Der Spracherwerb dauert länger, wenn Kinder zwei Sprachen gleichzeitig lernen, sagt Sprachwissenschafterin Verena Plutzar.

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Verena Plutzar berät seit acht Jahren Sprachprojekte am Übergang vom Kindergarten zur Volksschule in Wien und Niederösterreich.

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Wien – Als einen "unrealistischen und frommen Wunsch" bezeichnet Sprachwissenschafterin Verena Plutzar den Vorschlag der Grünen, in Kindergärten und Volksschulklassen Quoten für Kinder mit Deutschdefiziten einzuführen. Die Idee sei zwar "politisch schön verwertbar", aber schlicht nicht umsetzbar, sagt Plutzar zum STANDARD.

Der grüne Bildungssprecher Harald Walser hatte am Montag angeregt, in Kindergartengruppen und Volksschulklassen eine Quote von einem Viertel bis zu einem Drittel von Kindern mit Deutschproblemen einzuführen. In Wien müsste man dann allerdings Schüler und Schülerinnen außerhalb der Stadt unterrichten, da insgesamt 50 Prozent eine andere Umgangssprache als Deutsch haben. "In sehr vielen Kindergärten und Schulen Wiens sind 80 Prozent der Kinder mehrsprachig, das Herumschieben ist einfach nicht machbar", sagt Plutzar, die sich im Netzwerk Sprachenrecht engagiert und seit acht Jahren Sprachprojekte am Übergang vom Kindergarten zur Volksschule in Wien und Niederösterreich begleitet. "Wir sollten uns mit dem auseinandersetzen, was ist, und nicht die Realität verändern wollen."

Unterschiedliche Anforderungen

Die Sprachforscherin schlägt einen anderen Ansatz vor, nämlich eine Änderung bei der Lehrerausbildung. Derzeit gebe es für werdende Pädagogen keine Pflichtmodule für Mehrsprachigkeit. Auch in den Lehrplänen seien Kinder mit Zweitsprache zu wenig beachtet. Das führe zum Beispiel dazu, dass etwa im Deutschunterricht nicht gelehrt werde, wie man Artikel oder Präpositionen verwendet. "Wenn die Erstsprache Deutsch ist, dann saugt man das mit der Muttermilch auf." Für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache sei die Verwendung von Artikeln aber keinesfalls logisch.

Wer zweisprachig aufwächst, vergleicht die beiden Sprachen zudem immer. "Die beiden Sprachen werden im Gehirn nicht nebeneinander abgespeichert und gelernt, sondern einander angeglichen." Deshalb würden zweisprachige Kinder auch ganz andere Fehler machen als einsprachige. Wichtig sei es deshalb auch, sich nicht nur auf die deutsche Sprache zu konzentrieren, sondern die Sprachen miteinander zu vergleichen. "Nur dann können die Kinder auf all ihren Sprachen aufbauen und sich weiterentwickeln. Sonst hinken sie immer hinterher."

Sechs bis zwölf Jahre für Spracherwerb

Zudem dauere der Spracherwerb länger, wenn Kinder mehrere Sprachen gleichzeitig lernen. Werde das nicht berücksichtigt, ergebe sich ein deutlicher Nachteil für solche Kinder. Zu glauben, Sprachförderung im Kindergarten reiche aus, sei falsch. "Der Erwerb einer Zweitsprache dauert sechs bis zwölf Jahre." Die Förderung höre aber oft mit dem Schuleintritt auf, der Zusatzunterricht für außerordentliche Schüler reiche nicht aus.

Eine Gefahr bei einer Konzentration alleine auf die deutsche Sprache sei auch die Unterforderung der Kinder, sagt Putzer. Denn mangelnde Deutschkenntnisse würden nicht zwangsweise eine geringe kognitive Leistungsfähigkeit bedeuten. "Viele sind in anderen Bereichen schon viel weiter, aber niemand schaut darauf." Vermieden werden könnte das mit interkulturellen Teams, in denen auch die Pädagoginnen mehrsprachig sind. Als Vorzeigemodell nennt Plutzar hier Niederösterreich. (Lisa Kogelnik, 19.7.2017)