Mathis Huber: "Ich glaube, ketzerisch gesagt, dass eine barocke Orchestersuite im Kaffeehaus – sagen wir, es hieße ,Zimmermannsches Kaffeehaus' – besser aufgehoben ist als in der Philharmonie."


Foto: Regine Schöttl

Graz – Ein Ballett der Rösser, das bei der Styriarte unter dem Namen La Margarita (ab 13. 7.) firmiert, ist schon ungewöhnlich für ein Festival, das über viele Jahre mit dem Dirigentennamen Nikolaus Harnoncourt verbunden war. Intendant Mathis Huber bestreitet das nicht: "Ja, das ist ungewöhnlich, da man so etwas noch nie gesehen hat: ein barockes Opern-Pasticcio mit Balletteinlagen, die von Pferden getanzt werden, zu einer Musik, die für tanzende Pferde geschrieben worden ist. Und hier wird es jetzt auch wieder normal, weil: Wie sollten wir Johann Heinrich Schmelzers Balletti a Cavallo denn richtig ins Leben setzen ohne tanzende Pferde? Die mögen das übrigens sehr, die Pferde – das sind Showmen."

Huber wollte heuer "ein fröhliches Festival kreieren, eines, das Lebenslust verbreitet, Spaß macht. Ich halte das für die richtige Antwort auf jenen Überdruss, den ich in unserer Überflussgesellschaft wachsen spüre. Einen Überdruss, der das nie dagewesene Glück vergiftet, heute und hier leben zu dürfen – in Freiheit und Wohlstand inmitten einer Welt von Not und Schrecken."

Das Konzept der Styriarte geht dabei in die Breite. Das betrifft Stilistisches (zur Klassik auch Musical, Klezmer, Jazz); es meint aber auch Vermittlungsformen wie die erprobten Soaps, in denen Texte spielerisch auf Musik treffen, um Erhellendes zum jeweiligen Künstler beizutragen. Heuer u. a. zum Tanzpaar Fred Astaire und Ginger Rogers.

Für Huber ist noch mehr Breite möglich: "Wir stehen da erst am Anfang. Mit Nikolaus Harnoncourt haben wir unsere ganze Energie dafür eingesetzt, ihn bei seinen Tauchgängen in die tiefsten Tiefen von Partituren zu begleiten. Das war einzigartig, daher bis auf Weiteres wohl auch nicht zu wiederholen."

Die Zeit der Breite

Jetzt würde die Styriarte-Energie dafür eingesetzt, "die schöne Breite auszuloten. Das ist absolut aufregend und kann vielleicht noch mehr Menschen glücklich machen und sie durch Kunst verzaubern lassen. Es braucht beide Richtungen; das Buch Kohelet ergänzend, würde ich sagen: Die Tiefe hat ihre Zeit und die Breite hat ihre Zeit." Dass manche Formate, indem sie locker und eventartig daherkommen, zur Oberflächlichkeit des Hörens verführen, sieht Huber entspannt.

"Dass man der Kunst mit der Strenge des bürgerlichen Konzertsaals begegnen muss, ist doch eine zeitgebundene Ansicht. Es gibt genug große Musik, für die eine gewisse Oberflächlichkeit sogar die richtigere Rezeption ist. Stichwort Film, Tanz, sogar Oper. Da ist nicht das Musik-Kunstwerk grundsätzlich im Brennpunkt der Aufmerksamkeit. Ich glaube, ganz ketzerisch gesagt, dass eine barocke Orchestersuite im Kaffeehaus – sagen wir, es hieße 'Zimmermannsches Kaffeehaus' – besser aufgehoben ist, als in der Philharmonie." Umgekehrt kenne er "für eine Symphonie von Brahms keinen Ort, an dem sie sich besser erschließen ließe, als in ebenjener Philharmonie".

Historisch informiert

Das Aufbrechen der klassischen Konzertsaalsituation könnte ja auch als "historisch informierte Programmierung" gedeutet werden? "Das ist ein sehr lustiger Begriff, diese ,historisch informierte Programmierung'. Er ist leider nicht von mir, aber er bringt es auf den Punkt: So vielfältig wie die ursprünglichen Bedingungen und Funktionen unserer Kunst waren, so ausdifferenziert müssen wir sie auch wieder präsentieren. Dann erschließt sich auch ihr Sinn viel leichter. Ich habe immer bevorzugt, die Musikvermittlung zum Gegenstand der Programmgestaltung zu machen, und sie nicht hinterher dazuzukleistern. Ich sehe darin wirklich eine Fortsetzung des Weges, den Harnoncourt eingeschlagen hat. Er wäre ihn vielleicht nicht ganz mitgegangen, er hatte eine andere Mission. Aber er hätte uns Glück gewünscht."

Breit muss das Publikum der Styriarte auch aus ökonomischen Gründen sein: "Die Styriarte lebt zur Hälfte von Publikumseinnahmen. Das ist ein hoher Wert, der uns verwundbar macht. Wir können nicht Experimente ansetzen, die nicht funktionieren, was aber zum Wesen eines Experiments gehören würde – nämlich, dass es auch scheitern kann. Unser Publikum ist aber eine neugierige Gemeinschaft, ein Teil von jener ,Entdeckergemeinschaft', bei der Harnoncourt sich zu seinem Abschied von der Bühne bedankt hat." Ja, es wird wieder Operninszenierung geben: "Unbedingt, natürlich in bis dahin nicht ganz üblichen Rahmenbedingungen. Bitte Geduld." Vorerst (am 28. und 29. 6.) auch ein Fest in Eggenberg – für Ludwig XIV. (Ljubisa Tosic, 26.6.2017)