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Ausschließlich Fragen, die einen Bezug zu den Anforderungen und zu beruflichem Erfolg haben, gehören laut Tuulia Ortner ins Bewerbungsgespräch.

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In den vergangenen Wochen wurde die rechtliche Situation im Hinblick auf Informationen, die im Bewerbungsgespräch erfragt werden dürfen, im KarrierenStandard dargestellt. In einem kritischen Gastkommentar führte ein Kommunikationsberater dann unter anderem seine Vorliebe für sogenannte verbotene Fragen aus, und dass es ihm im Bewerbungsgespräch "primär um emotionale Eindrücke wie Vertrauen, Sympathie oder Konstruktivität" gehe.

Negative Konsequenzen sind oft nicht bewusst

Noch immer sind vielen Unternehmen die negativen Konsequenzen von Bewerbungsinterviews, die mithilfe zweifelhafter Fragen eine Spielwiese für subjektive Theorien, Bauchgefühl und manchmal auch für Voyeurismus eröffnen, nicht bekannt. Dadurch entgehen den Recruitern häufig wirklich nützliche Infos.

Dem kann ein Unternehmen eigentlich nur in Ausnahmefällen gleichgültig gegenüberstehen, nämlich dann, wenn 1) ausreichend viele geeignete Bewerbende Schlange stehen, wenn 2) für eine bestimmte zu besetzende Stelle für eine erfolgreiche Erfüllung keine (messbaren) tatsächlichen Anforderungen an Personenmerkmalen bekannt sind, um beruflich erfolgreich zu sein, wenn 3) der Fairness als Qualitätsmerkmal keine Relevanz zugeschrieben wird, und zuletzt, wenn 4) das Unternehmen kein Interesse daran hat, einen positiven Eindruck bei Bewerbern zu hinterlassen.

"Schmidt sucht Schmidtchen" hat ausgedient

Die gesellschaftlichen Entwicklungen legen allerdings das Gegenteil nahe, wie der deutsche Personalpsychologe Martin Kersting bereits 2011 schrieb: Die Bewerbungslandschaft ändert sich gerade gewaltig – das eignungsdiagnostische Schlaraffenland ist abgebrannt. Bisher konnten sich Firmen auf einen Bewerbertypus konzentrieren, häufig wurde unstrukturiert nach dem "Schmidt sucht Schmidtchen"-Prinzip" vorgegangen – es wurden also Personen bevorzugt, die den Auswählenden in Erfahrungen, Einstellungen und Auftreten am ähnlichsten, oder, anders formuliert, am "sympathischsten" sind.

Der fortschreitende demografische Wandel bringt allerdings langsam, aber sicher weniger Bewerbende an den Interviewtisch, die Fachkräfte werden knapp – und nicht nur das: Die zukünftigen Beweberbenden sind heterogener. Organisationen, die diesen Wandel erfolgreich bestehen wollen, müssen sich also zunehmend mit der validen Erfassung der Qualifikationen von Personen größerer Diversität beschäftigen. Dabei geht es unter anderem um Menschen aus anderen Kulturkreisen, Bewerbende jenseits des Lebensalters 50, Wiedereinsteigerinnen oder um Personen mit Behinderungen. Diese Menschen erleben bei nicht geplanten, nicht anforderungsbasierten Gesprächen erwiesenermaßen Nachteile. Fragen nach Lebensplanung und Hobbys tragen nachweislich keine Information dazu bei, Personenmerkmale und berufsrelevante Erfolgskriterien besser oder genauer vorherzusagen. Fairness ist daher in diesem Zusammenhang keine Frage der Höflichkeit oder der Political Correctness, sondern eine Frage der Aussagekraft eines Interviews.

Spezielle Skills notwendig

Vertreter aus Praxis und Wissenschaft haben sich im Juli 2016 in Deutschland auf eine grundlegende Überarbeitung und Erweiterung der Qualitätsnorm DIN 33430 – "Anforderungen an berufsbezogene Eignungsdiagnostik" – geeinigt. Interviews und Verhaltensbeobachtungen müssen demnach unter anderem von Personen durchgeführt werden, die qualifiziert sind und etwa Kenntnisse zu Interviewklassifikationen, zur Handhabung von Leitfäden, zur Kulturabhängigkeit von Verhalten und Anforderungen, zur Abhängigkeit der Eignungsbeurteilung von Stereotypen (Geschlecht, Alter, Herkunft), zu Fragetechniken, Beobachtungs- und Beurteilungsfehlern sowie zum Umgang mit Selbstdarstellungsstrategien vorweisen können. Außerdem fordert die DIN eine Anforderungsanalyse, also eine systematische Zusammenstellung jener Eignungsmerkmale, welche nachweislich "zur beruflichen Leistung auf einem Arbeitsplatz bzw. zur erfolgreichen Bewältigung einer Ausbildung, eines Studiums, eines Berufs bzw. einer beruflichen Tätigkeit oder zur beruflichen Zufriedenheit beitragen".

Im Interesse von Bewerbenden wie auch der Unternehmen dürfen demnach im Zuge eines Auswahlverfahrens nur solche Verfahren (und Fragen!) zum Einsatz kommen, die nachweislich einen Bezug zu den Anforderungen und zum beruflichen Erfolg haben. Aus wissenschaftlicher Sicht besteht keine Notwendigkeit, Interessen von Bewerbenden und Unternehmen gegeneinander abzuwiegen, denn die anforderungsbasierte Sammlung von Informationen liegt in beidseitigem Interesse – mehr denn je! (Tuulia Ortner, 26.6.2017)