Soviel zerbröckelter Stein, so viele hohle Wände sind da, daß man es flüstern hört von langher, von weither", schrieb Ingeborg Bachmann vor vielen Jahrzehnten in "Stadt ohne Gewähr". Dass Wien auch heute, lange nach Ingeborg Bachmanns Ableben, immer noch viele Geheimnisse in sich birgt, dekuvrieren Historiker Johannes Sachslehner und Fotograf Robert Bouchal in neuen Publikationen.

Grosso modo scheint einem Wien vertraut. Man meint Straßen, Bauwerke, Plätze, den öffentlichen Raum und auch die meisten Sehenswürdigkeiten zu kennen, man fühlt sich fast wie zu Hause. Dass sich hinter bekannten Fassaden und vor allem – auch abseits der Legende des Dritten Mannes – im Untergrund Okkultes, Seltsames, Aufregendes und Erregendes befindet, durchleuchtet das Autorenduo.

Unter den "geheimen Anderswelten", wie der 1957 in Scheibbs geborene Historiker die Orte nennt, befinden sich unterirdische Gänge im Narrenturm, die Gruft des Ursulinenklosters, das unterirdische Arsenal, der Bunker von Gauleiter von Schirach am Gallitzinberg, der Dachstuhl der Hofburg, unterirdische Verbindungstrakte zwischen Ballhausplatz, Michaelerplatz, Albertina und Präsidentschaftskanzlei, auch Geheimgänge zwischen Oper, Hotel Sacher und Kärntner Straße, ein Labyrinth unter der Wollzeile, ein Keller in Prinz Eugens Winterpalais, dem heutigen Finanzministerium, usw. Oft wissen nur Eingeweihte Bescheid, das meiste ist unzugänglich. Erlebbar in Wien. Streng geheim!

Orte des Schreckens – auch oft im Verborgenen schlummernd – bringen Sachslehner und Bouchal in ihrem Buch über Das nationalsozialistische Wien ans Tageslicht. Sachslehner enttarnt die Standorte der Deutschen Arbeitsfront in der Theobaldgasse, des Reichspropaganda-Amtes in der Reisnerstraße, das Hauptquartier der HJ mitten im Achten, den "Heldenbunker", exhumiert Orte des Terrors, des Grauens, der Deportation (wie den Aspangbahnhof), der systematischen Tötung, das "klassifizierende Archiv des Hauptgesundheitsamtes", den Hintergrund der verbrecherischen Massenvernichtungsmaschinerie mit den Schergen, Spitzeln und Mitläufern.

"Groß ist die Kraft der Erinnerung", konstatierte Cicero. Wichtig sind Erinnerungsarbeit und Gedenkkultur. Notwendig ist aber Aufarbeitung, um aus der Geschichte lernen und die Zukunft neu gestalten zu können. (Gregor Auenhammer, 13.7.2017)