Seit Jahren bietet die Europäische Union – konkret ihre Institutionen in Brüssel einerseits, die Mitgliedstaaten andererseits – in Sachen Krieg, Flucht, Asyl, Migration und Schleppermafia das gleiche Bild.

Sie bringen gemeinsam nicht viel weiter, schieben sich aber gern die Schuld am kollektiven Versagen zu, wechselseitig. Unverantwortlich handeln immer die jeweils anderen. Aus Sicht der EU-Kommission, deren Schreibtischtäter nicht müde werden, Monat für Monat neue und immer ehrgeizigere Pläne zu präsentieren, mit immer neuen Zielzahlen und Budgetansätzen, sind das stets die "bösen" Nationalstaaten. Natürlich, wer sonst? Die Brüsseler Bürokratie muss das, was sie auf dem Papier vorgibt, schließlich nicht umsetzen.

Aus Sicht der meisten Mitgliedstaaten, insbesondere jener aus Osteuropa, aber auch vieler im europäischen Westen, sind es hingegen die EU-Institutionen, die völlig unerfüllbare Forderungen im Umgang mit Flüchtlingen und reinen Wirtschaftsmigranten aufstellen. Sie sehen sich überfordert bis missverstanden, wobei es in der Realität unter ihnen gravierende Unterschiede gibt: Manche Länder wie Deutschland oder Österreich haben sehr viele Flüchtlinge aufgenommen, andere Staaten praktisch keine.

So geht es seit dem Ausbruch des Syrien-Krieges 2011 dahin. Kaum verschärft sich irgendwo im Nahen oder Mittleren Osten, in Nord- oder Zentralafrika ein Krieg oder eine Krise mit der Folge, dass der Wanderungsdruck Richtung Europa steigt, dann bricht in den Regierungszentralen die große Hektik aus. Dann jagt eine Krisensitzung die andere, eilen die Staats- und Regierungschefs zu Sondergipfeln.

Es werden wieder neue ambitionierte Pläne gemacht. Aber wenn sich die Aufregung in der Öffentlichkeit über tausendfaches menschliches Leid, Ertrunkene im Mittelmeer und Millionen in den Lagern wieder etwas legt, dann verfallen die Europäer zwischenzeitlich wieder in Untätigkeit. Bis zur nächsten Welle an schrecklichen Schlagzeilen. Bei der im Augenblick gerade wieder anschwellenden Krise in Italien ist es nicht viel anders. Die Zahl der Bootsflüchtlinge aus Libyen ist zuletzt relativ stark angestiegen. Manche Sicherheitsexperten fürchten, es könne auf der Libyenroute zu einer ähnlich kritischen Lage kommen wie im Herbst 2015 auf der Balkanroute, wenngleich die Zahl der Flüchtlinge wegen des beschwerlicheren Seeweges kaum so groß sein wird wie die auf dem Landweg.

Und was ist die Reaktion der Kommission? Richtig, sie präsentierte ein neues Papier. Darin findet sich die eine oder andere gute Idee, wie man dem Treiben der Schlepper besser Einhalt gebieten kann. Oder wie man ein bisschen mehr Geld nach Afrika bringt, in der Hoffnung, es würden weniger kommen. Wer aber erwartet hat, dass die Union ihr Grundproblem diesmal etwas tiefer gehend angehen wird, der wird enttäuscht sein: Im "Action Plan" gibt es weder eine Vorstellung, wie man endlich das Asylrecht auf europäische Beine stellen könnte, noch wie man Schengen – das Grenzkontrollwesen im Inneren – sinnvoll reformiert. Kein Wunder, wenn Länder wie Österreich am Brenner den Alleingang suchen.

Es findet sich auch nichts darüber, wie man hunderttausenden Flüchtlingen in Libyen, die in der Hand von verbrecherischen Schlepperbanden sind, beistehen will. Ohne militärische Assistenz wird das kaum gehen, aber dazu fehlt der Mut, die Tatkraft der Europäer.

(Thomas Mayer, 4.7.2017)