Das Hafis-Mausoleum in Shiraz.

Foto: Sascha Aumüller

Hossein Hassankhan

Foto: Sascha Aumüller

Der Naranjestan oder Orangengarten in Shiraz hat tatsächlich etwas Paradiesisches.

Foto: Sascha Aumüller

Eine Koranschule in Shiraz.

Foto: Sascha Aumüller

Der Gebetsraum der Nasir-al-Mulk-Moschee in Shiraz wird überwiegend für farbenfrohe Fotoshootings genutzt.

Foto: Sascha Aumüller

Ebenso bunte Bildchen entstehen auf dem Basar der Stadt.

Foto: Sascha Aumüller

Die bis 1630 erbaute Imam-Moschee auf dem gleichnamigen Platz in Isfahan gilt als Meisterwerk islamischer Baukunst.

Foto: Getty Images/iStockphoto/Joey Chung

Hossein Hassankhan streichelt den Alabaster des Sarkophags, als wäre es die warme, helle Haut einer Geliebten. Die kräftige Mittags sonne über Shiraz hat den kalten, weißen Stein des Grabmals erwärmt. Sie birgt einen Vers von Hafis, dem großen persischen Lyriker. 1389 hat der Poet hier seine letzte Ruhe gefunden, ohne die Stadt zuvor jemals länger verlassen zu haben.

Und nun rezitiert Hassankhan, der in Teheran Deutsch an der Uni lehrt, einige dieser Zeilen aus dem 14. Jahrhundert. Zeichen für Zeichen ertastet er das Halbrelief und liest laut: "An meinem Grabe sitze du nicht / ohne Sänger und ohne Wein / dass mir vor Sehnsucht die Seele tanzend / steigt von dem toten Stein."

Tarnen und täuschen

Wein im Iran? Ist in dem Land seit der Revolution selten – um nicht zu sagen: verboten. Natürlich auch in Shiraz, obwohl dieser Stadt die Shiraz-Traube den Namen gab. Nur hie und da, so hört man, wird aus dem Essig, den die Bauern daraus noch machen dürfen, "versehentlich" Wein. Passiert ein derartiges Missgeschick, gibt es auf den ausgelassenen Privatpartys in der Stadt aber genügend Abnehmer.

Um das Tarnen und Täuschen gegenüber der Obrigkeit zu erlernen, hat man in der Provinz Fars, deren Zentrum Shiraz ist, jedenfalls viel Zeit gehabt: Sie ist seit 7.000 Jahren besiedelt, Zentrum des achämenidischen Weltreichs, und aus ihrer alten Bezeichnung Parsa leitet sich der Landesname Persien ab. Shiraz ist also gewissermaßen die persischste aller persischen Städte.

Wein, Weib und Gesang

Vor der Grabanlage des Poeten Hafis hat sich mittlerweile eine Menschentraube gebildet. Was all diese Menschen hier suchen zur Mittagsstunde im Ramadan? Sie lesen, wenn schon keine Weintrauben, dann gerne einen Hafis-Vers über den Wein und versuchen ihre glorreiche Vergangenheit zu begreifen. Und sie verklären sie auch ein wenig: Das Regime, unter dem Hafis geschrieben hat, lässt sich heute am besten mit den Schergen des IS vergleichen.

Drei Soldaten in Kampfmontur treten nun vor Hafis’ Sarkophag, sie küssen den Stein nacheinander, und Liebespärchen machen Selfies vor den Säulen des Mausoleums. Hassankhan, der erst vor kurzem Hafis’ Hauptwerk, den "Diwan", ins Deutsche übersetzt hat – und Goethes von Hafis inspirierten "West-östlichen Divan" für romantisierenden Orientalismus hält –, hat eine Erklärung für die enorme Popularität des seit über 600 Jahre toten Dichters: "Als diese Zeilen entstanden, waren die Mosafariden an der Macht – extrem fanatische Vertreter des Islam. Kunst fast aller Art war verboten, wie es auch heute in manchen islamischen Ländern wieder der Fall ist. Und doch sprach Hafis immer nur von Wein, Weib und Gesang."

Gut drauf

Den Dichter zu lesen, wurde im Iran bis heute nicht untersagt. Vielleicht auch, weil der Name Hafis "der den Koran auswendig weiß" bedeutet. Und man könne seine Zeilen auch so lesen, dass mit Wein nur die Liebe Gottes gemeint sei, interpretiert Hassankhan. Ob die Mullahs wohl auch so denken? In der Koranschule Madreseh-ye Khan in der Nähe des Basars kann man einen fragen.

Ein junger Mann mit weißem Turban betritt den palmenbestandenen Innenhof der Schule. Die Kopfbedeckung weist ihn zwar als schiitischen Gelehrten aus, aber er gilt nicht als Nachfahre des Alī ibn Abī Tālib, Schwiegersohn des Propheten Mohammed und Gründervater der Schia. Wäre er ein Verwandter oder würde man ihn dafür halten, hätte der Mullah einen schwarzen Turban auf.

Glückliches Volk

Warum am Grab des Hafis so viele Menschen sind und im Gebetsraum der Schule so wenige, wird er gleich gefragt. Und er antwortet nur: "Hafis besuchen die Iraner, wenn sie gut drauf sind. In die Koranschule kommen sie, wenn sie traurig sind." Die Iraner müssen demnach ein sehr glückliches Volk sein, denn auf den Teppichen unter den im ganzen Land präsenten Porträts der beiden Ajatollahs Khomeini und Ali Khamenei sitzen nur drei ältere Herren.

Glaubt man den Zahlen, die einem etliche Iraner nennen, betrachten sich lediglich 30 Prozent der Schiiten im Land als streng nach Vorschrift Praktizierende. 70 Prozent würden nur dann beim Freitagsgebet erscheinen, wenn darüber Listen geführt werden. Auf diesen müssen sich etwa Beamte vor dem Gebet eintragen, wenn sie keine Schwierigkeiten mit ihrem Arbeitgeber, also der Islamischen Republik, bekommen wollen.

Charakter eines Gasthauses

Fast ist man gewillt, dieser Einschätzung Glauben zu schenken, wenn man der jungen Dame zusieht, die in der Koranschule arbeitet und nun Schwarztee serviert. Selbst an diesen Arbeitsplatz trägt sie wie die meisten Iranerinnen nur mehr ein Kopftuch, das die Stirnfransen nicht wirklich bedeckt. Dafür hat sie wirklich einen federnden Gang, der die Blicke des Mullahs immer wieder auf sich zieht, während er die Schia für ihre Lockerheit lobt und seine Besucher zugleich ein wenig missioniert.

Viele Moscheen im Iran entsprechen keineswegs dem gängigen Bild einer hübsch dekorierten, aber vom realen Leben abgeschotteten Blase, in der nur gebetet wird. Die meisten sind auch für Nichtmuslime zugänglich, haben eher den Charakter eines Gasthauses, in dem halt gerade kein Kellner kommt. Es wird dort gern geraucht, sogar tagsüber im Ramadan.

Bunte Prismen

Ein aufgeschnappter Dialog zwischen einem Frommen und einem Iraner, der im Vorhof einer Moschee seine Zigarettenpause macht ("Junger Mann, Sie provozieren" – "Werter Herr, Sie müssen ja nicht hinschauen"), lässt jedenfalls vermuten, dass der Ort nicht auf alle einschüchternd wirkt. Auch die Schuhe müssen erst ausgezogen werden, will man sich mit dem Muhr – einem Stück gepresster Erde, auf das man die Stirn legt – zum Gebet auf dem Teppich niederlassen. In der Nasir-al-Mulk-Moschee kann man das aber nur mehr selten beobachten.

Der Gebetsraum dieser im 19. Jahrhundert fertiggestellten Moschee ist heute ein vielfotografiertes Durchhaus. Gestiftet wurde der Komplex, der auch Wohnräume enthält, von der Familie Qavam – die Qavams gründeten später die im Iran kurzlebige Demokratische Partei. Besucherinnen aus Teheran, Tübingen oder Taiwan stellen sich in dem Gebäude gern vor die farbenfrohen Glasfenster, um sich gemeinsam mit bunten Prismen im Gesicht ablichten zu lassen.

Höfe mit Springbrunnen

Es ist ein kleines Spektrum des im Iran gerade erstarkenden Tourismus. Zählte das Land unter dem nicht gerade dem Fremdenverkehr förderlichen Präsidenten Mahmud Ahmadi-Nejad nur rund 250.000 aus dem Ausland kommende Reisende jährlich, sind es nun gut zwei Millionen. Und an manchen Tagen wirkt es so, als besuchten zu viele von ihnen auf einmal den Shirazer Vakil-Basar.

Hafis-Übersetzer Hassankhan sagt über diesen Marktplatz: "Schon blöd, dass die Unesco so pingelig ist – der Basar hätte sich den Status als Welterbe verdient." Man wird ihm nicht widersprechen wollen, ist man erst einmal die 220 Meter lange überkuppelte Hauptgasse entlanggeschlendert oder hat einen der vielen (ramadantauglichen Raucher-)Höfe mit Springbrunnen entdeckt. Nicht einmal die neue Straße, die das um 1770 entstandene Verkaufslabyrinth seit wenigen Jahren in zwei Teile schneidet und Grund für die Unesco-Absage war, kann daran etwas ändern.

Wenn der Basar hustet

Der Vakil-Basar gehört zu den schönsten des Landes, seine Händler zu den zurückhaltendsten. Laufkundschaft, die nur schauen will, kann das völlig unbehelligt tun, denn die Herren sind Großhändler, und die Geschäfte laufen angeblich gut. Ist vermutlich auch besser so, besagt doch ein persisches Sprichwort: "Wenn der Basar hustet, ist bald das ganze Land krank."

Östlich des Marktes liegt dann das Paradies. Einen Garten im Iran darf man eigentlich immer so bezeichnen, kommt doch das Wort "Paradies" vom historischen Pardis-Garten nördlich des heutigen Teheran. Der Naranjestan oder Orangengarten in Shiraz hat tatsächlich etwas Paradiesisches. Er diente vor allem Empfängen, die der Bürgermeister Ende des 19. Jahrhunderts gab. Wer eingeladen war, spazierte ein gigantisches bepflanztes Wasserbecken entlang, bis er vor den Symbolen der Macht – Löwe und Sonne – in einem Spiegelkabinett stehenblieb.

Unbürokratisch im Hinterzimmer

Herzlicher noch und auch im Ramadan wird man dort heute empfangen. Wer vor Sonnenuntergang Durst bekommt, schaut einfach im Teehaus der Anlage vorbei und bekommt sein Heißgetränk unbürokratisch im Hinterzimmer serviert.

Ähnlich freundliche Gesten erleben Reisende im 500 Kilometer nördlich gelegenen Isfahan, das die meisten Shiraz-Besucher wohl auch ansteuern werden. In der Imam-Moschee auf dem gleichnamigen Platz – dem zweitgrößten der Welt nach dem Tiananmen in Peking – demonstriert der Muezzin persönlich mit einem vierminütigen Gebetsruf die spezielle Akustik der über 400 Jahre alten Kuppel. Das gehört doch zu seinem Job, werden manche nun sagen. Dass er an exakt derselben Stelle aber auch ein paar Verse Hafis aus dem Ärmel schüttelt, erstaunt dann doch. Vor allem hätten es nicht so verruchte sein müssen. (Sascha Aumüller, 30.6.2017)