Die US-amerikanische Filmwissenschafterin Linda Williams ist gelangweilt von feministischen Debatten zu Pornografie: "Das Genre will sexuelle Lust darstellen. Also schauen wir uns doch an, wie das passiert – statt diese Filme einfach allesamt zu hassen."

Foto: Heribert CORN

STANDARD: Als Sie 1989 das Buch "Hard Core: Power, Pleasure and the Frenzy of the Visible" veröffentlichten: Wurden Sie da in Ihrem Umfeld ernst genommen?

Williams: Ich war selbst überrascht davon, wie ernst ich genommen wurde. Natürlich gab es Kolleginnen und Kollegen, denen das Ganze eher unangenehm war, aber die Reaktionen fielen doch überwiegend positiv aus. Allerdings war ich zu dieser Zeit schon seit zehn Jahren Universitätsprofessorin. Wäre ich eine junge Forscherin gewesen, hätte das wohl anders ausgesehen.

STANDARD: Gab es auch Kritik?

Williams: Lautstarke Kritik kam aus den Reihen der feministischen Pornografiegegnerinnen. Zu dieser Zeit gab es eine heftige innerfeministische Debatte über Pornografie, und für jene, die Pornografie mit Frauenunterdrückung gleichsetzten, war ich eine schlechte Feministin. Als ich für das Buch zu recherchieren begann, dachte ich selbst noch, dass ich der Pornografie wohl ablehnend gegenüberstehen würde. Ich war dann aber fasziniert von diesem Genre. Mir wurde schnell klar, dass Pornografie ein wichtiges und ein relevantes Thema ist.

STANDARD: Feministische Debatten zu Pornografie, die Ihre erste Arbeit prägten, interessieren Sie heute kaum noch. Warum?

Williams: Es ist einfach langweilig, die Debatten wiederholen sich ständig: Frauen werden durch Pornografie erniedrigt, Pornografie ist schlecht für Frauen. Männer interessieren sich nur dafür, Frauen zu beherrschen, Frauenkörper werden zum Objekt. Pornografie ist aber das Genre, das sexuelle Lust darstellen möchte. Also schauen wir uns doch an, wie das passiert – statt diese Filme einfach allesamt zu hassen.

STANDARD: Die feministische Debatte hat sich mittlerweile aber ausdifferenziert, und es existiert auch eine Fülle an feministischer Pornografie.

Williams: Ja, natürlich. Es ist Pornografie, die sich hauptsächlich für die Lust von Frauen interessiert. Nüchtern betrachtet macht sie allerdings nur einen verschwindend kleinen Anteil innerhalb des Genres aus.

STANDARD: Als Ihr erstes Buch erschien, gab es in Großstädten noch zahlreiche Erotikkinos, Menschen gingen in Sexshops, um dort Filme zu kaufen. Mittlerweile wird Pornografie überwiegend in den eigenen vier Wänden gekauft und konsumiert. Hat das die Pornografie selbst verändert?

Williams: Als Hard Core erschien, wanderte die Pornografie gerade raus aus den Kinos in die Wohnzimmer der Menschen. Sie verlagerte sich also von einem öffentlichen Ort in einen privaten Raum und wurde später mit dem Internet paradoxerweise zugleich allgegenwärtig. Es bleibt die Frage: Ist das Internet privat oder öffentlich? Im Grunde ist es beides zugleich. Dass diese Unterscheidung Menschen nach wie vor Probleme bereitet, zeigt sich an der Debatte um vermeintlich private Facebook-Postings oder Phänomene wie Sexting.

STANDARD: In der klassischen Hetero-Pornografie ähneln sich die Darstellungen sehr. Immer dieselben Handlungen mit einigen Variationen, am Schluss steht der sogenannte Cumshot (Filmszenen, die den Samenerguss des Mannes zeigen). Warum hat das Internet den Mainstream-Porno kaum verändert?

Williams: Ja, Konventionen sind in der Pornografie sehr langlebig, warum das so ist, ist eine spannende Frage. In den sogenannten "stag films", frühen pornografischen Filmen, gab es keinen Cumshot, nicht einmal Nahaufnahmen. Heute ist er ein essenzieller Bestandteil der Hetero-Pornografie. Warum hält er sich schon so lange? Und warum wurden "stag films" so lange ohne Cumshot produziert? Ich denke, ein Grund, warum sich in der Pornografie so wenig verändert, ist das Fehlen von Kritik. In den Medien gibt es keine Filmkritiken zu pornografischen Filmen. In den 1970ern, als Pornofilme noch in den Kinos gezeigt wurden, existierte noch eher eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Inhalten. Heute schauen sich viele Menschen Pornos zu Hause vor dem Computer an und masturbieren zu Bildern, die sie besonders ansprechen, aber eine öffentliche Debatte zu diesen Bildern fehlt. Die durchschnittliche Qualität der Mainstreamproduktionen hat sich dadurch in den vergangenen Jahrzehnten radikal verschlechtert, während die Quantität laufend gestiegen ist.

STANDARD: In der Filmkomödie "The Kids Are All Right" aus dem Jahr 2010 offenbart ein lesbisches Paar, dass es sich Schwulenpornos ansieht, weil das die "echte" homosexuelle Pornografie sei. Zielt lesbische Pornografie auf den Hetero-Mann ab?

Williams: Lesbische Pornografie wurde lange Zeit als "girl-girl-number" für ein männliches Publikum produziert. Die Szenen wurden als eine Art Aufwärmrunde für "ernsthaften" Sex gesehen – womit heterosexueller, penetrativer Sex gemeint ist. Filme für Männer, die sich letztendlich um die Lust von Frauen drehen – wiederum ein interessantes Paradoxon. Pornografie beschäftigt sich nämlich mit dem "Problem", weibliche Lust darzustellen – Frauen können einen Orgasmus schließlich leichter als Männer vorspielen. Mittlerweile gibt es aber lesbische Pornografie, die sich auch wirklich an ein lesbisches Publikum richtet. Vieles davon wird in San Francisco produziert, die Crash Pad Series ist beispielsweise sehr populär. In solchen Filmen sind Butch-Lesben zu sehen – die aus der Mainstream-Lesbenpornografie immer ausgeschlossen blieben. Auch der Sex wird meist authentischer dargestellt. Wobei Authentizität grundsätzlich ein schwieriger Begriff ist. Ob etwas als authentisch empfunden wird, ist immer auch eine Frage der subjektiven Wahrnehmung.

STANDARD: Sie unterrichten seit vielen Jahren Pornografieforschung an der Universität. Wie haben sich eigentlich die Studierenden verändert, die in Ihre Seminare kommen?

Williams: Die haben sich stark verändert. Ich habe erst einige Jahre nach dem Erscheinen von Hard Core damit angefangen, Kurse zu diesem Thema anzubieten. Ich war sehr skeptisch, ob ich mit unschuldigen Studierenden über Pornografie sprechen sollte – die meisten waren tatsächlich sehr unschuldig (lacht). Den Ausschlag hat für mich schließlich ein Essay von Catharine MacKinnon, einer in den USA sehr bekannten Radikalfeministin, gegeben. Darin behauptete sie, dass in Ex-Jugoslawien während der kriegerischen Auseinandersetzungen in den 1990er-Jahren Männer durch Pornografie zu Vergewaltigern wurden. Der Auslöser war für sie die Pornografie – nicht der Krieg, nicht vorherrschende Vorstellungen von Geschlecht. Ich dachte mir, dass sie diese Theorien nur Menschen vermitteln kann, die Pornografie als Genre nicht kennen. Also habe ich damit begonnen, Kurse abzuhalten – im Rahmen von Women's Studies und Gender-Studies.

STANDARD: Wie gingen Sie dabei vor?

Williams: Ich vermittelte den Studierenden erst die feministische Debatte zur Pornografie, aber bald interessierte sich niemand mehr dafür. Die Studierenden interessierten sich für den Sex. Sie wollten über etwas sprechen, über das kaum öffentlich gesprochen wurde. Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich mich in meinem ersten Kurs wie eine lüsterne alte Lady gefühlt habe. Wenn ich heute Seminare zum Thema Pornografie halte, sind alle Studierenden bereits mit dem Thema vertraut. (Brigitte Theißl, 29.6.2017)