Wien – Wenn man einen Ungarn fragt, wie es ihm denn so geht – und er antwortet knapp "Áthatolhatatlan Félelmek", dann meint er damit nicht etwa die Sichtung eines grauenhaften, unbeschreiblichen und total urzeitlichen Wesens aus einem Horrortrip H. P. Lovecrafts. Die zwei Worte stehen vielmehr für unsere hiesigen "unpackbaren Ängste" oder die "unerträgliche Daseinsangst" im Gesamtpaket mit Türverriegeln, Rollos runter und Xanax und Schusswaffe auf dem Nachttisch.

Gravetemple alias Stephen O'Malley, Matt Sanders, Oren Ambarchi und Attila Csihar betreiben grabesschweren Metal als Zeitlupen-Jazz mit gebrochenen Fingern, ohne Umgreifen, aber mit Grunzen.
Foto: Svart Records

Sie haben also im Wesentlichen natürlich schon irgendwie mit Berge des Wahnsinns aus der Feder des alten US-Drogenfressers aus den 1930er-Jahren und seiner Cthulhu-Mythologie, der dazugehörigen Bibel namens Necronomicon und großen alten, einst aus dem Weltraum angedüsten und nun irgendwo in der Antarktis zwei Tage geradeaus und dann beim dritten Gletscher links vierhundert Meter nach unten Richtung Hohlwelt lebenden Gottheiten zu tun. Gegen die nehmen sich die säureschlabbernden Monster aus der Alien-Reihe oder das fluffige, sich ausschließlich von mit Stresshormonen gesättigtem menschlichem Blut ernährende Glibber-Knautschding aus dem aktuellen Reise-nach-Rom-Science-Fiction-Film Life aus wie der Grumpy Bear aus der Glücksbärchi-Saga. Natürlich ist es verständlich, wenn jemand die Ansicht vertritt, dass ein Glücksbärchi mehr Furcht einjagt als ein in den Gedärmen wühlendes Urviech. Die Angst aber, Freunde der finsteren Nacht, ist ja im Gegensatz zur Furcht nicht ursachenbedingt und zweckgebunden.

Áthatolhatatlan Félelmek ist das zentrale, titelgebende Stück des neuen Albums von Gravetemple namens Impassable Fears. Die besteht neben dem Schlagzeuger Matt Sanders und dem australischen Elektroniker und Multiinstrumentalisten Oren Ambarchi (Gitarre, Bass, Schlagzeug, Regler, Knöpfe, Klappcomputer) aus zwei altgedienten Extremisten der Metal-mit-Bindestrich-Szene.

Sotiris K

Der in Paris lebende US-Gitarrist Stephen O'Malley verschiebt sonst meist in Mönchskutte und Trockeneisnebel als Mitglied der intellektuell gedeuteten Dröhnland- und Zeitlupen-Metaller SunnO))) Erdplatten und braucht sich durch die Berge des Wahnsinns keine Tunnel zu graben. Er macht die Berge bei hosenflatternder Lautstärke einfach platt.

Der gelernte ungarische Musicalsänger Attila Csihar dürfte am bekanntesten als Donnergurgler der vorgeblich satanistischen, im Kern aber nihilistischen norwegischen Black-Metal-Institution Mayhem sein. Er trägt in dieser Funktion seit Jahrzehnten wesentlich dazu bei, dass die westliche Wertegemeinschaft zusehends von innen her durch das Virus des Anti zerfressen wird. Die Betonung liegt dabei auf "rotes Fleisch", besser roh als englisch.

Im Gegensatz zu ihren klar durchdeklinierten Hauptbands legen O'Malley und Csihar bei Gravetemple das Augenmerk auf freie Improvisation, was den Richtlinien des Jazz näherkommt als den Weltunterwerfungsbestrebungen des nicht minder noten- und akkordreichen Bindestrich-Metal.

Im Lande Duracell

Das Tempo bewegt sich knapp vor dem Stillstand und Umfallen. In diesem Dröhnland der waidwund grunzenden Agonie bei größtmöglicher Verzerrung der zweckentfremdet über Bassverstärker gespielten Gitarre halten sich Gravetemple allerdings eh nicht mit den Feinheiten des Düdeldüs und Umgreifens auf. Es geht vielmehr darum, in nächtlichen Exerzitien im lichtscheuen Duracell-Land das menschliche Leid an sich (und an sich selbst) sowie schließlich die Angst vor dem Tod zu erforschen. So man sich darauf bei nicht zu geringer Lautstärke auf diese quälenden Rituale, tiefergestimmt unten bei d-Moll oder c-Moll, einlässt, sind die 35 Minuten von Impassable Fears im gewissen Sinne natürlich auch reinigend. Den auf der Gitarre nachgestellten Totenglocken des abschließenden Stücks Az Örök Végtelen Üresség (Eternal Endless Void) wird man trotzdem nicht entkommen. Welche Vorstellung des Todes ist am Ende schrecklicher? Licht am Ende des Tunnels – oder Licht aus? Gute Nacht. (Christian Schachinger, 24.6.2017)