Lissabon ist in den vergangenen Jahren geschrumpft, von 800.000 auf etwas mehr als eine halbe Million Einwohner. Dafür streifen mehr Besucher denn je durch die Baixa, die Unterstadt am alten Hafen, und das Bairro Alto, das Ausgehviertel auf einem der zahlreichen Altstadthügel. Eine Rekordzahl von 60 Millionen reiste vergangenes Jahr nach Portugal, die meisten davon kamen in der Hauptstadt vorbei. Ein Rundgang treppauf und treppab.

Neues Kreativ-Viertel

Lissabon ist eine ehemalige Schifffahrts- und Handelsmetropole – mit modernen Infrastrukturproblemen. Ehemalige Werften und Lagerhäuser verwahrlosen. In der LX Factory an der großen Hängebrücke über den Tejo ist aus dem Industrie- aber ein Kreativviertel geworden.

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Bei "Muito muito" gibt es Antiquitäten, nebenan Hipster-Burger, ein kleines Hostel, portugiesische Designergeschäfte und in der vierten Etage eines Speichers das Cafe "Rio Maravilha" mit grandiosem Blick auf die Brücke und den Atlantik. Das Panorama ist gratis, alles weitere kostet extra.

Alt, aber mit Aussicht

Sie ist nicht die größte Kirche Lissabons, aber die älteste: die Catedral Sé Patriarcal im Stadtteil Alfama. Sie wurde im 12. Jahrhundert an der Stelle einer Moschee errichtet, um damit weit sichtbar den Sieg über die Mauren zu feiern, und ist trotz kleiner Ausmaße bis heute die Hauptkirche der Stadt.

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Zwei romanische Türme recken sich in den Himmel, viereckige Klotze mit dutzenden Zinnen, die nichts von der Verspieltheit moderner Gotteshäuser haben und an eine Festung erinnern. Das Bauwerk steht nahe einem spektakulären Aussichtspunkt: Auf halbem Weg zum Kastell schaut man auf den Tejo hinunter.

Ausruhen ohne Orchester

Sightseeing artet in der Altstadt schnell in Leistungssport aus. Für eine Pause eignet sich der Jardim da Estrela, der Sternengarten. Er wirkt unspektakulär und ist kleinstädtisch beschaulich. Im Teich schnattern fette weiße Enten, im Terrassencafé turteln Paare miteinander, und der Musikpavillon schweigt majestätisch. Die Zeiten der Nachmittagsorchester scheinen lange zurückzuliegen. Das Schönste nach einem Spaziergang, bei dem die Socken rauchten: Der Park liegt auf einem Plateau, es gibt keine nennenswerte Steigung zu bewältigen.

Marktplatz für Foodies

Fußläufig vom Jardim liegt das Viertel Campo de Ourique, ein besserer Stadtteil von Lissabon: bürgerlich, etwas konservativ und weitgehend unbehelligt von Touristen. Das soziale Zentrum bildet die 80 Jahre alte Markthalle. Sie ist seit einer Renovierung vor drei Jahren zweigeteilt: in den regulären Gemüse- und Fischmarkt für die Anwohner und einen Gastromarkt für Foodies.

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Um vier große Stände herum gruppieren sich Delikatessanbieter. Es gibt Schokolade aus dem nahen Cascais, Eierspeise mit Spargel aus dem Alentejo – und natürlich vegane Burger oder Gojibeerenmüsli. Am Wochenende wird es allerdings ab Mittag richtig voll.

Junge portugiesische Küche

Jahrelang stand die portugiesische Küche im Schatten der spanischen mit ihren Tapas-Innovationen. Das soll sich ändern. Auch dank der "Casa de Pasto" in der Rua de Sao Paulo 20. Hinter einer versteckten Tür gehen Gäste eine Treppe in die erste Etage hinauf, wo sie eine kitschige Wunderkammer in Wohnzimmeratmosphäre empfängt. Alte Tapeten kleben an den Wänden, von der Decke hängen Plastikhühner, die krächzen, wenn man auf den Gummibauch drückt, und im Raucherraum sausen Schweine durch die Luft. Denkt man jedenfalls, wenn man die dünnen Fäden nicht sieht, an denen sie baumeln.

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Herr des Hauses ist Hugo Dias de Castro, ein junger Koch mit flottem Kaiserschnurrbart und zurückgegelten Haaren. Er will, dass sich die Gäste ihre Mahlzeiten teilen, deshalb sollte man mehrere Teller bestellen. Zum Beispiel den Kabeljau mit Kichererbsen und Kohl, die kräftige Schwarze-Bohnensuppe oder das stundenlang geschmorte Schweinefleisch, das er mit einer bitteren Orangencreme serviert.

Was empfiehlt der Koch zum Digestif? Hugo und seine Bartspitzen weisen nach draußen vor die Tür, wo zwischen altem Hafen und Bairro Alto die besten Spelunken liegen. Dort gehe er auch manchmal hin, um den Stress nach der Arbeit abzuschütteln.

Scharfe Bar

Gleich um die Ecke der Casa de Pasto liegt das "Pensao Amor". Das ehemalige Bordell wurde in ein verzweigtes Etablissement mit Lesezimmer, Tarotraum und Plüschbar umgebaut. Originelles Dekor, aber am Wochenende überrannt von britischen Sauftouristen. Weiter oben an der Straße liegt das Barrio Alto Hotel an der Praça Luís de Camões 2, das zwei klassische Hotelbars hat. Eine davon befindet sich auf der Dachterrasse in der sechsten Etage, die obligatorische Rundumsicht auf die Stadt und den Fluss inklusive.

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Hier arbeitet Marco Sousa, ein 28-jähriger Barmann, der wundervolles Londoner Englisch redet. Seine Devise für Drinks: lokale Zutaten verwenden. Den eigens kreierten Spice Honey Flavour auf Gin-Basis verfeinert er mit Zitronensaft, Orangensaft, Chili und Honig. Schmeckt ziemlich scharf, bis der Honig den Mund beruhigt.

Sousa mag die bohemienhafte Atmosphäre des Barrio Alto, diese Mischung aus Lebenskünstlern und Studenten, die Gassen, in denen man sich an die Mauern quetschen muss, wenn ein Auto vorüberfährt, und die Aussicht, die man vom Miradoura de Sao Pedro auf die Unterstadt hat. Den schönsten Blick allerdings, sagt er, finde man woanders.

Schönster Blick

Marco Sousa empfiehlt einen von sieben Aussichtpunkten auf die Stadt, nämlich den hinter der Kirche von Graca. Von hier aus hat man sowohl die Festung linkerhand, als auch den Tejo, die riesige Hängebrücke und das Barrio Alto rechterhand im Blick. Außerdem können Gäste direkt an der Mauer einen Cappuccino trinken, an einem kleinen Kiosk.

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Dort sitzt Telmo Pires, ein in Deutschland aufgewachsener portugiesischer Fado-Sänger, der in Berlin und Lissabon lebt. Für ihn ist der Blick von hier eine ständige Selbstbestätigung des Pendlerlebens: Alles richtig gemacht.

Jugendstil-Arbeiterviertel

Das Viertel Graca hinter dem Aussichtspunkt ist vom Tourismus noch unentdeckt. Für Telmo Pires ist es eines der schönsten von Lissabon. Hier leben Arbeiter, die Kommunistische Partei hat ihre Zentrale an der Hauptstraße, und einige der architektonisch schönsten Beispiele für genossenschaftliches Wohnen finden sich um die Ecke. Ein paar Gassen hinter der Kirche liegt etwa die Vila Berta, eine Straße am Hang, deren Gebäude im Jugendstil errichtet wurden: schmiedeeiserne Balkone und bunte Fassadenfliesen, die florale Muster formen, große Balkone und kleine Vorgärten.

Auf der anderen Bergseite, im "Giradiscos" am Caminho do Monte 30, einem Cafe mit einem Plattenschrank und bunten Plakaten, trinkt Telmo Pires gern Vinho Verde. Hier ist er unter Freunden. Manchmal singt er für sie und Passanten seine Fado-Lieder.

Designerkaufhaus

Telmo Pires erzählt von einem umgebauten Stadtpalast aus dem 19. Jahrhundert, der jahrelang im Dornröschenschlaf lag und nun zu einem Designerkaufhaus umfunktioniert wurde. Die "Embaixada" an der Praça do Príncipe Real 26 im Bairro Alto sieht von außen wie ein Palast aus 1.001 Nacht aus, ihn schmücken eine Zwiebelkuppel und bauchige Fensterbögen.

In der Haupthalle bietet ein Restaurant lokale Gerichte an, im Sommer auch draußen im Garten. Auf zwei Etagen sind portugiesische Designer in die ehemaligen Wohnräume eingezogen und verkaufen Kleidung, Accessoires oder Keramik. Armando Cabral entwirft fesche Lederschuhe für Herren, Organii Bebe deckt die Bedürfnisse von ökologisch bewussten Eltern ab, und Urze designt Kleider aus Wolle und Leinen. Das ist alles sehr geschmackvoll, aber nicht immer billig.

Unbezahlbar das Gefühl, wenn man auf der Freitreppe im Foyer steht und sich wie der König von Lissabon fühlt! Mindestens. (Ulf Lippitz, 16.7.2017)