Venezuelas Opposition hatte sich mehr erhofft. Trotzdem ist die Beteiligung am – symbolischen und nicht geheimen – Referendum über die umstrittene Verfassungsreform unter den gegebenen Umständen ein Erfolg, ein Symbol der massiven Unzufriedenheit und des zivilen Ungehorsams. Knapp 7,2 Millionen Venezolaner gingen am Sonntag an die Urnen, etwa 98 Prozent davon sprachen sich dabei gegen eine Verfassungsreform aus. Fast genauso viele (7,7 Millionen) stimmten 2015 bei der Parlamentswahl für das Oppositionsbündnis, das seither im Parlament beinahe eine Zweidrittelmehrheit besitzt.

Schon damals war der Volkswille deutlich: Man wollte einen Wechsel an der Spitze. Es war ein Votum gegen die alte Regierungsclique rund um Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro, die in den vorangegangenen Jahren das erdölreiche Land in Grund und Boden gewirtschaftet hatte. Seither dreht sich Venezuelas Abwärtsspirale noch schneller. Eine oppositionsdominierte Nationalversammlung passte nicht ins ideologische Bild von Präsident Maduro. Durch Urteile eines loyalen Obersten Gerichtshofs ließ er die Nationalversammlung systematisch untergraben. Im Frühjahr übernahm der Oberste Gerichtshof zumindest teilweise Befugnisse des Parlaments – der Anfang vom Ende der Gewaltenteilung. Die Straße reagierte mit noch massiveren Protesten. Allein seit April starben dabei nach Oppositionsangaben 94 Menschen, über 3.000 wurden verhaftet.

Die Verfassungsreform – so der Vorwurf der Opposition – soll nun endgültig Nägel mit Köpfen machen, um Maduros sozialistischer Regierung diktatorische Vollmachten zu sichern. Ausgearbeitet wird die Reform ab Ende Juli – natürlich – von einer loyal besetzten verfassunggebenden Versammlung.

Wie es mit Venezuela weitergeht, ist schwer vorherzusehen und hängt naturgemäß von mehreren Faktoren ab. Am unvorhersehbarsten ist, wie die zunehmend verzweifelte Bevölkerung auf die Ignoranz der Regierung auf der Straße reagiert. Und wie sich die Opposition diese Verzweiflung zu eigen macht. Öl ins Feuer gießt Maduro selbst, indem er der protestierenden Bevölkerung offen mit weiterer Gewalt droht.

International wird die Regierung Maduros in letzter Zeit, auch zunehmend deutlich in Lateinamerika, für ihre autoritäre Tendenzen kritisiert. Aber nach wie vor mit zu wenig Nachdruck. Fünf ehemalige lateinamerikanische Präsidenten reisten als Wahlbeobachter nach Caracas, eine Warnung an Maduro. Dieser selbst lässt sich scheinbar nicht beirren. Auch Forderungen der katholischen Bischöfe Venezuelas, doch auf die verfassunggebende Versammlung Ende Juli zu verzichten, ignoriert der ungeliebte Präsident.

Ein anderer Faktor, auch nicht unwesentlich in der Gemengelage, ist der Erdölpreis. Die Loyalität zur chavistischen Regierung hängt stark davon ab, wie viel diese zu verteilen hat. Auch im eigentlich loyalen Militär wächst die Unzufriedenheit. Maduro hofft wohl auch deshalb auf bald wieder steigende Erdöleinnahmen.

Unterdessen steuert Venezuela weiter auf den Abgrund zu. Das Damoklesschwert eines zweiten "caracazo", wie der 1989 blutig niedergeschlagene Volksaufstand genannt wird, schwebt über dem Land – damals freilich gegen eine neoliberale Regierung. (17.7.2017)