Die Umgestaltung des Wiener Heumarkts sorgt nicht nur für Streit in der Bundeshauptstadt, sondern ist auch Thema in Krakau. Wegen des geplanten 66-Meter-Wohnturms auf dem Areal setzt das Welterbekomitee Wien auf die Rote Liste der bedrohten Kulturgüter.

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Grafik: Der Standard

Wien/Krakau – In Krakau wurde am Donnerstag über das Schicksal Wiens diskutiert. Genauer gesagt über jenes des historischen Stadtzentrums, das eine Kernzone von zirka 371 Hektar mit rund 1.600 Objekten sowie eine Pufferzone von zirka 461 Hektar und 2.950 Objekten umfasst. Mittendrin: der Heumarkt im dritten Bezirk. Einst als Ort des Catchens bekannt, sorgte die Adresse des Hotels Intercontinental und des Eislaufvereins seit Jahren für Streit zwischen Bürgerinitiativen, der Stadt und schließlich auch der Unesco.

Denn die Hüter des Weltkulturerbes sehen die Pläne der rot-grünen Stadtregierung, auf das Areal unter anderem einen Luxuswohnturm mit einer Höhe von 66 Metern zu bauen, als "beträchtliche und spezifische Bedrohung für den außergewöhnlichen universellen Wert der Stätte", wie in dem öffentlichen Beschlussentwurf der Unesco zu lesen ist.

Bei der jährlichen Tagung des Welterbekomitees mit rund 3.000 Experten aus mehr als 130 Ländern wurde Wiens Innere Stadt, die seit dem Jahr 2001 das Prädikat "Weltkulturerbe" trägt, daher mit einer Eintragung in die Rote Liste abgestraft: Die Unesco "beschließt, das historische Zentrum von Wien (Österreich) auf die Liste gefährdeter Welterbestätten zu setzen".

"Blamabel für Stadt Wien"

"Die nun erfolgte Eintragung auf die Rote Liste schadet dem Kulturland Österreich, ist blamabel für die Stadt Wien und Österreich. Es zeigt die fehlende Wertschätzung für das selbst ausgewählte Welterbegebiet und auch das Unverständnis für die Bedeutung des Welterbes. Es geht beim Welterbestatus nicht um ein Tourismus-Ranking oder ein Etikett für die touristische Vermarktung, sondern um den langfristigen Erhalt einer außergewöhnlichen Stätte für die Menschheit, für zukünftige Generationen", sagte Gabriele Eschig, Generalsekretärin der österreichischen Unesco-Kommission in einer Aussendung.

Rote Liste für Kriegsgebiete

Die Aufnahme in die Rote Liste ist ein Instrument der Unesco, um auf die Gefährdung einer Weltkulturerbestätte aufmerksam zu machen. Sie ist eine Art Warnung: Unternimmt der betroffene Vertragspartner nichts, um die Bedrohung des Weltkulturerbes zu verhindern, verliert er die Auszeichnung. "Ich bedauere das natürlich sehr", erklärte Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) am Rande eines Medientermins gegenüber dem STANDARD.

Jetzt wolle die Stadt alles Erdenkliche unternehmen, um wieder von der Liste herunterzukommen. Für Wien würde das bedeuten, den Turm zu stutzen. Als maximale Höhe lässt die Unesco lediglich 43 Meter gelten. "Das muss man sich ansehen, wir haben die Höhe ja bereits angepasst." Ursprünglich sollte der Turm 73 Meter hoch werden.

Vassilakou bedauert und hofft auf Dialog

Die Wiener Planungsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) bedauert die Entscheidung. Die Unesco sei jedoch leider nicht auf den Umstand eingegangen, dass das betreffende Hochhaus überarbeitet wird, so Vassilakou. Es werde zudem ignoriert, dass es sich am Heumarkt bereits um einen Hochhausstandort handle und sich in der Umgebung bereits andere Hochhäuser befinden würden.

"Für mich ist der Dialog wichtig", so die Stadträtin. Jener mit der Unesco sei jedoch schwierig, da die Möglichkeiten dazu veraltet und starr seien: "Es ist kaum möglich, den eigenen Standpunkt direkt zu vertreten. Es ist nicht möglich, dass man sich bewegt und zu gemeinsamen Auffassungen findet." Stattdessen würden dieselben Vorgaben immer wieder wiederholt – die "im Übrigen sehr schwer vereinbar sind mit den Bedürfnissen von Millionenmetropolen", sagte Vassilakou.

Frist bis Februar 2018

Österreich hat nun bis 1. Februar 2018 Zeit, dem Welterbekomitee ein Update über den Erhaltungszustand der Welterbestätte zu übermitteln. Sollte die Stadtregierung die erforderlichen Maßnahmen nicht umsetzen, droht als nächster Schritt die Aberkennung des Welterbestatus.

"Die Unesco möchte kein Welterbegebiet verlieren, weshalb sie so lange an die Staaten appelliert und ihnen die Richtung weist", sagte Eschig. Eine Bewegung der Stadt Wien in die richtige Richtung erscheine ihr allerdings mittlerweile "sehr unwahrscheinlich".

ORF

Auch Köln habe nicht "so viel" tun müssen, um wieder von der Liste gestrichen zu werden (siehe Szenarien unten). "Ich verstehe noch immer nicht, warum ein 88-Meter-Justizturm okay ist und ein 66-Meter-Wohnturm nicht", kritisierte Häupl erneut die Entscheidung der Unesco: "Jetzt ist das eh egal."

55 Stätten auf Roter Liste

Insgesamt 55 der 1.052 Weltkultur- und Naturerbestätten befinden sich derzeit auf der Roten Liste. Die meisten Einträge betreffen allerdings Stätten in Kriegsgebieten, wie die syrischen Ruinen von Palmyra, deren Bestand durch den Bürgerkrieg gefährdet ist, oder Kulturgüter, die Naturkatastrophen ausgesetzt waren – etwa die Altstadt und der Hafen von Coro in Venezuela, wo schwere Stürme in den Jahren 2004 und 2005 zahlreiche Schäden angerichtet und den Eintrag in die Liste beschert haben. Ein Vermerk bedeutet aber noch nicht automatisch auch die Aberkennung. Seit 1982 – und damit am längsten – stehen die Altstadt und Stadtmauer von Jerusalem auf der Liste.

Bei der Tagung in Polen ist die Wiener Innenstadt aber nicht die einzige Stätte, über dessen Aufnahme in die Rote Liste diskutiert wird: Die Bauten im Kathmandu-Tal in Nepal wurden durch das Erdbeben 2015 stark in Mitleidenschaft gezogen. Auch der Festung und die Schalimar-Gärten in Lahore in Pakistan droht die Liste, die Regierung Pakistans ersuchte selbst um eine Aufnahme. Zwei brasilianischen Nationalparks droht die Aberkennung ihres Status als Weltnaturerbestätte, weil große Flächen zu Weiden verwandelt wurden.

Österreichische Nominierung

Verdienen könnte sich allerdings ein anderer Teil Österreichs den Status als Weltnaturerbe: Nominiert sind die Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas – Teile davon liegen in den oberösterreichischen Kalkalpen und am niederösterreichischen Dürrenstein. (APA, Oona Kroisleitner, Stefan Weiss, 5.7.2017)