Der Diversity-Ansatz sucht die Verschränkung, ist investitionsintensiv, braucht Zeit und nervt mitunter, doch schlussendlich lohnt es sich, schreiben Traude Kogoj und Günter Hell von der ÖBB.

Foto: APA

Heute kommen Menschen, um dezidiert zumindest für einige Jahre zu bleiben. Ganz so wie in den vielen Fällen von Europäern, die während des Zweiten Weltkriegs in die USA, nach Palästina oder China auswandern mussten, geht es auch bei ihnen darum, dass sie in Sicherheit (über)leben können. Die Fremden werden zu Mitbürgern. Und da greift der Rückgriff auf Folklore zu kurz, wie auch Paul Collier in seinem Buch "Exodus" meint: Wer nicht deutlich und selbstbewusst für Verschränkungen, fürs Miteinander sorgt, koagiert und schafft Eingewanderten-Communitys, die einander helfen, wachsen und unter sich bleiben. Letztlich führen bequemes Laissez-faire und Unachtsamkeit zu einander misstrauisch beäugenden Gruppen.

Warum es sich lohnt

Der Diversity-Ansatz hingegen sucht die Verschränkung, ist investitionsintensiv, braucht Zeit und nervt mitunter, doch schlussendlich lohnt es sich. Das zeigt schon ein Blick in die Betriebe. Eine Befragung der JKU Linz, an der über 200 oberösterreichische Unternehmen teilgenommen haben, belegt: Wer einmal mit Asylberechtigten gearbeitet hat, kann sich auch eine weitere Zusammenarbeit und eine Anstellung vorstellen.

Wie stellt sich das Bild zum Thema Ethnie in Österreich dar?

Erste These: Allen voran die anhaltende Ungleichheit zwischen Frauen und Männern in Österreich. Hier lohnt ein Blick auf die ökonomische Situation der migrierten Menschen. Laut Social Inclusion Monitor 2016 sind die Einkommen dieser Gruppe die niedrigsten im Lande. Besonders betroffen sind Frauen aus Nicht-EU-Staaten. Zur Atmosphäre der Ungleichheit und dem latent wirksamen tradierten Rollenverständnis unserer Mehrheitsgesellschaft gesellen sich mancherorts noch traditionellere Rollenbilder der neu Hinzugekommenen. Hier sollten wir uns an die eigene Nase fassen, für wirkliche Chancengleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsplatz sorgen und zeigen, dass Gleichstellung an sich ein Wert ist. Wird dieser Grundwert verletzt, sollte das Konsequenzen nach sich ziehen. Denn nur wer vorlebt, was er fordert, wird es auch evozieren. Unternehmen mit institutionalisierter Gleichbehandlung tun sich da leichter.

Wo investiert werden muss

Zweite These: Menschen neigen zur Selbstähnlichkeit und bleiben gerne unter sich. Das gilt sowohl für die Dominanz- als auch für die Minoritätskultur. Sichtbar wird dieser Reflex bei der Bestellung von Beschäftigten in Top-Positionen. Spürbar ist dieser in der täglichen Zusammenarbeit, bei der Gruppenbildung während der Arbeit und in den Pausen. Die Gemengelage entzündet sich nahezu immer am kulturellen Habitus und vor allem an der Sprache. Wir kennen die mitunter unappetitliche Dynamik, wenn es um den Gebrauch der gendergerechten Sprache geht. Ähnlich verhält es sich bei Anderssprachigkeit.

Was also tun, um hier zu einem produktiven Miteinander zu kommen? Zuallererst über den Tellerrand blicken und sich trauen, über mäßige Sprachkenntnis nicht den Stab zu brechen. Es hilft, die nötigen Qualifikationen bei Stelleninseraten nochmals zu überdenken, das Onboarding mit Sprachkursen zu unterstützen, Buddy-Systeme und Reverse-Mentoring zu etablieren. Zugegeben, diese Methoden kosten Zeit und Geld. Sie vermindern aber Recruiting-Kosten und Fluktuation.

Wann das Dilemma beginnt

Dritte These: Menschen ist Gerechtigkeit wichtig. Umso erstaunlicher, dass sich Unternehmen Schieflagen leisten. Dazu zählt der Gender-Pay-Gap genauso wie der Umstand, dass sich 30 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund in Jobs befinden, für die sie heillos überqualifiziert sind. Besonders betroffen sind erneut Frauen aus Nicht-EU-Staaten.

Das Dilemma beginnt, wenn das Unternehmen die Anstellung als "gute Tat" verbucht und der/die Angestellte wegen Unterforderung unzufrieden wird. Beide fühlen sich dann zumindest missverstanden. Gespräche über Laufbahngestaltung und Career-Tracks geben den Neuen an Bord Perspektiven und den Führungskräften Einblick in persönliche Arbeitsvorstellungen. Passt das alles nicht zusammen, führt Kommunikation zu Lösungen, bei denen alle das Gesicht wahren.

Wie es die ÖBB macht

Über alldem steht, dass der Zugang zu Arbeit Voraussetzung für gesellschaftliche Integration darstellt. Sie gibt Struktur, Identität, Status und die Möglichkeit zur Mitwirkung an kollektiven Zielen. Und in diesem Punkt dürfen wir die ÖBB als Beispiel vor den Vorhang holen. In enger Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem AMS und Organisationen der Zivilgesellschaft wie Lobby 16 absolvieren seit 2013 siebzig Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte eine Lehrausbildung. Einige von ihnen haben den Lehrabschluss bereits gemacht und arbeiten in unterschiedlichen Konzernbereichen. Sie leben in Partnerschaften, gründen Familien und basteln an einem Leben in Österreich. Andere Berufsbiografien beginnen mit einer Bewerbung – wie die eines Kollegen aus Syrien, der in einem multikulturellen Team am internationalen Erfolg der Rail Cargo Group arbeitet. Dialogrunden zu kulturellen Themen sowie Schwerpunktwochen mit orientalischer, afrikanischer und österreichischer Küche machen die Kantine zum Experimentierfeld und Kommunikationsraum. Dort fällt es leichter, Gemeinsames ausfindig zu machen. Die betriebliche Sozialintegration, die Möglichkeit der Mitbestimmung sowie die Arbeit am gemeinsamen Unternehmensziel haben hohes Potenzial für das multiethnische Miteinander. Hier lernen wir voneinander, was auch außerhalb des Unternehmens Wirkung zeigt.

Niemand behauptet, dass es einfach ist. Kompetenzen müssen erarbeitet und so manche kulturelle Irritation besprochen oder geebnet werden. Aber es zahlt sich aus: für den Einzelnen, das Unternehmen und das Land. Schließlich brauchen wir Menschen gemeinsame Gestaltung, Resonanz und Miteinander mehr als wechselseitiges Bestaunen der jeweiligen Folklore. (7.7.2017)