Während schulpflichtige Kinder zumindest im regulären Bildungssystem unterkommen, fehle es für Erwachsene mit geringer formaler Qualifikation an geeigneten Angeboten, sagt die Expertin.

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Gudrun Biffl: "Wien ist einzigartig bei Bildungsangeboten."

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STANDARD: Im Jahr 2015 gab es rund 90.000 Asylanträge in Österreich. Wie viele dieser Menschen sind eigentlich im Land geblieben?

Gudrun Biffl: Gute Frage. Die Anträge sind das eine, die Anerkennungsquote das andere. Mein Wissensstand ist, dass ungefähr 60.000 tatsächlich behandelt worden sind.

STANDARD: Wobei man nicht weiß, wer danach das Land verlassen hat.

Biffl: Es gibt insgesamt zu wenig Daten über Flüchtlinge in Österreich. Das Grundproblem ist, dass sie zwar im Melderegister erfasst werden, aber nicht mit einer Personenkennziffer versehen werden. Ohne eine solche Zahl weiß man aber nicht, wo sie landen. Denn es gibt ja eine Art angeordneter Mobilität von Asylwerbern: Einmal werden sie vom Asylheim hier ins Asylheim da transferiert, und dann weiter in die Unterkunft dort – da gibt es keine Stabilität. Die Regionen haben keine Ahnung, wer wann in welche Struktur kommt. Man weiß zu wenig über sie – welches Alter sie haben, welchen Bildungshintergrund, welche Bildung sie brauchen.

STANDARD: Sie sprechen von jenen Menschen, die sich im Asylverfahren befinden. Wie sieht es mit den anerkannten Flüchtlingen aus?

Biffl: Auch anerkannte Flüchtlinge können wandern. Schließlich bekommen Flüchtlinge in manchen Bundesländern sehr wenig an finanzieller Unterstützung – natürlich gehen sie dann in jene Bundesländer, in denen sie etwas bekommen. Das ist üblicherweise Wien. Wenn man das ändern will, sollte man das auf Bundesebene vereinheitlichen. Das ist angesichts der Zuständigkeit, die die Bundesländer nicht abgeben wollen, sehr schwierig.

STANDARD: Welchen Nutzen würde eine Identifikationsnummer bieten?

Biffl: Sie würde zumindest die Chance bieten, dass mittelfristig geplant werden kann. Einer der Gründe, warum Angela Merkel sagen konnte "Wir schaffen das", ist, weil sie in Deutschland diese Nummer haben. Wenn man über 40 Erstaufnahmezentren hat und in den ersten 48 Stunden alles aufgezeichnet wird und diese Informationen – das ist mir wichtig – anonymisiert gespeichert werden, dann kann die Arbeitsagentur oder das Arbeitsmarktservice genau sagen, wer da kommt und was man längerfristig planen muss. Auch der Bildungshintergrund wird in Deutschland bei der Erstaufnahme erfasst. Bei uns ist das im Asylverfahren völlig uninteressant, welche Qualifikation dieser Mensch hat. Wenn man es aber erst beim AMS erfasst, dann erfassen wir nur jene Menschen, die erwerbsfähig sind. Alle anderen haben wir dort gar nicht drin. Das ist eine höchst unzufriedenstellende Situation – denn Integration bedeutet ja, dass man weiß, was die Person schon bekommen hat und was sie noch braucht. In Österreich wird derselbe Kurs ein paar Mal vergeben, Ausgaben werden ineffizient verwendet.

STANDARD: Viele Flüchtlinge aus Afghanistan sind vergleichsweise schlecht ausgebildet. Wie gut ist Österreich aufgestellt, um diese Menschen auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren?

Biffl: Das ist die große Herausforderung – insbesondere, wenn die Mindestlöhne für Hilfstätigkeiten angehoben werden. Wir haben bei Personen mit einfachen Qualifikationen ohnehin schon eine hohe Arbeitslosenquote. Wenn nun der Großteil der Flüchtlinge in diese Gruppe der Menschen mit einfachen Qualifikationen fällt, dann ist klar, dass man allein bei den Flüchtlingen automatisch eine Arbeitslosenquote von 60 Prozent hat. Das ist eine Riesenherausforderung. Und ich sehe eigentlich nur in der Teilselbstständigkeit einen Ausweg: Das heißt, dass es Agenturen gibt, die gewisse Strukturdienste übernehmen – Buchhaltung oder andere rechtliche Anforderungen. Und dass die Flüchtlinge dann quasi Ich-AGs werden. Nur so haben sie eine Möglichkeit, erwerbstätig zu sein.

STANDARD: Ist das Bildungsangebot für gering qualifizierte Flüchtlinge ausreichend?

Biffl: Sicherlich nicht. Der Bedarf bei Flüchtlingen ist extrem hoch. Es wird viel für Kinder und Jugendliche gemacht, aber die Frage ist, was passiert mit den anderen? Der Großteil der Flüchtlinge ist ja zwischen 25 und 38 Jahre alt – die brauchen eindeutig eine Basisqualifizierung und Höherqualifizierung. Wir haben ja auch Menschen, die Analphabeten ersten Grades sind. Für sie gibt es eigentlich fast gar nichts. Ja, es gibt Sprachkurse, aber die grundlegende Qualifizierung fehlt. Dabei wäre auch der Bedarf bei den Österreicherinnen und Österreichern hoch: Auch hier gibt es sehr viele Analphabeten.

STANDARD: Welche Angebote könnte man schaffen?

Biffl: Man müsste eigene Ausbildungseinrichtungen schaffen, möglicherweise auch Produktionsschulen für Flüchtlinge. In Wien gibt es zumindest ein College für jugendliche Flüchtlinge – aber für die Erwachsenen macht man gar nichts. Das geht meines Erachtens überhaupt nicht. Es wird deutlich mehr Erwachsenenbildungsangebote geben müssen, damit diese Menschen eine Chance haben. Das betrifft vor allem viele Flüchtlinge aus Afghanistan und Somalia, die diese Basisbildungsangebote brauchen. Dazu kommen das Nachholen von Pflichtschulabschlüssen und die Berufsreifeprüfung. Es braucht jetzt vor allem eine Erwachsenenbildnerausbildung – das wäre das Um und Auf. Wenn wir das nicht machen, wird die Integration nur in geringem Maß funktionieren.

STANDARD: Ist die Situation bei den Schulpflichtigen besser?

Biffl: Bei Volksschülern muss man sich noch weniger Sorgen machen. Wenn die Kinder aber erst mit 13 oder 14 kommen, ist es extrem schwierig. Von den 14- bis 16-Jährigen schafft nur ein kleiner Anteil den Pflichtschulabschluss. Man müsste, ähnlich wie Wien, mehr in Drehscheiben für die Bildungszuweisung investieren – weil ja immer die Frage ist, wer zahlt das Ganze, da müssen unterschiedliche Einrichtungen zusammenarbeiten. Wien ist dabei einzigartig und auch gut dokumentiert.

STANDARD: Wie bewerten Sie die Integrationsdebatte in Österreich?

Biffl: Das ist ein trauriges Thema. Bei uns wird viel gemacht, auf Ortsebene, in den Ländern und Gemeinden gibt es viele Aktivitäten, auf Bundesebene war lange nichts. Integration wird weiterhin von den unmittelbaren Akteuren gemacht, aber es ist klar, dass die Politik das Thema Flüchtlinge verwendet, um Ressentiments gegen Flüchtlinge zu schüren. Das ist sehr gefährlich. In Wahlzeiten ist es wahrscheinlich normal, dass diese Dinge passieren. Es gibt viel Unterstützung der Gemeinden, und die braucht es auch, aber die Gemeinden sind auch politisch unterlegt. Daher ist es sehr schwierig in der jetzigen Situation, Integrationsmaßnahmen korrekt durchzuführen. (Maria Sterkl, 23.7.2017)