Als die Badestelle an der Ruhr wieder eröffnet wurde, stürzten sich einige ins Wasser. Die offiziellen Gäste (rechts) zogen das Fußbad vor.

Foto: Sascha Kreklau

Essen – Die Hauptattraktion ist nicht gleich zu sehen. Es gibt einen Sandstrand, bunte Liegestühle, Cocktailbars, einen Grill- und einen Tischtennisplatz. Versteckt hinter Schilf beginnt der Steg, und dann steht man am Wasser. "So, da wären wir", sagt Holger Walterscheid fast ein bisschen feierlich.

Der Geschäftsführer des Seaside Beach in Essen (590.000 Einwohner, Nordrhein-Westfalen) deutet auf Wasser, das so unspektakulär aussieht, wie Wasser in einem Fluss eben aussieht. Doch er ist sozusagen Herr über eine ziemlich besondere Badestelle. Sie liegt am Baldeneysee, der ein Teil der Ruhr ist.

Die Ruhr, ein Nebenfluss des Rheins, war lange Zeit Transportweg für Steinkohle und diente zur Entsorgung von Industrieabwässern. Schon im Sommer 1911, bei Niedrigwasser, beschrieb der Zoologe August Thienemann aus Münster den Fluss folgendermaßen: "Eine braunschwarze Brühe, die stark nach Blausäure riecht, keine Spur Sauerstoff enthält und absolut tot ist." 1971 wurde das Baden in der Ruhr verboten.

Genugtuung für Ältere

Seit Mai ist es in Essen wieder erlaubt. "Es ist ein kleines Wunder und ein hochemotionales Thema. Ich freue mich, dass wir den Menschen ihren Fluss zurückgeben", sagt Essens Umweltdezernentin Simone Raskob. Dafür sorgen verbesserte Klärtechnik und ein Frühwarnsystem. An manchen Tagen, etwa nach starken Regenfällen, muss die Badestelle dennoch geschlossen bleiben.

Zwar tummeln sich am Seaside Beach viele junge Menschen. Aber es kommen auch ältere Semester, die in ihrer Jugend im Fluss geschwommen sind. "Für die ist das schon eine Genugtuung", sagt Walterscheid und fügt hinzu: "Wir sind im Ruhrgebiet schon längst kein Drecksloch mehr."

Im Gegenteil: Essen, das 2010 bereits Kulturhauptstadt Europas war, ist für das Jahr 2017 von der EU-Kommission auch zur Grünen Hauptstadt Europas ernannt worden. Der Titel (European Green Capital Award) wird seit 2010 vergeben. Voraussetzung ist, "Umweltschutz und wirtschaftliches Wachstum in besonderer Weise zu einer hervorragenden Lebensqualität zu verbinden".

Die Europäische Kommission begründete die Entscheidung vor allem mit der Vorbildfunktion der Ruhrmetropole, die den Strukturwandel von der Kohle- und Stahlstadt zur grünsten Stadt in Nordrhein-Westfalen vollzogen hat. Denn Baden in der Ruhr ist zwar das Leuchtturmprojekt, aber bei weitem nicht das einzige. "Wir haben schon viel getan, aber wir wollen in eine grüne Dekade starten", sagt Essens Bürgermeister Thomas Kufner (CDU). So forciert Essen den Ausbau von Gemeinschaftsgärten, in denen Bürgerinnen und Bürger ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen können.

Müll besser recyceln

Auf dem Programm stehen zudem die Reduktion des CO2-Ausstoßes um 95 Prozent bis zum Jahr 2050 (im Vergleich zum Stand 1990) und die Erhöhung der Müll-Recycling-Quote von 40 auf 65 Prozent bis zum Jahr 2020.

Bis 2020 soll die Emscher – neben der Ruhr der zweite große Fluss in Essen – renaturiert werden. Jahrzehntelang flossen Industriedreck und Fäkalien hinein, die Essener sprachen von "Köttelbecke" (Kotbach). Manches holt sich die Natur ohnehin selbst zurück. Auf der 1986 geschlossenen Zeche Zollverein (Steinkohlebergwerk), die heute zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, wuchern zwischen alten Industrierelikten mehr als 500 Pflanzenarten.

Stolz ist man in Essen auf die erste "Autobahn" für Radfahrer in Deutschland. Der Radschnellweg 1, der auf 101 Kilometern künftig die Städte zwischen Duisburg und Hamm verbinden soll, existiert in Essen schon auf einer ehemaligen Bahntrasse und wird von Pendlern gut genutzt. Mittlerweile zieht das Ökoprogramm auch Menschen an. 50 Jahre lang flüchteten viele Bewohner aus Essen. Seit vier Jahren gibt es Zuzug. (Birgit Baumann, 29.6.2017)