' Allerseelen darbot, wurde durch die herbstlichen Huststürme des Publikums im zweiten Programmteil eines Besseren belehrt.

Und Wolfram Rieger? Der Routinier war ganz samtener Sanftmut, war ein behutsamer Flüsterer, ein akribischer Verdeutlicher des Geschehens. Trotzdem: Einen etwas heißblütigeren Impulsgeber hätte eine Diva, die ein komplettes Orchester zu bändigen vermag, schon ertragen.

Großer Beifall im großen Konzerthaussaal. Und dann noch drei Zugaben. (Stefan Ender, 22.6.2017)