Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat vor dem EU-Gipfel in Brüssel seine enge Abstimmung mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel betont. "Wir arbeiten sehr konkret Hand in Hand", sagte Macron vor Beginn des Gipfels am Donnerstag in Brüssel.

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So gelöst, beinahe fröhlich hat man Angela Merkel zum Auftakt eines EU-Gipfels lange nicht mehr gesehen. Es sei nun "eine Zeit, in der wir in allen Mitgliedsländern Wachstum haben", sagte die deutsche Kanzlerin am Donnerstag, als sie vom Vortreffen der Parteichefs der Christdemokraten (EVP) ins Brüsseler EU-Ratsgebäude kam.

"In optimistischer Stimmung" gelte es jetzt "die Veränderungen für die Menschen spürbar zu machen", ob bei Arbeitsplätzen oder den Anstrengungen für mehr Sicherheit. In Bezug auf eine andere (personelle) Veränderung beim Gipfel wirkte Merkel besonders zufrieden: "Zum ersten Mal ist der neue französische Präsident dabei. Ich freue mich. Gerade Kreativität und neue Impulse aus Frankreich tun gut, tun allen gut", erklärte sie.

So deutlich wie nie hielt sie dazu auch fest: "Die Zukunft ist für mich wichtiger als der Austritt von Großbritannien." Die EU-27 müssten zusammenhalten, "einen klaren Fokus auf die Zukunft mit 27 (Staaten, Anm.) legen".

"Hand in Hand Vorschläge präsentieren"

Es klang wie eine politische Zeitenwende. Nur kurz vor ihr war der angesprochene Emmanuel Macron eingetroffen. Und dieser brachte zu seinem ersten EU-Gipfel vor allem eine zentrale Botschaft mit: Egal bei welchen Themen – Terror, Migration oder Verteidigung -, die bis Freitag besprochen werden, zu allem habe er sich mit den deutschen Partnern sehr umfassend vorbereitet: "Wir werden Hand in Hand Vorschläge präsentieren", so Macron, "werden mit einer Stimme sprechen", in großer Konvergenz.

In Interviews mit mehreren Zeitungen hatte Macron noch vor der Abreise aus Paris betont, dass er sich die Rückkehr zum Geist der Kooperation wie einst zwischen François Mitterrand und Helmut Kohl wünsche. Sonst drohe der Zerfall: "Die Frage ist: Wird Europa seine Grundwerte verteidigen, die es über Jahrzehnte in aller Welt verbreitet hat – oder weicht es zurück angesichts des Erstarkens illiberaler Demokratien und autoritärer Regime?", so Macron.

Kritik an Ungarn, Polen

Ohne die Regierungen in Polen und Ungarn beim Namen zu nennen, übte er scharfe Kritik an deren "zynischer Herangehensweise" in der EU, die ihnen nur dazu diene, Geld zu verteilen, ohne Werte zu respektieren. "Europa ist kein Supermarkt, Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft", wurde er in der Süddeutschen Zeitung zitiert. Ungarns Premier Viktor Orbán sagte dazu, Macron sei ein "Frischling".

In den EU-27 ist offenbar bereits mit dem Start der Brexit-Verhandlungen eine neue Ära angebrochen, in der Berlin und Paris den Ton vorgeben, egal was auf der Tagesordnung steht: beim Kampf gegen den Terror oder zur Lage in der Ukraine und der Türkei – Themen, die am ersten Tag auf der Tagesordnung standen. Oder bei der Migration und dem Zurückdrängen der illegalen Flucht via Libyen nach Europa mit einem Bündel von Maßnahmen, worum es am Freitag gehen soll.

"Es gibt gerade eine Dynamik. Das ist nicht nur ein Strohfeuer", erklärt Kanzler Christian Kern die Lage. Nach einem Vortrag von Merkel und Macron wurden eine Verlängerung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland um weitere sechs Monate beschlossen. Der Gipfel bestätigte auch den Plan zur Schaffung einer Verteidigungsunion in Form "verstärkter Kooperation" (Pesco) auf freiwilliger Basis.

Rechte der EU-Bürger

Für die britische Premierministerin Theresa May werden EU-Gipfel umgekehrt langsam zu Abschiedsveranstaltungen. Sie präsentierte am Abend konkrete Vorstellungen, wie sie sich den Brexit vorstelle und welche Art von Anschlussbeziehungen sie anstrebe. Im Anschluss daran berieten die Regierungschefs – ohne sie – im Format EU-27 darüber. May kündigte an, dass sie als Erstes die Rechte aller EU-Bürger, die in jeweiligen Gastländern leben und arbeiten, Briten wie Nichtbriten, außer Streit stellen wolle.

May will EU-Bürger wegen des Brexits nicht zum Wegzug aus dem Königreich zwingen oder ihre Familien auseinanderreißen. Zudem habe sie zugesagt, dass alle Betroffene ihren Status klären dürften, die am Tag des Brexits in Großbritannien lebten, sagten britische Regierungsvertreter.

Fünf Leitlinien

May legte den Angaben zufolge ihren EU-Kollegen insgesamt fünf Leitlinien für den Umgang mit den Rechten von britischen und EU-Bürgern im jeweils anderen Hoheitsgebiet dar. Demnach schlug sie vor, dass EU-Bürger alle Rechte wie ihre britischen Nachbarn erhalten, wenn sie mindestens fünf Jahre im Königreich leben. Ein Datum, ab wann die fünf Jahre gelten, müsse aber noch festgelegt werden. Dieses Datum soll zwischen dem Tag der offiziellen Bekanntgabe des EU-Austritts am 30. März diesen Jahres und dem Brexit-Datum am 29. März 2019 liegen.

Die Rechte würden Bildung, den Zugang zum Gesundheitssystem oder das Rentensystem umfassen. Auch diejenigen, die weniger als fünf Jahre in Großbritannien lebten, hätten die Möglichkeit, diesen neuen Status zu erreichen. May forderte den Regierungsvertretern zufolge die gleichen Rechte für die rund eine Million in der EU lebenden Briten.

Verhaltene Reaktionen

Merkel erklärte, das Angebot sei "ein guter Start" gewesen, viele Themen müssten aber noch geklärt werden. Bundeskanzler Kern sprach von einem "langen, langen Weg für Verhandlungen". Es sei "ein erster Vorschlag, über den man einmal diskutieren kann. Der regelt allerdings nicht das gesamte Problem". Es seien immer noch genug Menschen davon betroffen, für die es Unklarheit gibt".

Sehr konkret muss vor dem Brexit die Frage gelöst werden, in welche Mitgliedsländer zwei in Großbritannien angesiedelte wichtige EU-Agenturen nach 2019 übersiedelt werden: die Bankenaufsichtsbehörde EBA und die Arzneimittelagentur EMA. Beide beschäftigen hunderte Mitarbeiter und bringen den Gastländern neben Arbeitsplätzen und Geld auch viel Prestige. Um die Vergabe bemühen sich demnach viele EU-Staaten, auch Österreich. Bundeskanzler Christian Kern sagte, er rechne sich gute Chancen für Österreich aus, es gebe "Standortvorteile", insbesondere, weil einige Pharmafirmen und zehntausende Forscher in diesem Bereich tätig seien. Es soll ein transparentes Punktesystem für den Vergabeprozess geben. Die Entscheidung wird im Herbst fallen. (Thomas Mayer aus Brüssel, 22.6.2017)