Ein riesiger Stromausfall in Brasilien 2009, bei dem 18 der 26 Bundesstaaten im Dunklen sitzen; ein Blackout im Nordosten der USA, der 2003 die Stromzufuhr für 50 Millionen US-Bürger kappt: Sobald massive Gebrechen im Stromnetz auftauchen, werden Hacker dafür verantwortlich gemacht. Das war in der Vergangenheit meist unbegründet – in Brasilien sollen Kurzschlüsse, in den USA zu hohe Bäume für die Stromausfälle gesorgt haben.

Tatsächlich kursiert in der IT-Szene sogar der halbernst gemeinte Witz, dass Eichhörnchen zu den begabtesten Hackern gehören – sie sollen gemeinsam mit Vögeln, Ratten und Schlangen über 1.700 Ausfälle verursacht haben, wie ein eigener Twitter-Account dokumentiert.

Doch die Zeiten, in denen Stromausfälle durch Cyberangriffe ein fiktives Horrorszenario waren, sind vorbei.

Mittlerweile ist klar: Hacker haben, wohl unter der Ägide von Geheimdiensten, tatsächlich mehrfach die Stromzufuhr großer Gebiete außer Gefecht gesetzt. Wenn es ein Land gibt, in dem momentan der Cyberkrieg tobt, dann ist das wohl die Ukraine. Dort fanden sich kurz vor Weihnachten 2015 mehr als 250.000 Bürger plötzlich ohne Strom wieder. Dasselbe passierte rund ein Jahr später erneut.

Ukraine: Der Mauscursor bewegt sich durch Geisterhand

Mitarbeiter der ukrainischen Stromkonzerne konnten den Hackern Ende 2015 quasi aus nächster Nähe zusehen: Die Angreifer hatten offenbar einen Rechner der IT-Abteilung infiziert und konnten nun die Steuerung über andere Computer übernehmen. Hilflos mussten die Mitarbeiter von Kyivoblenergo beobachten, wie der fremdgesteuerte Mauscursor auf ihren Monitoren einen Leistungsschalter nach dem anderen deaktivierte.

Organisationen wie die Nato beobachten derartige Cyberattacken mit Argusaugen
NATO

Die Attacke ein Jahr später war um einiges komplexer: Dann konnte das Schadprogramm ohne menschliches Dirigieren vitales Equipment des Stromnetzes zerstören. Die Blackouts in der Ukraine dauerten nur kurz – nach wenigen Stunden war die Stromzufuhr wiederhergestellt.

Die Angriffe haben Sicherheitskräfte weltweit wachgerüttelt. Zur Beruhigung tragen Meldungen, denen zufolge russische Hacker in Netzwerke US-amerikanischer Kernkraftwerke eingedrungen sind, nicht unbedingt bei. Auch Österreich bereitet sich vor: Erst Anfang Juni gab das Bundesheer bekannt, sich verstärkt um das Thema "Blackout durch Cyberangriffe" zu kümmern. 25 Experten aus dem Militär, Start-Ups sowie von Wissenschaft und Forschung sollen zusammenarbeiten, um sich "besser für das Szenario eines Blackouts zu rüsten".

"Offene Fragen"

Eine Studie des Instituts für Technikfolgenabschätzung, deren Endfassung im März 2017 erschien, bescheinigt Österreich zwar, "in vielerlei Hinsicht gut für diverse Krisen und Katastrophen gewappnet" zu sein, allerdings müsse für gewisse Aspekte "mehr Bewusstsein" geschaffen werden. "Auch bei der Notversorgung der Bevölkerung gibt es einige offene Fragen", so die Studienautoren.

Eine leicht euphemistische Formulierung: Denn Experten gehen davon aus, dass beispielsweise die Wiener Bevölkerung nach drei Tagen ernste Probleme hat, sich mit Essen und Wasser zu versorgen. Die Studie "Ernährungsvorsorge in Österreich" aus dem Jahr 2015 weist etwa aus, dass sich am vierten Tag einer Katastrophe rund drei Millionen, am siebten Tag sogar rund sechs Millionen Menschen nicht mehr ausreichend selbst versorgen können.

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Die nahezu lichtlose Skyline von Manhattan nach Supersturm Sandy
Foto: Reuters/Jackson

Kein Strom, kein Wasser, kein Essen

Man denke beispielsweise an das Leitungswasser: Natürlich spielt Strom eine Rolle dabei, dass Wasser aus der Leitung fließt. Doch gerade, weil die Versorgungsqualität in Österreich prinzipiell hoch ist, legen Einwohner keine Vorräte an, erklärt der Blackout-Experte Herbert Saurugg, der sich seit Jahren mit der Thematik beschäftigt. In Südeuropa sei die Bevölkerung an lokale Ausfälle gewohnt, weshalb meist genügend Wasser zu Hause eingelagert ist. : Besonders in Städten seien es Menschen gewöhnt, mindestens alle zwei Tage einkaufen zu gehen. Vorräte werden – auch aus vermeintlichem Platzmangel – kaum angelegt. "Eine Achillesferse für unsere moderne Gesellschaft", sagt Saurugg zum STANDARD.

Kühlkette

Doch selbst wenn ein Stromausfall im Hochsommer nur wenige Stunden dauert, könnte das ernste Folgen für die Lebensmittelversorgung haben. Die Kühlketten bei Herstellern, Transporteuren, Supermärkten und Privathaushalten wären unterbrochen. Das bedeutet, dass Tiefkühlware, Fleisch- und Milchprodukte – und im Hochsommer womöglich auch Obst und Gemüse – ungenießbar würden. Dazu kommt, dass große Landwirtschaftsbetriebe ihre Ställe nur mit elektrischen Belüftungsanlagen betreiben können. In der Steiermark war es im Juni 2014 etwa zum Tod von 1.800 Schweinen gekommen, weil die Belüftungsanlage ausgefallen war.

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Sao Paolo 2007 – dutzende brasilianische Bundesstaaten hatten keinen Strom mehr
Foto: AP/Penner

Experten wie Saurugg sprechen hier von sogenannten Kaskadeneffekten. Es handelt sich um den sprichwörtlichen Flügelschlag eines Schmetterlings, der einen Hurrikan auslöst. Deutlich sichtbar wurden derartige Kaskadeneffekte etwa 1975, als in China der Banqiao-Staudamm brach. An der Überschwemmung starben 26.000, an den daraus resultierenden Folgen jedoch über 145.000 Menschen. Elf Millionen Einwohner mussten flüchten.

"Lichtinseln"

Ein derartiger Kaskadeneffekt könnte laut der Studie des Instituts für Technikfolgenabschätzung etwa sein, dass Orte mit Notstromversorgung "überrannt" werden. Von Experten werden diese Plätze als "Lichtinseln" bezeichnet, weil sie eben als einzige Gebäude in der dunklen Stadt über Licht verfügen. Es könnte dazu kommen, dass "jene Einrichtungen, die bei einem nächtlichen Blackout noch Strom haben (…) von großen Teilen der Bevölkerung aufgesucht werden, in der Hoffnung, dort Gesellschaft und Informationen zu finden", heißt es in der Studie. Dann könnte es "zu betrieblichen Einschränkungen kommen, wenn zum Beispiel eine Menschenmenge Zu- oder Abfahrtswege zu Krankenhäusern oder Feuerwachen blockiert."

Damit ist ein weiterer wichtiger Faktor bei Blackouts genannt: Die Informationspolitik. Auch wenn der Akku der privaten Smartphones noch hält, wird etwa das Mobilfunknetz binnen Minuten ausfallen – wenn nicht durch den Stromausfall direkt, dann durch Überlastung. Batteriebetriebene Radios haben eine immer geringere Verbreitung, höchstens über das Autoradio könnten sich noch viele Bürger informieren. Saurugg plädiert deshalb dafür, dass mehr Orte als Erstversorgungsstation designiert werden. Wahllokale wären etwa ein logischer Platz, an dem sich Einwohner bei Stromausfällen versammeln und erste Informationen oder Hilfe erhalten könnten. Diese Ort, sogenannte Selbsthilfe-Basen oder Katastrophenschutz-Leuchttürme, sollten aber bereits vor einem möglichen Ereignis für diese Aufgabe vorbereitet werden.

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Die Sagrada Familia in Barcelona – normalerweise beleuchtet – ist nach einem zweitägigen Stromausfall im Dunkeln
Foto: AP/Fernandez

Smart Meter als Einfallstor

Die zunehmende Digitalisierung aller Gesellschaftsbereiche macht die Vorbereitung auf einen Blackout oder dessen Abwehr nicht leichter. Ein Beispiel sind etwa "Smart Meter" im Strombereich. Diese sollen bis 2019 in fünfundneunzig Prozent der österreichischen Haushalte eingebaut werden. "Hier entstehen neue Angriffsflächen, da das Stromnetz dann auch über IKT-Systeme angreifbar ist", heißt es in der Studie. Softwarefehler oder Überlastungsangriffe könnten den Smart Meter zum Einfallstor für Blackouts machen. Ein anderes Beispiel sind selbstfahrende U-Bahnen. Experten fordern deshalb eine Entkopplung derartiger Systeme.

Die Bundesregierung bereitet sich mit verschiedenen Initiativen auf mögliche Krisen vor. So gibt es beispielsweise die "Österreichische Sicherheitsstrategie", die als Rahmen für Notfallpläne fungiert. Innerhalb des Staatlichen Krisen und Katastrophenschutzmanagement (SKKM) werden dann konkrete Strategien entwickelt. Außerdem gibt es eine eigene "Strategie für Cyber-Sicherheit" (ÖCSC). Ab Mitte 2016 wurde außerdem ein eigenes Computer Emergency Response Team (Cert) für die Energiebranche aufgebaut. Allerdings kommt es in diesen Bereichen naturgemäß auch zu einem Kompetenzgerangel.

So gelten bei Katastrophen die neun Katastrophengesetze der jeweiligen Bundesländer. Maßnahmen zur Vorbeugung eines Blackouts liegen primär beim Wirtschaftsministerium, heißt es auf Anfrage des STANDARD beim Innenministerium. Gegebenenfalls kann auch das Landwirtschaftsministerium Maßnahmen setzen, etwa "per Verordnung nach dem Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz". Die Kommunikationsplattform im Krisenfall ist hingegen beim Innenministerium angesiedelt.

Auch die Kooperation zwischen Wirtschaft und Staat könnte enger verzahnt sein – ganz zu schweigen von der Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. "Entscheidend für die tatsächliche Krisenbewältigung ist jedoch, wie gut die Bevölkerung und die Gemeinden auf eine solche sehr realistische Krise vorbereitet sind", mahnt Saurugg ein. Er sieht hier erhebliche Lücken und oft mehr Wunschdenken, als Fakten.

Ringe gegen Ausfälle

Eine konkrete Initiative ist beispielsweise die Schließung des 380 kV-Rings in Salzburg. Eine 174 Kilometer lange Hochspannungsleistung soll dafür sorgen, dass das Netz ringförmig wird. Das helfe, die Ausfallsicherheit zu erhöhen. Der Ring in Kärnten ist allerdings noch nicht geschlossen. Momentan fällt der Strom pro Jahr durchschnittlich 50 Minuten pro Haushalt aus.

Bürger können jedoch selbst aktiv werden. Saurugg rät jedem, zumindest ein bescheidenes Notfallpaket zusammenzustellen. Empfehlenswert sind lang haltbare Nahrungsmittel, die teils ohne Strom genossen werden können – etwa Gemüse oder Hülsenfrüchte in Dosen; gemischt mit Nahrungsmitteln, die mit Kochwasser zubereitet werden können, also Reis oder Nudeln. Außerdem sollten Wasser, Medikamente und Batterien verfügbar sein; Haltbarmilch, Zucker, Taschenlampe und Radio schaden ebenfalls nicht. Informationen dazu gibt es etwa beim Zivilschutzverband Wien. (Fabian Schmid, 6.8.2017)