Im Deutschkurs üben Asylwerber den Dativ. Was gefällt mir/dir an Österreich? Und was nicht? Mehrere sagen: Mir gefallen die Leute. Die Lehrerin denkt an die einschlägigen Umfragen und die Antiflüchtlingstiraden im Internet und wundert sich. Wirklich? Seid ihr sicher? Aber die meist jungen Afghanen, Syrer, Tschetschenen, Somalier bleiben dabei. Ja, diesen Eindruck haben sie gewonnen. Die Österreicher sind nett.

Hier widerspricht die praktische Erfahrung von Betroffenen der öffentlichen Wahrnehmung eines Problems. Die Medien und auch die Politiker sind offensichtlich der Meinung, dass die Mehrheit der Einheimischen die Zuwanderer vehement ablehnt. Praktisch jeden Tag lesen wir eine Meldung, die den Schluss zulässt, jeder Asylwerber sei ein potenzieller Vergewaltiger oder Terrorist. Das wird umso eher geglaubt, je weniger die Leser konkret mit Flüchtlingen zu tun haben. Als in Wien 2016 größere Flüchtlingsunterkünfte eingerichtet wurden, gab es heftigen Widerstand bei Anrainern. Nach einigen Monaten war die Aufregung verschwunden. Eine wissenschaftliche Studie ergab kürzlich, die Menschen in den jeweiligen Vierteln seien nun mehrheitlich der Ansicht, bei den Neuzuzüglern handle es sich um ganz normale Leute, vor denen sich niemand fürchten muss.

Kann es sein, dass wir uns von Rechtspopulisten und ihren Propagandisten ins Bockshorn jagen lassen? Dass wir vor einer vermeintlichen Mehrheit zurückweichen, die vielleicht gar keine Mehrheit ist? Die jüngsten Wahlergebnisse legen diesen Schluss nahe. Macron hat mit einem proeuropäischen und antifremdenfeindlichen Programm gewonnen, vor ihm Häupl und Van der Bellen. Und Merkel, Personifikation der Willkommenskultur und Hassfigur aller Rechtsnationalisten, dürfte im Herbst ebenfalls den ersten Platz erreichen. Überall, wo ein Politiker oder eine Politikerin Rückgrat zeigte, Lösungen anbot, statt Angst zu schüren, folgte ihm oder ihr die Mehrheit der Wähler.

Das heißt nicht, dass alle mit den vielen Flüchtlingen im Lande glücklich sind. Man schimpft, ist frustriert und genervt und hat oft auch Grund dazu. Aber mancher, der schimpft, ist trotzdem bereit, zu helfen oder sich mit den Neuen zumindest zu arrangieren. Eine Gruppe von Gartenarbeitern der Stadt Wien erklärte kürzlich: In unsere Partie kommt auf keinen Fall ein Ausländer herein. Und was ist mit dem schokoladebraunen Kollegen, Mitglied der Partie, der amüsiert dabeistand? Antwort: Der? Das ist doch der Mustafa. Das ist was andres. Der "Ausländer", den man kennt, ist eben kein Ausländer mehr. Nicht jeder, der nicht will, dass Europa unbegrenzt Flüchtlinge aufnimmt, ist – im Gegensatz zu manchen Politikern – auch dafür, dass wir diejenigen, die schon hier sind, schlecht behandeln.

Zurück zum Deutschkurs. Frage: Und was gefällt euch an Österreich nicht? Antworten: Erstens das Wetter im Winter. Zu kalt und zu nass. Zweitens Homosexualität. Geht gar nicht. Drittens Hunde als Haustiere. Wenn schon Hunde, dann draußen. Aber in der Wohnung? Brrr. Kulturelle Unterschiede gibt es also durchaus. Mit den meisten lässt es sich allerdings einigermaßen leben. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 28.6.2017)