Der Präsident Nikolaus Lipurger am Grenzübergang der Republik Kugelmugel im Wiener Prater.

Foto: Regine Hendrich

Errichtet und zum Staat ausgerufen wurde Kugelmugel von seinem Vater, Edwin Lipburger, der 2015 verstorben ist.

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Nikolaus Lipburger will in dem weitläufigen Versammlungssaal der Mikronation künftig weiter Kunstevents organisieren.

Foto: Regine Hendrich

Wien – Davor ein Wirtshaus mit Gastgarten, dahinter die Silhouette des Riesenrads – sowie die Hochschaubahn, von der das Kreischen der Passagiere tönt: In der Spaßlandschaft des Wiener Wurstelpraters nimmt sich das stacheldrahtumzäunte Kugelhaus aus Holz klein und unauffällig aus.

Und doch ist dies ein Ort, an dem sich, nach wie vor, souveräne Ansprüche manifestieren: "Immerhin bin ich Präsident", sagt Nikolaus Lipburger. Im kreisrunden Versammlungsraum des Kugelmugel-Hauses, wo es, wie in einem Schrebergartenhaus, nach sonnenbeschienenem Holz riecht, erklärt er seine weiteren Pläne. Künftig werde es in dem überraschend weitläufigen Saal mit dem sich nach oben hin verjüngenden Holzdach vor allem künstlerische Events geben, sagt das Staatsoberhaupt der offiziell nicht anerkannten Nation.

Der Künstler Nikolaus Lipburger ist der Sohn und Erbe Edwin Lipburgers, eines akademischen Malers, der die Republik Kugelmugel 1976 gegründet hat. Der Vater ist 2015 mit 87 Jahren verstorben, doch seine Minination existiert weiter, mit eigenem Grenzübergang und Flaggenmotiv. Letzteres ist auf einem Holzschild zu sehen, das über der Eingangspforte zur Parzelle montiert ist. Es zeigt das Konterfei des Republikausrufers, mit fliegenden Haaren, vom Sohn in den 1980er-Jahren grafisch bearbeitet.

Auch gibt es ein Staatsvolk von rund 670 Menschen, die allesamt in Besitz eines eigenen Kugelmugel-Passes sind. Weitere Staatsbürger werden laut der im Netz auffindbaren Homepage der Republik aufgenommen. "Wir lockern unsere Asyl und Aufnahmepolitik, um damit ein Zeichen zu setzen", heißt es da.

Familieninterner Konflikt

Doch aufgrund familieninterner Konflikte ist die Einbürgerungspolitik vorübergehend zum Erliegen gekommen. Auf Anfragen gibt es keine Reaktion. Seinen hoheitlichen Aufgaben kommt Präsident Lipburger derzeit eher im Privaten nach. Etwa im heurigen Frühjahr, als er den Soziologen Roland Girtler zum Ritter von Kugelmugel schlug.

Mit dem Ausrufen eines eigenen Staates hatte der Vater, Edwin Lipburger, 1976 nach erbitterten baupolizeilichen Auseinandersetzungen die Konsequenzen gezogen. Um sein kugeliges Haus und das damit verbundene künstlerische Konzept zu schützen, schaffte er sich innerhalb Österreichs als "Revolutionsführer" seine eigene Gesetzlichkeit. "Da muss man sich schon abgrenzen, denn sonst verdirbt mir der andere, der nicht so weit ist, mein künstlerisches Verlangen, meine künstlerische Tätigkeit", erklärte er 2002 laut einer Audioaufzeichnung der Österreichischen Mediathek.

Als Vertreter der veränderungswilligen 1968er-Generation wollte Lipburger senior Behörden und Öffentlichkeit außerdem einen Spiegel vorhalten. Vom Organstrafmandat zur Gefängnisstrafe – 1979 saß er in Wiener Neustadt zehn Wochen wegen Amtsanmaßung ab – nahm er daher alle Widerstände, auf die er stieß, mit in sein Gesamtkunstwerk hinein.

"Nihilistische" Kugel

Am Anfang stand für ihn dabei die Entscheidung für die Kugelform an sich. 1960 stieß sich Edwin Lipburger in einem Kunstseminar an der dort vertretenen Bezeichnung, die Kugel sei "nihilistisch" im Gegensatz zu den Regeln der klassischen Architektur. "Das konnte nicht wahr sein. Wir leben ja auf einer Kugel, wir leben nicht mehr auf einer Scheibe", sagt er in nämlicher Audioaufzeichnung.

1971 schritt der gebürtige Vorarlberger im niederösterreichischen Katzelsdorf zur Tat. Auf einem kleinen hügeligen Grundstück, das er einem Landwirt abgekauft hatte – einem Mugel -, errichtete er sein Kugelhaus. Er bezeichnete es als begehbares Kunstwerk, doch die Behörde verweigerte ihm hartnäckig die Baubewilligung. Ihr Argument: Ein Kugelhaus entspreche den geltenden Vorschriften nicht, also könne es kein Kugelhaus geben.

Lipburger, der nichts anderes erwartet hatte, wehrte sich mit allen Mitteln, die Verwaltungsverfahren den Bürgern bieten. Als das nicht fruchtete, entzog er sich. Seine Republikgründung 1976 erscheint aus heutiger Perspektive wie eine Frühform der derzeit stärker werdenden staatsverweigernden Bewegungen – wenn auch ohne deren Rechtslastigkeit und Gewaltbereitschaft.

Ein Staat wie ein Skischuh

Auch der jetzige Kugelmugel-Präsident Nikolaus Lipburger betont, der Republik Österreich keine feindliche Haltung entgegenzubringen. Seine Minination sei vielmehr "mit einem Skischuh aus früheren Zeiten zu vergleichen, der eine Außenhülle und einen Innenschuh hatte". Drumherum sei Österreich, drinnen Kugelmugel: ein "künstlerisches Reservat". Mit einem solchen Konzept drohe der Republik in der Republik keine Gefahr vor den geplanten Strafbestimmungen gegen Staatsverweigerer, kommentiert Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags. "Zumal die Bestimmungen nach der Begutachtung auch auf unser Drängen hin entschärft wurden."

Auch in den Jahren nach 1976 kehrte um Kugelmugel keine Ruhe ein. Lipburger gestaltete Ortstafeln, die den offiziellen ähnelten – und wurde geklagt. Er editierte Kugelmugel-Ansichtskarten und deklarierte sie als Kunst. Für jene Karten, die er vor der 1982 erfolgten Verankerung der Freiheit der Kunst in Artikel 17 des Staatsgrundgesetzes verkauft hatte, sollte er 1987 rückwirkend einen Normalsteuersatz von 18 Prozent zahlen, schildert der Eventmanager Erich Félix Mautner, der über Kugelmugel und rechtliche Fragen zur Kunst arbeitet.

Umzugsmöglichkeit

Nachdem in Niederösterreich Anfang der 1980er-Jahre ein Abbruchbescheid für Kugelmugel ausgestellt worden war, nahmen Vater und Sohn Lipburger 1982 das Angebot des damaligen Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk (SPÖ) an und übersiedelten ihre Republik nach Wien. Doch: "Hätten wir gewusst, dass Kugelmugel in den Wurstelprater verräumt wird, hätten wir abgelehnt", sagt Nikolaus Lipburger.

Außerdem, so der Präsident, sei der dortige Verbleib bis heute unsicher, mit einem jederzeit widerrufbaren Superädifikat als Grundlage. Sowie: "Strom, Wasser und Kanalisation wurden uns trotz Klagen nicht eingeleitet." Bis heute, sagt Lipburger junior, müsse bei Veranstaltungen in der Kugel der Strom aus Nachbargrundstücken zugeleitet werden. Daher: "Sollte es für Kugelmugel eine reelle Umzugsmöglichkeit geben: Wir tun das." (Irene Brickner, 26.6.2017)