Elisabeth Sobotka sieht sich primär "als Ideengeberin", wobei sie "in Bregenz wohl schon auch als Tourismusfachfrau gesehen werde. Da wird Erfolg gern an belegten Hotelbetten gemessen."

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STANDARD: Sie haben Ihrem Team für die heurige Seeproduktion, Regisseur Kasper Holten und Bühnenbildnerin Es Devlin, drei Opern zur Auswahl vorgeschlagen. Aus welchen Gründen haben die beiden "Carmen" ausgewählt?

Sobotka: Die Musik war natürlich ein wichtiger Grund. Dann gibt es auf szenischem Gebiet diesen parallelen Showdown am Ende, mit dem Stierkampf und der Auseinandersetzung von José und Carmen: Das ist natürlich irrsinnig dramatisch. Und eine Frage ist in diesem Stück auch wichtig: Wann entscheidet sich ein Schicksal? Das Bühnenbild hält diesen Moment fest: Ein Kartenspiel wird in die Luft geworfen, und der Augenblick, in dem es noch in der Luft schwebt, ist als Analogie zu sehen zu dem Moment, in dem sich ein Schicksal entscheidet. Kasper Holten hat sich gefragt: Wie kommt Carmen in diese Situation? Und woher kommt Carmen, warum hat sie sich zu der Frau entwickelt, die sie ist? Er zeigt sie ein bisschen als Lolita.

STANDARD: Im Haus zeigen Sie Gioachino Rossinis selten gespielte Oper "Moses in Ägypten". Die Regisseurin Lotte de Beer arbeitet hier mit dem niederländischen Künstlerkollektiv Hotel Modern zusammen, das gern kleine Objekte und Püppchen abfilmt. Monumentaloper und Miniaturkünstler: Haben Sie ein bisschen Bauchschmerzen, ob das Konzept denn auch wirklich aufgeht?

Sobotka: Natürlich. Aber je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto faszinierender habe ich diese Idee gefunden. Klar, man muss aufpassen, man muss die Sänger auch in gewisser Weise schützen, dass sie nicht in diesen Puppenvideos untergehen. Alle Mitwirkenden müssen in einer so speziellen Produktion in einfühlsamer Weise zusammenarbeiten. Ich vertraue aber auf Lotte de Beers kreative und zusammenführende Fähigkeiten.

STANDARD: Das durch die Bregenzer Hausoper vorgegebene Thema der Flucht und des Exodus ist bei diesen Festspielen zentral. Neben vier Konzerten der Schiene "Musik und Poesie" beschäftigt sich auch das Theaterstück, "The Situation" von Yael Ronen, mit diesem Thema.

Sobotka: Moses in Ägypten begleitet mich musikalisch schon sehr lange, aber erst jetzt habe ich die Möglichkeiten und vor allem auch das passende Konzept gefunden, das Werk aufzuführen. Und als es klar wurde, dass es mit dieser Oper klappen wird, habe ich mir gedacht, das kannst du nicht so stehen lassen. Yael Ronen kenne ich aus meiner Zeit in Graz, ich habe mir ihr Stück angeschaut – es wurde von Theater heute ja auch zum Stück des Jahres 2016 gewählt – und war sofort ganz versessen darauf, es hier zu zeigen. Es bringt mit der Flüchtlingsthematik einen ganz aktuellen Aspekt in die Sache ein.

STANDARD: In den Jahren der Intendanz von David Pountney gab es im Theater am Kornmarkt meist noch eine zweite, interessante Opernproduktion des Schwerpunktkomponisten zu sehen, jetzt spielt dort das Opernstudio der Bregenzer Festspiele mit Nachwuchssängern Mozart. Muss das wirklich sein? Verliert das Programmangebot der Festspiele dadurch nicht an Dichte und Substanz?

Sobotka: Wir versuchen die Programmatik trotzdem durchzuspielen, in den Konzerten, in den anderen Veranstaltungen. Ich persönlich empfinde das Opernstudio als Bereicherung. Wir können hier jungen Menschen die Möglichkeit geben, am Festspielleben teilzunehmen und zusammen mit routinierten Kollegen auf der Bühne zu stehen und Erfahrungen zu sammeln.

STANDARD: Das Bühnenbild der neuen "Carmen"-Produktion auf der Seebühne thematisiert den Moment, in dem alles in der Schwebe ist. Wie halten Sie es mit Ihren Entscheidungen? Lassen Sie manchmal den Zufall Regie führen?

Sobotka: Ich bin sehr neugierig und abenteuerlustig, ich reagiere gern auf Dinge, bin gern im Austausch. Man muss schon dem Zufall Raum geben, den Moment nutzen. Als Daniel Barenboim angerufen und mich gefragt hat, ob ich nach Berlin an die Staatsoper kommen will, habe ich sofort Ja gesagt. Selbstverständlich werden Dinge im Opernbetrieb lange vorausgeplant. Aber auch hier muss man oft flexibel sein und schnell eine neue Entscheidung treffen, wenn es nötig ist. Als Festspielintendantin kann ich in der künstlerischen Arbeit freier agieren. Ich kann auch sagen: Dieses Projekt lassen wir, das war keine gute Idee, Elisabeth.

STANDARD: Der Job einer Festspielchefin hat viele Gesichter. Als was sehen Sie sich: als Impulsgeberin? Als Mutter der Kompanie? Oder als Tourismusförderin?

Sobotka: Ich sehe mich primär als Ideengeberin. Als Mutter der Kompanie weniger, da ein Festspielbetrieb viel zerstreuter ist als der eines Opernhauses. Und in Bregenz werde ich wohl schon auch als Tourismusfachfrau gesehen – da wird Erfolg gern an belegten Hotelbetten gemessen. (Stefan Ender, 3.7.2017)