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Brasiliens Präsident Michel Temer bei einem Vortrag vor Bankern. Er selbst sieht sich als Retter der Nation – trotz der Anklage gegen ihn.

Foto: Reuters / Ueslei Marcelino

Korruption, Behinderung der Justiz und die Bildung einer kriminellen Vereinigung – eigentlich wäre schon jeder Vorwurf für sich allein ein Rücktrittsgrund. Nicht so in Brasilien. Staatspräsident Michel Temer klammert sich weiterhin an sein Amt und verdammt Brasiliens Politik so zur Handlungsunfähigkeit.

Der Regierungssitz Palácio do Planalto ist zur juristischen Trutzburg des 76-Jährigen geworden. Doch jetzt könnte Temers letzte Schlacht begonnen haben. Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot reichte in der Nacht auf Dienstag beim Obersten Gericht Klage wegen Korruptionsverdachts gegen ihn ein. Es ist das erste Mal, dass sich ein amtierender Präsident solch einer Anklage stellen muss.

Ob es im aktuellen Fall zu einem Prozess kommt, ist allerdings noch offen. Der Oberste Gerichtshof muss entscheiden, ob er eine strafrechtliche Verfolgung zulässt. Danach müsste der Kongress mit einer Zweidrittelmehrheit für die Absetzung des Staatschefs stimmen. Bis jetzt konnte sich Temer immer auf die Loyalität der mehrheitlich konservativen Abgeordneten verlassen. Denn sie fürchten in der aktuellen Debatte über vorgezogene Neuwahlen nicht nur um ihre Posten, sondern vor allem um ihre Immunität, die sie selbst vor Korruptionsklagen schützt. Laut Transparency International wird gegen 60 Prozent der Parlamentarier wegen Bestechlichkeit ermittelt.

Fleischer mit dem Geldkoffer

"Niemand steht über dem Gesetz", sagte Staatsanwalt Janot zur Anklageerhebung. Er hatte Ende Mai Ermittlungen gegen Temer eingeleitet, nachdem abgehörte Tonbandmitschnitte aufgetaucht waren. Janot wirft Temer vor, über einen Mittelsmann, Parteifreund Rocha Loures, Bestechungsgelder für seine Partei PMDB von dem Fleischmagnaten Joesley Batista angenommen zu haben. Dieser hatte bei einem Treffen mit Temer ein Tonband in der Anzugtasche versteckt, um in dem Korruptionsverfahren "Lava Jato" seine eigene Haut zu retten. Loures wurde gefilmt, wie er einen Koffer mit umgerechnet knapp 150.000 Euro entgegennahm.

Temer selbst wirft Janot Voreingenommenheit und fehlende Beweise vor. Er sieht sich weiter als Retter Brasiliens, der mit ungeliebten Reformen das Land zukunftsfest macht. "Wir müssen vorangehen. Nichts wird uns zerstören, weder mich noch meine Minister", verkündete er pathetisch. Auch sein historisch schlechter Beliebtheitswert von sieben Prozent und Rücktrittsappelle aus den eigenen Reihen scheinen ihn dabei nicht aufzuhalten. Zusätzlich wird er sich dem Druck der Straße stellen müssen: Die Gewerkschaften haben zum Generalstreik am Freitag aufgerufen.

Keine unabhängige Justiz

Was in europäischen Ohren wie eine Räuberpistole klingt, wirft Brasiliens junge Demokratie weit zurück. 23 Impeachment-Anträge liegen inzwischen gegen Temer vor. Einer Absetzung wegen illegaler Wahlkampffinanzierung konnte er jüngst – trotz erdrückender Beweislage – nur entgehen, weil Brasiliens Justiz doch nicht unabhängig ist.

Auch international spielt Temer auf Zeit. In der vergangenen Woche legte er sein Veto gegen zwei umstrittene Dekrete ein, die die Umwandlung von Amazonas-Schutzgebieten in Ackerland und Viehweiden erlauben würden. Wenn er das nicht getan hätte, wäre Brasiliens Beitrag zum Pariser Klimaschutzabkommen gefährdet. Und kurz vor dem G20-Gipfel in Hamburg wollte sich Temer nicht an den internationalen Pranger stellen lassen. Doch sein Veto bedeutet nur einen Aufschub, das machte der Staatschef auch der mächtigen Agrarlobby im Kongress klar. Denn um im Amt bleiben zu können, ist er auf deren Stimmen angewiesen. Somit wird es zwar Nachverhandlungen geben, aber nur mit kleinen Veränderungen. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 27.6.2017)