Mittlerweile gibt es sie vermehrt, Serien, in denen Frauen mehr sind als ein Love Interest der männlichen Hauptfigur. Da sind zum Beispiel die Girls in "Girls", die ganz normal ausschauen dürfen. Oder die Gefängnisserie "Orange Is The New Black", in der Frauen sowieso alles sein dürfen. Oder "I Love Dick", wo Frauen Männer zum Sexobjekt reduzieren dürfen. Aber ist das jetzt nur eine zufällige Häufung, oder hat sich strukturell was verändert? Wie viel Feminismus hat derzeit Platz im Serienuniversum? Und: Was ist das überhaupt, eine feministische Serie?

Doris Priesching: Diese Häufung von starken Frauenserien mit dezidierten Standpunkten finde ich spannend, vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Sexismus-Debatte, die in Hollywood geführt wird. Die es übrigens, das nur in einem Nebensatz, bei uns überhaupt nicht gibt, die es aber sehr wohl geben könnte. Ich bin nach wie vor ein Fan des Handgreiflichen, also dieses Zupackende in "Orange Is The New Black" gefällt mir immer noch sehr. Von der Grundidee der Geschichte Piper Kermans entfernt sich die Serie immer mehr und wird auch dafür kritisiert. Ich denke, es hat mit dem Plan der Serienerfinderin Jenji Kohan zu tun, die daraus eben diese Frauen-Selbstbestimmungskiste strickt, die sie offenbar heute als dringend notwendiger denn je erachtet.

Daniela Rom: "Orange Is The New Black" funktioniert für mich ja nur bedingt als "feministische" Serie. Es ist die klassische Gefängnisserie mit dem reichen Mädl, das irgendwie auf die schiefe Bahn gerät, und dann Bäm: Häfn. Und da sind dann die ganzen toughen Damen, die sich durchs Gefängnis schlagen, Allianzen gründen, sich gegen die Wärter behaupten müssen und irgendwie überleben.

All the ladies in "Orange Is The New Black".
Foto: Netflix

Michaela Kampl: Einspruch! "Orange Is The New Black" ist für mich definitiv eine feministische Serie – vielleicht sogar DIE feministische Serie derzeit. Warum? Weil bei den Ladys der Zuckerguss weg ist, der sonst so oft Frauenrollen definiert oder, sagen wir besser, dominiert. Die Damen in "Orange Is The New Black" dürfen schiach sein, Mörderinnen und Komplizinnen, Mütter und Feinde, liebevoll und grausam. Alles, was Männer schon immer in Filmen und Serien und Romanen und sowieso allen Erzählungen sein durften. Sie sind groß, klein, dick, dünn, schwarz, weiß, lateinamerikanisch, jung, alt. Der Rest, ja, ist klassische Gefängnisgeschichte – aber was Frauen in dieser Serie sein dürfen, gibt es sonst kaum wo so geballt und gleichzeitig so divers zu sehen. Das ist es, was für mich eine feministische Serie derzeit ausmacht: die Rollen, die Frauen in ihr einnehmen können.

Doris Priesching: Ich stimme dir zu, die Frauen sind überhaupt nicht Hochglanz, was sich schon einmal angenehm abhebt. Die Serie ist darüber hinaus politisch relevant – weil in den USA die Gefängnisse übergehen und das nirgendwo thematisiert wird.

Daniela Rom: Die Selbstbestimmungstendenzen, die du angesprochen hast, Doris, sehe ich ja eher in gesellschaftskritischen Themen als in feministischen. Aber vielleicht ist das auch alles eins. Ich hab ja unlängst "I Love Dick" angesehen, eine Serie, die uns ja dezidiert als feministisch verkauft wurde, das gleichnamige Buch gilt als eines DER feministischen Werke der jüngeren Vergangenheit.

Doris Priesching: Ich habe erst drei Folgen gesehen, aber ich muss sagen, "I Love Dick" verwirrt mich komplett, ich hab das Buch zuerst gelesen und hatte damit schon meine Probleme, weil ich nicht verstanden habe, worauf Chris Kraus hinauswill. Die Beschreibung von Gemälden fand ich öde (Tschuldigung), die biografischen Schilderungen von zentralen Künstlerinnen haben mich mehr interessiert, mehr noch als die Briefe an Dick. Dass die Serie das Buch nicht übersetzen kann, war klar. Aber dass das bis jetzt so eine Lieb-dich-hass-dich-Sauce wird, hat mich enttäuscht. Vielleicht wird das noch – was sagt ihr?

Ein Mann namens Dick und sein Pferd.
Foto: amazon/Patrick Wymore

Daniela Rom: Ich versteh dich so gut. Ich hab im Buch seitenweise Passagen überblättert, weil ich mich so furchtbar gelangweilt habe – ja genau, bei den Künstlerpassagen. Ich finde, in der Serie ist das etwas besser gelöst, am Schluss bin ich aber von diesem freigeistigen Künstlergehabe wirklich genervt. Und von dieser Kindergartenkiste, die eigentlich alle aufführen. Und Dick ist einfach ein Idiot, Chris aber auch nicht viel gescheiter. Mich hat das dann sehr stark daran erinnert, wie es mir mit "Girls" ging. Die sind mir auch alle sehr auf die Nerven gegangen. Was aber vielleicht daran liegt, dass diese simplen Nichtgeschichten, die da erzählt werden, recht nahe an den sinnlosen Gedankengängen und Handlungen dran sind, die wir täglich machen. Dass dieser Blick auf narzisstische Unsympathler viel schwerer auszuhalten ist, als der Blick auf irgendetwas, was man selbst nicht ist und weit weg vom eigenen Alltag ist. Vielleicht ist das ja das bahnbrechend Neue: Die kleinen Geschichten, die alltäglichen, eigentlich eher faden, die aber näher an uns dran sind als das Hochglanzzeug aus zum Beispiel "Sex and the City".

Doris Priesching: Als Entwicklungsgeschichte oder sagen wir Emanzipationsgeschichte geht sich "I Love Dick" jedenfalls nicht aus. Dass Frauen scheitern und dabei sich zum Deppen machen dürfen, ist für mich noch kein Fortschritt für den Feminismus. Ich brauch keine Heldinnen oder Vorbilder als Frauenfiguren, aber diese Unterwerfung, dieses Sichselbstkleinmachen für einen Volltrottel beschädigt meiner Meinung nach das Frauenbild eher als es die Möglichkeiten ausweitet.

Doris Priesching: "Girls" mochte ich wegen des Humors und wegen der in allem innewohnenden Aussage, dass nichts und niemand im Leben perfekt ist, Frauen schon gar nicht, dass Scheitern eine Kunst und ein Recht ist. Also "Girls" bringt uns sicher weiter.

Die Girls in "Girls" – so normal, dass sie nerven. Oder langweilen. Oder geliebt werden. Wir sind uns nicht einig.
Foto: hbo

Michaela Kampl: Bin da ganz bei dir, Doris: "Girls" ist so echt und deswegen so schön. Es durfte in Sexszenen der Bauch schwabbeln, es durften Leute gemein und rücksichtslos sein, es durften Freundschaften zerbrechen, und gleichzeitig ging das Drehbuch immer liebevoll mit den einzelnen Figuren um. Es gab keine Bösewichte, Frauenfreundschaften waren nicht aus Zement und wurden nicht bei jedem Cocktail oder Sonntagsbrunch zelebriert wie bei "Sex and the City". Und versteht mich nicht falsch, ich liebe "Sex and the City" – aber "Girls" konnte 20 Jahre danach einfach noch einen Schritt weitergehen.

Doris Priesching: Die feministischste Serie derzeit ist für mich "Big Little Lies". Ich meine, da sieht man so schön die Entwicklung der Wendejahre – erst war "Sex and the City", alles noch lustig, zum Schluss unerträglich romantisch, dann "Desperate Housewives", der Mittelstand, der manchmal im Frust versinkt. Bei "Big Little Lies" ist es fast schon gefährlich, Frau zu sein. Frauenhass ist keine abstrakte Größe – weder aktiv noch passiv. Der Hass von Frauen ist ja da ebenso stark wie der Hass gegen Frauen. Abzüge gibt es natürlich für den leidigen Hollywood-Rassismus, den Cast nur mit Weißen zu besetzen, das ist absurd.

Daniela Rom: Für mich ist ja die feministischste Serie der letzten Jahre "Good Wife".

Doris Priesching: Das stimmt, das stimmt!

Daniela Rom: Mehr Selbstbestimmung und Entwicklung in weiblichen Hauptfiguren gibt's wohl nirgends. (Michaela Kampl, Doris Priesching, Daniela Rom, 25.6.2017)