Pro: Bierzelt statt Parlament

von Günther Oswald

Unter zu großem Zeitdruck entsteht selten etwas Gutes. Nicht oft genug kann an die narrische Nacht vom 24. September 2008 erinnert werden, als die Parteien knapp vor der Wahl die Hacklerregelung verlängerten, eine 13. Familienbeihilfe sowie die halbierte Mehrwertsteuer auf Medikamente, das Aus für die Studiengebühren und noch einiges mehr durchwinkten. Bei der Hacklerregelung war das Chaos so groß, dass sogar zwei sich widersprechende Gesetzestexte beschlossen wurden.

Auch im aktuellen Wahlkampf konnten wir bereits beobachten, wozu künstlich geschaffener Zeitdruck führt. Der Pflegeregress wurde in einer Hauruckaktion abgeschafft. Um nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich handelt es sich dabei um ein wichtiges Thema. Gesetzesbeschlüsse zu fassen, ohne vorher mit Experten zu diskutieren, welche Auswirkungen das auf die Pflegeheime und die Finanzen der Länder haben könnte, ist aber populistischer Irrsinn. Nicht ohne Grund ist es üblich, Gesetzestexte erst nach mehrwöchiger Begutachtung zu beschließen. Schließlich passieren sogar den besten Ministerialbeamten Fehler.

Die Parlamentsfraktionen sollten sich und den Wählern daher den Gefallen tun und die beiden Nationalratssitzungen unmittelbar vor der Wahl im Oktober absagen. Wahlkampf kann an anderen Orten mindestens genauso gut geführt werden. Der Unsinn, der im Bierzelt passiert, kann aber nicht so teuer kommen wie jener im Nationalrat. (Günther Oswald, 17.7.2017)

Kontra: Unzulässige Bevormundung

von Michael Völker

Die Nationalratspräsidenten nehmen sich wichtiger, als sie sind: In seltener Eintracht fordern Doris Bures von der SPÖ und Karlheinz Kopf von der ÖVP die Abgeordneten auf, sie mögen doch auf die zwei Nationalratssitzungen im Oktober unmittelbar vor der Wahl verzichten. Ihr Argument: Da würde ohnedies nichts Sinnvolles beschlossen, im schlimmeren Fall käme es so kurz vor dem Wahltermin vielleicht noch zu unüberlegten Beschlüssen, die für die Wähler teuer werden könnten.

Das ist eine unzulässige Einmischung in die Arbeit der Abgeordneten und ein Versuch, diese zu bevormunden. Das Vertrauen in das Verantwortungsbewusstsein der Mandatare aller Parteien – auch der eigenen – ist offenbar so gering, dass man Sitzungen lieber unterbindet, als sie zuzulassen. Ein Armutszeugnis für die Demokratie.

Selbstverständlich sollen die Sitzungen stattfinden, hoffentlich lassen sich die Klubchefs der Parteien hier vom Präsidium nichts dreinreden. Gerade in einer Zeit, in der das Parlament vom Koalitionszwang befreit ist, könnte das freie Spiel der Kräfte dazu beitragen, noch ein paar Beschlüsse jenseits der fein säuberlichen Trennung zwischen Regierung und Opposition herbeizuführen. Wenn Parteien für Vorhaben Mehrheiten suchen, die nicht zuvor von der Regierungsmehrheit ausgemacht oder in einem Ministerium vorgeschrieben wurden, ist das ein Zeichen eines lebendigen Parlamentarismus, wie er ohnedies viel zu selten praktiziert wird. (Michael Völker, 17.7.2017)