In Warschau wurde auch in der Nacht demonstriert.

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Tumulte im Parlament

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Warschau – Die EU-Kommission hat am Mittwoch weitere Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen wegen der "systematischen Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit" angekündigt. Eine Entscheidung sei zwar noch nicht gefallen, doch dürfte das nächste Woche der Fall sein. Die "Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit hat sich deutlich verschärft" und "Wir sind kurz davor, Artikel 7 auszulösen", erklärte die Kommission.

Artikel 7 sieht als schwerste Sanktion bei "schwerwiegender und anhaltender Verletzung" der im Vertrag verankerten Werte eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedsstaats vor.

Die Kommission meldete "schwerwiegende Bedenken" an und forderte die polnische Regierung auf, ihre umstrittene Justizreform auszusetzen. Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans betonte, die Unabhängigkeit des polnischen Justizwesens werde "deutlich untergraben". Nach den polnischen Vorschlägen können Richter, die im nationalen Richterrat sitzen, abgesetzt werden – ohne konkrete Begründung. Dazu kämen weitere Maßnahmen, auf die er heute nicht eingehen wolle. "Diese Reformen machen uns Sorgen, ob sie mit der polnischen Verfassung vereinbar sind." Eine unabhängige Überprüfung der Verfassung sei angesichts des Angriffs auf die Rechtsstaatlichkeit in der gegenwärtigen Lage gar nicht möglich. "So arbeitet doch kein unabhängiges Justizwesen."

Präsident Duda droht mit Veto

Polens Staatschef Andrzej Duda, der aus dem Regierungslager stammt, hatte bereits am Dienstag überraschend eine Überarbeitung des Gesetzesentwurfs gefordert. Der Europarat und die EU sorgen sich angesichts der Reformpläne um Polens Rechtsstaatlichkeit. In mehreren polnischen Städten gingen am Dienstagabend wieder tausende Menschen auf die Straße, um gegen das Vorhaben zu demonstrieren.

Parlament schickt umstrittene Reform in Ausschuss

Die PiS hat in beiden Parlamentskammern die Mehrheit. Sie will die Justizreform offenbar im Eilverfahren durchsetzen. Die Abgeordneten des Parlaments verwiesen das Gesetz am Mittwoch zur weiteren Beratung an den zuständigen Ausschuss, der sich umgehend damit befassen dürfte.

Am Dienstagabend hatte die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zusammen mit ihren Verbündeten das Gesetz nach einer von Tumulten geprägten Sitzung in erster Lesung verabschiedet. Trotz des erbitterten Widerstands der Opposition wollte sie dann sofort die zweite und entscheidende Lesung ansetzen. Dem hatte sich Parlaments-Vizepräsident Joachim Brudziński widersetzt und die Debatte auf Mittwochfrüh vertagt.

Heftige Attacken im Parlament

Nach einer hitzigen Attacke von PiS-Chef Jarosław Kaczyński auf die Opposition hatte das Parlament seine Debatte in der Nacht vertagt. Kaczyński geriet außer sich, als sich Oppositionsabgeordnete bei ihrer Kritik an der Justizreform auf seinen Zwillingsbruder, den verstorbenen Präsidenten Lech Kaczyński, beriefen.

"Wischen Sie sich nicht Ihre Verrätermäuler am Namen meines in heiliger Erinnerung bleibenden Bruders ab", rief der PiS-Chef. "Sie haben ihn zerstört, ermordet. Sie sind Schurken", beschimpfte er die Opposition. Als eine Abgeordnete darauf antworten wollte, brachte Kaczyński sie mit den Worten "Hau ab!" zum Schweigen. Wenige Minuten später wurde die Debatte unterbrochen.

Popieram Andrzeja Dudę i Jego Prezydenturę

Polens damaliger Präsident Lech Kaczyński, seine Ehefrau und 94 weitere Insassen waren am 10. April 2010 bei einem Flug nach Russland ums Leben gekommen. In Polen ranken sich zahlreiche Verschwörungstheorien um den Absturz. Jaroslaw Kaczyński ist wie viele seiner Landsleute der Ansicht, dass der Absturz der Präsidentenmaschine auf einen Anschlag zurückzuführen ist. Polnische und russische Ermittler waren dagegen zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Zusammenspiel von Pilotenfehlern, dichtem Nebel und einer schlechten Luftüberwachung zu dem Unglück führte. (red, APA, 19.7.2017)