Wissenschafter warnen, dass das Great Barrier Reef vor der Küste Australiens bis 2050 abgestorben sein könnte. Als Ursache gilt der Klimawandel.

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Doch nicht alle Folgen des Klimawandels sind so sichtbar wie die Korallenbleiche.

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Als Studentin hat die deutsche Meeresbiologin Antje Boetius bei Expeditionen auf den Ozeanen vielleicht einmal eine Coladose gefunden, oder eine Flasche. "Heute gibt es bei Tauchgängen mit dem U-Boot oder Tiefseerobotern selbst ganz weit weg von Land im Pazifik überall Plastikmüll am Meeresboden", sagt die 50-Jährige. "Der völlige Wandel der Gesellschaft hat auch in den entferntesten Regionen Spuren hinterlassen", sagt Boetius, die Tiefseeforschung und Mikrobiologie kombiniert.

Ihre Forschung bringt sie in die letzten unbekannten Regionen der Ozeane – etwa in jene Regionen, die früher das "ewige Eis" genannt wurden. "Auch der Klimawandel ändert alles. Wir treffen auf immer weniger und immer dünneres Meereis in der Arktis mit erheblichen Konsequenzen für das Ökosystem", warnt die Forscherin.

Die Herausforderungen für die fünf Weltmeere, den Arktischen, den Atlantischen, den Indischen, den Pazifischen und den Antarktischen Ozean, sind groß. Erwärmung, Verschmutzung, Versauerung und Überfischung: Die Kombination dieser Faktoren könnte zum größten Massensterben in der Menschheitsgeschichte führen. Und zwar nicht erst in tausenden Jahren, sondern noch in diesem Jahrhundert, warnen wissenschaftliche Institutionen wie das Internationale Programm zur Lage der Ozeane in London.

Meere erwärmen sich

Ein Auszug aus den Meldungen der vergangenen Wochen: Bis 2050 soll mehr Plastik als Fisch in den Weltmeeren treiben. Zu diesem Ergebnis kommt die Ellen MacArthur Foundation in einer Studie, die das Weltwirtschaftsforum beauftragt hatte. Die Korallen des Great Barrier Reef könnten zum gleichen Zeitpunkt verschwunden sein, informiert die Unesco.

Viele Studien, etwa eine der US-Raumfahrtbehörde Nasa aus dem Jahr 2012, kamen in den vergangenen Jahren zu dem Schluss, dass sich die Meere erwärmen. In einer Tiefe von 100 bis 300 Meter unter der Meeresoberfläche wurde mehr Wärme gespeichert als zuvor angenommen. Verantwortlich dafür ist die globale Erwärmung, die zum großen Teil mit dem Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) zusammenhängt. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) spricht in diesem Zusammenhang von der "größten versteckten Herausforderung unserer Generation".

Für eine aktuelle Studie Anfang dieses Jahres haben Wissenschafter der Universität von Kalifornien Daten von Satelliten, Bojen und Tauchrobotern ausgewertet. Demnach steigt die Temperatur an der Oberfläche der Ozeane seit 1997 um insgesamt rund 0,12 Grad pro Jahrzehnt. Zuvor war man von einem Anstieg von nur 0,07 Grad Celsius im gleichen Zeitraum ausgegangen.

Erstmals in Paris erwähnt

Politische Maßnahmen werden nur schleppend gesetzt. Von der bei der Klimakonferenz Ende 2015 geplanten Drosselung des CO2-Ausstoßes und der Begrenzung der Erderwärmung auf unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit profitieren zwar auch die Meere. Aber trotz ihrer zentralen Rolle als CO2-Senke und Wärmespeicher haben sie bislang keine zentrale Rolle bei Klimakonferenzen gespielt. Im Abkommen von Paris wurden sie nun explizit erwähnt: Darin wird die Sicherung der "Unversehrtheit aller Ökosysteme, einschließlich der Ozeane" gefordert.

Dass es überhaupt ein Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen gibt, nennt Boetius einen großen Schritt. "Wir müssen aufhören zu glauben, dass wir das, was erst in zwei oder drei Generationen wehtun wird, jetzt hintanstellen können", sagt sie. Denn die Schäden werden dadurch größer. Dabei ist gerade in der Tiefsee noch viel unerforscht. Es wird geschätzt, dass es an die zehn Millionen Arten im Meer gibt, davon 22.000 Fischarten.

Von 2000 bis 2010 wurde der "Census of Marine Life" durchgeführt, eine Volkszählung der Meere, an der 80 Nationen beteiligt waren. Der Zensus der marinen Mikroben war dabei das Spezialgebiet des österreichischen Meeresbiologen Gerhard Herndl. Mehr als 122.000 Arten haben Herndl und seine Kollegen beschrieben. Viele Mikrobenarten leben in der Tiefsee, die am wenigsten erforscht ist. Dabei macht die Tiefsee 70 Prozent des Volumens der Weltmeere aus.

Langsame Veränderungen

"Ins öffentliche Bewusstsein rücken vor allem sporadische Vorfälle, wie Ölkatastrophen. Meistens sind diese Unfälle aber nicht so dramatisch. Sobald Lecks geschlossen sind, erholt sich das System schnell", sagt Herndl, dessen Forschungsgebiet der Kohlenstoffkreislauf der Tiefsee ist. Ein Foto von einem ölgetränkten Seevogel sei spektakulär und lasse sich medial besser aufbereiten als langsame Veränderungen. "Der CO2-Anstieg in der Atmosphäre mit allen Konsequenzen fürs Meer liefert keine dramatischen Bilder", sagt er.

Will man die aktuellen Probleme in den Weltmeeren verstehen, muss man zwischen küstennahen Bereichen und der Tiefsee unterscheiden, sagt Herndl. In Ländern Südostasiens oder Südamerikas sei vor allem Überdüngung ein Risiko. In Erinnerung sind etwa noch die Bilder von den Olympischen Spielen vor Rio de Janeiro, wo die Algen vor den Wettkämpfen der Segler kaum entfernt werden konnten. Diese Umweltschäden, sagt Herndl, seien jedoch umkehrbar. Vor rund 30 Jahren sei zum Beispiel Überdüngung in der Nordsee noch ein Thema gewesen. Es wurden Kläranlagen gebaut, die Nährstoffkonzentrationen sind wieder gesunken, der ökologische Kreislauf erholt sich.

Tropikalisierung der Ozeane

Im offenen Ozean sorge dagegen vor allem die Erwärmung für Veränderungen, berichtet Herndl. Diese Schäden sind nicht so schnell zu beseitigen. Dadurch wird etwa die Tropikalisierung der Ozeane begünstigt: Arten, die zuvor in den Tropen vorgekommen sind, wandern immer weiter in den Norden, da es ihnen zu warm wird. Auch das Mittelmeer ist betroffen. "Fragilere Arten sind in den küstennahen Bereichen fast verschwunden. Das kann man auch in der Adria beobachten", sagt der Meeresforscher.

Korallen, Polypen oder Moostierchen, die vor 30 Jahren noch im küstennahen Bereich zu finden waren, sind nur noch bei vorgelagerten Inseln zu entdecken. "Wenn eine Art einrückt, kommt es zu Verschiebungen im gesamten Nahrungsnetz", erklärt Herndl. Ein Beispiel ist der Atlantische Kabeljau: Auf der Flucht vor steigenden Wassertemperaturen ist er mittlerweile in der Arktis angekommen und könnte dort seinen kleineren Verwandten, den Polardorsch, verdrängen.

Eine andere Auswirkung der Meereserwärmung lässt sich hingegen gut bebildern. Luftaufnahmen des Great Barrier Reef zeigen weiße Flecken statt buntes Leben. "Korallen fühlen sich nur in einem geringen Temperaturbereich wohl. Bei mehr als 30 Grad stoßen sie ihre Dinoflagellaten ab. Das sind Einzeller, mit denen sie in Symbiose leben", sagt Herndl. Die Konsequenzen: Die Korallen bleichen und sterben anschließend ab.

Studie belegt Besorgnis

Die Probleme der Weltmeere bewegen die Menschen. Das zeigt die neue Studie "Ten Thousand Voices on Marine Climate Change in Europe". Wissenschafter aus Großbritannien, Chile und Saudi-Arabien haben dafür 10.000 Europäer aus zehn Ländern befragt. "Klimawandel wird an zweiter Stelle auf einer Liste von großen, globalen Problemen platziert. Und die meisten Befragten glauben, dass Klimawandel zumindest teilweise von Menschen verursacht wird und eine unmittelbare Bedrohung für die Weltmeere darstellt", fasst Studienautor Paul Buckley vom britischen Zentrum für Umwelt, Fischerei und Aquakulturen (Cefas) die Ergebnisse zusammen. Südeuropäer und Meeresanrainer allgemein zeigten größere Bedenken bezüglich des Zustands der Meere.

Als drängendste Probleme wurden Überfischung, Verschmutzung und Habitatsverlust wahrgenommen. Doch auch eine Reihe von Auswirkungen der Erderwärmung rangierten auf dieser Liste weit oben, wie etwa der Anstieg des Meeresspiegels, die Zunahme extremer Wetterereignisse und das Schmelzen des Meereseises.

Einige Länder zeigten einen klaren Fokus auf ein oder zwei Probleme. Briten oder Iren antworteten etwa spontan auf die Frage, was sie als gravierendste Folgen des Klimawandels wahrnehmen, mit dem Anstieg des Meeresspiegels und der Erosion der Küsten.

Andere Punkte waren den Befragten eher unbekannt. "Etwa die Versauerung der Meere. Dass CO2 aus der Atmosphäre von den Ozeanen absorbiert wird, war nur 14 Prozent der Befragen bekannt", sagt Buckley im Gespräch mit dem STANDARD. Die Auswirkung wurde von den Befragten nicht als unmittelbare Bedrohung bewertet. Die Ergebnisse legen nahe, dass Europäer die Auswirkungen des Klimawandels nicht gleich wahrnehmen, sagt Buckley: "Es ist sicherlich eine Herausforderung, den Menschen auch Probleme nahezubringen, die weit weg von ihrem Alltag liegen." Dies müsse im Rahmen einer breiten Umweltdebatte passieren, bei der der Klimawandel von zentraler Bedeutung für die Entwicklung von Politiken und individuellen Lebensentwürfen ist, sagt der Forscher.

Wölfe essen

Denn auch der Einzelne kann durch persönliche Entscheidungen zum Meeresschutz beitragen. Nicht zuletzt übt der Appetit der Menschen einen immer größeren Druck auf die Biodiversität der Meere aus. Laut Bericht der UN-Ernährungsorganisation FAO waren bereits 2007 rund 52 Prozent der Meeresfischbestände so intensiv befischt, dass eine Steigerung nicht mehr möglich war. Ein Viertel befinde sich demnach in "bedenklichem Zustand".

In der EU-Fischereipolitik werden Quoten festgelegt, die die Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) jedes Jahr um durchschnittlich 48 Prozent überschreiten. Laut EU-Kommission gelten 88 Prozent der Fischbestände in EU-Gewässern als überfischt. In den 1970er-Jahren waren es zehn Prozent.

"Wir betreiben Fischerei ineffizient, wir fischen die Raubtiere heraus", sagt Gerhard Herndl. Im marinen Bereich werden Thunfische gefangen, die an der Spitze der Nahrungskette stehen: Je weiter oben, umso geringer die potenzielle Biomasse, also jene Menge, die gefischt werden kann. "Gegenwärtig werden pro Jahr etwa 100 Millionen Tonnen Fische geangelt. Würden wir uns auf Muscheln beschränken, die an der Basis der Nahrungskette liegen, können wir 4000 Millionen Tonnen gewinnen", sagt er und ergänzt: "Was wir im Meer machen, ist so, als würden wir uns an Land vom Wolf ernähren."

Rohstoffgewinn aus der Tiefsee

Ein neueres Risiko gehe vom Rohstoffgewinn aus der Tiefsee aus. Gewisse Erze werden an Land seltener, daher sichern sich Länder Schürfrechte am Meeresgrund. Mähdrescherartige Geräte fahren dabei in 1000 bis 4000 Meter Tiefe über den Boden. "Das hat massive Auswirkungen auf Tiefseeorganismen, die extrem langsam wachsen", sagt der Forscher.

Die neue Technik birgt aber auch Chancen: Tiefseeroboter, Satelliten und Drohnen bieten so exaktes und umfangreiches Datenmaterial wie nie zuvor. Das erleichtert das Pochen auf Umsetzung politischer Maßnahmen. Konsumenten könnten die Informationen nutzen, um ökologisch und sozial nachhaltiges Verhalten von Firmen zu belohnen.

Auch auf diplomatischer Ebene wurde heuer der Meeresschutz gestärkt. Im Rahmen der UN-Meereskonferenz in New York verabschiedeten 193 Staaten eine sechsseitige Erklärung. Darin steht, dass sie die Ozeane "konservieren und nachhaltig nutzen" wollen. Was das heißt?

"Naturwerte sollten für sich selbst stehen, uns immer als essenzielle Werte gelten und nicht erst in ein wirtschaftliches Gewinn- oder Verlustsystem eingebaut werden müssen", sagt Meeresbiologin Antje Boetius. (Julia Schilly, 23.7.2017)