Innsbruck/Hamburg – Das Verhalten von Wasser stellt Forscher immer noch vor Rätsel. Innsbrucker Wissenschafter haben nun zusammen mit Kollegen aus Schweden und Deutschland die Beobachtung gemacht, dass es bei ungefähr 140 Grad Celsius unter Null seine Beschaffenheit abrupt ändert. Man müsse von zwei verschiedenen Flüssigkeiten sprechen, wie Thomas Lörting (Uni Innsbruck) sagte.

Mittlerweile kennt man Dutzende Eigenschaften, in denen sich Wasser von fast allen anderen Flüssigkeiten unterscheidet. Die bekannteste davon ist die Dichteanomalie: Wasser hat seine höchste Dichte bei Normaldruck bei vier Grad Celsius. Deshalb frieren Seen von der Oberfläche her zu, das leichtere Eis schwimmt auf dem Wasser.

Wandernde Moleküle?

Seit 1984 ist bekannt, dass Wasser bei sehr niedrigen Temperaturen eine niederdichte (LDA) und eine hochdichte amorphe Eis-Form (HDA) einnehmen kann. Dabei handelt es sich um zwei Festkörper, in denen die Atome unregelmäßig angeordnet sind, im Gegensatz zur Anordnung in Kristallen. Im Jahr 2013 hat ein Team um Lörting erstmals experimentelle Hinweise dafür geliefert, dass für beide amorphe Festkörper "bei tiefen Temperaturen ein Übergang von einem amorphen, glasartigen Material in eine Flüssigkeit, die noch zähflüssiger als Honig ist, stattfinden kann". Das wurde bereits 1992 theoretisch vorhergesagt.

Es zeigte sich, dass sich die Moleküle in dem Temperaturbereich um minus 150 Grad Celsius relativ schnell zu bewegen beginnen. "Das ist etwas, was man bei so tiefen Temperaturen eigentlich nicht kennt", so der Forscher. Mit herkömmlichen Methoden konnte jedoch nicht herausgefunden werden, ob sich die Moleküle quasi einfach an ihrem festen Platz zu drehen oder wirklich – wie bei einer Flüssigkeit – zu wandern beginnen. Drehen sich die Moleküle nur, so handelt es sich um eine "Rotor-Phase", die weder als fest noch als flüssig eingestuft werden kann, ähnlich sogenannten plastischen Kristallen oder Flüssigkristallen. Wandern die Moleküle jedoch, handelt es sich um echte Flüssigkeiten.

Überraschung bei minus 140 Grad Celsius

Für ihre aktuelle, im Fachjournal "PNAS" veröffentlichte Studie nahm sich das Team dieser Frage mit einer anderen Methode an. Gemeinsam mit Kollegen der Universität Stockholm untersuchten sie stark unterkühltes Wasser mit Hilfe eines extrem gebündelten Röntgenstrahls am deutschen Großforschungszentrum DESY in Hamburg. Mit der Kleinwinkel-Röntgenstreuung lässt sich nämlich die Bewegung von Molekülen in einer Probe feststellen.

Die in Innsbruck hergestellten Proben aus hochdichtem amorphem Eis wurden dann bei verschiedenen Temperaturen bestrahlt: Bei minus 200 Grad Celsius zeigte die Struktur noch kaum Bewegung. Das änderte sich jedoch ab ungefähr minus 163 Grad Celsius. "Aus der Analyse der Daten konnten wir als Bewegungsraum eines Moleküls 50 Nanoquadratmeter pro Sekunde bestimmen, was für ein Molekül eine sehr große Fläche ist. Das ist typisch für eine zähe Flüssigkeit", so Lörting.

Je wärmer das Wasser wurde, desto schneller wurde die Bewegung, bei knapp minus 140 Grad Celsius "verändert sich die Probe plötzlich massiv. Die Atome ordnen sich um und die Probe wird um 25 Prozent voluminöser beziehungsweise die Dichte nimmt um 25 Prozent ab", sagte der Forscher. Es findet also der Übergang vom hochdichten zum niederdichten Zustand statt. Zudem erkannten die Wissenschafter auch im niederdichten Zustand, dass die Wassermoleküle wandern und nicht nur rotieren.

Umstrittene Erklärung

"Das ist für uns der erste, fast unumstößliche Beweis, dass es tatsächlich einen Übergang zwischen zwei verschiedenen Flüssigkeiten von Wasser gibt, die sich durch die Dichte unterscheiden", sagte Lörting. Das kenne man zwar von verschiedenen Flüssigkeiten wie etwa einer Kombination von Wasser und Öl. Dass dies aber auch für Wasser selbst gelten könnte, sei völlig neu. Lörting: "Weil es so unglaublich klingt, gibt es aber auch viele Zweifler und viel Widerstand".

Trifft es jedoch tatsächlich zu, würden die beiden verschiedenen Zustände auch im Leitungswasser vorliegen. Bei Raumtemperatur bewegen sich die Moleküle jedoch so schnell, dass die beiden Erscheinungsformen nicht mehr unterscheidbar wären. "Das könnte erklären, warum Wasser so eigenartige Eigenschaften zeigt", so der Forscher. Demnach würde beispielsweise bei der Anomalie mit dem Dichtemaximum um vier Grad Celsius der Anteil des hochdichten Zustandes ansteigen. (APA, 27.6.2017)