Ein Rundgang durch den Pariser Zoo mit Natascha Meuser, Autorin von "Architektur im Zoo".

Foto: Ulf Lippitz

Landschaftsarchitektur und keine verkopfte Naturnachbildung: Das mache den Charme des Parc Zoologique von Paris aus, meint Architektin Natascha Meuser.

Foto: Ulf Lippitz

Zooarchitektur, sagt Natascha Meuser, ist immer auch Gefängnisarchitektur. So gern die Besucher es ausblenden möchten: Die Tiere sind hinter Panzerglas, Gittern oder Gräben eingesperrt.

Foto: Ulf Lippitz

Der Umbau des Pariser Zoos dauerte sechs Jahre. Das Video zeigt die eigentliche Bauphase in Zeitraffer.

Bouygues Construction

Der Giraffenbulle ist schuld. "Es riecht! Endlich!" Natascha Meuser bleibt stehen, saugt das scharfe Aroma aus Heu und Urin ein und rechnet nach: Drei Stunden hat es gedauert, bis sie das erste Mal von Duftmarken daran erinnert wurde, in einer tierischen Umgebung zu sein, genauer im Parc Zoologique von Paris.

Natascha Meuser ist keine Tierfreundin. Von Haustieren hält sie wenig. Aber die Berliner Architektin ist ein ausgesprochener Fan von Tiergärten. Sie ist zur Koryphäe auf dem Gebiet der Zooarchitektur geworden. Seit sie vor mehr als zehn Jahren herausgefunden hat, dass es kaum Literatur darüber gab. Also zog Natascha Meuser bequeme Schuhe an, besuchte die Zoos der Welt und studierte deren Gebäude.

Erstes Standardwerk für Zoo-Architektur

Ergebnis dieser Mühen ist ein Buch, ach was, ein Ziegelstein von einem Grundlagenwerk, das im Frühjahr erschienen ist: "Architektur im Zoo". Dutzende Tiergärten hat sie besichtigt, in Paris war sie jedoch nie. Der Zoo wurde 2008 geschlossen, dann wurde sechs Jahre lange geplant, gegraben und gebaut, Käfige wurden abgerissen und 2000 Bäume gepflanzt. Der Garten sollte zeitgemäßer werden. Vor drei Jahren eröffnete er rundum erneuert, als Natascha Meuser gerade keinen Zoo mehr sehen mochte. Sie war sich unsicher, ob so eine Einrichtung noch zeitgemäß war.

Der erste Eindruck ist ziemlich aktuell. Am Eingang kontrollieren Sicherheitsbeamte die Taschen der Besucher. An Automaten können Besucher Eintrittskarten kaufen – oder sich in einer Schlange für den Ticketverkauf einreihen. Über der Fläche zwischen Einlass und Kassenhäuschen ist ein Gitter gespannt, daran rankt sich Goldregen. Meuser sagt: "Sehr gut, da fühlt sich der Besucher gleich wie ein Zootier." Das meint sie völlig ernst. Zooarchitektur, sagt sie, ist immer auch Gefängnisarchitektur. So gern die Besucher es ausblenden möchten: Die Tiere sind hinter Panzerglas, Gittern oder Gräben eingesperrt.

Von Europa nach Guyana

Am Drehkreuz wartet die Direktorin des zoologischen Gartens, Sophie Ferreira Le Morvan. Sie erklärt das grundlegende Konzept: Der Park wurde in fünf Biotope aufgeteilt, dem sich die gezeigten Arten und die Landschaftsgestaltung unterordnen. Europa, Subsahara, Madagaskar, Patagonien und Guyana. Das Zentrum bildet der künstliche Felsgipfel, der seit der Eröffnung steile 65 Meter in den Pariser Himmel schießt und ein Wahrzeichen geworden ist.

Der Garten ist 14,5 Hektar klein, also weniger Fläche als sein Pendant in Schönbrunn. Auf einem drei Kilometer langen Rundweg und einem Kilometer davon abzweigenden Routen spazieren die Besucher durch den Park. Rund 190 Arten gibt es, allerdings keine Flagship-Tiere wie Elefanten, Gorillas oder Pandas. Dafür ist der Zoo stolz auf seine Fossas, madagassische Schleichkatzen, die wie kleine langgezogene Pumas aussehen und dafür berüchtigt sind, bis zu drei Stunden zu kopulieren.

Dichte Bepflanzung, getarnte Gehege

Zuerst geht es linker Hand nach Madagaskar, vorbei an müden Lemuren hinter Panzerglas und hinein in das Tropenhaus. Da ruhen Kattas auf immergrünen Bäumen und schwimmen kugelrunde Manatis im Süßwasserbecken. Nicht alle diese Arten kommen von der afrikanischen Insel, die Hälfte des Hauses gehört bereits zum Regenwaldgebiet des Guyana-Biotops.

Natascha Meuser schaut sich um. "Ich finde das richtig cool", und sie meint die dichte Bepflanzung, den gewundenen Weg durch den Dschungel, die gut getarnten Gehege innerhalb des Hauses und die Freiflughalle drum herum. "Das ist nicht diese Salatbeet-Atmosphäre wie im Berliner Tierpark", stichelt sie. Oder noch schlimmer: dieser Erlebnishunger im Gondwanaland, der Tropenhalle des Leipziger Zoos. Dort können Besucher auf einem Boot durch die Halle fahren. "Das ist kein respektvoller Umgang mit den Tieren."

Dass sie Architektin ist, merkt man daran, wie sie mit Hingabe Grundrisse mit Notfallwegen abfotografiert. Wenn sie plötzlich stehen bleibt, auf den Boden starrt und versteht: Glatter Fließbeton steht für den Rundweg, grobkörniger Waschbeton für Abzweigungen. "Clever", sagt Meuser. Und vor allem: "Keine Elefantenabdrücke als Wegweiser wie in manch anderen Zoos." Als wüssten die Besucher nicht, wohin sie gehen sollten.

Eine Bühne für jedes Tier

Die Direktorin muss sich verabschieden. Natascha Meuser geht weiter zum Robbenbecken. Eine verjüngte Treppe führt hinunter zu einem Schaubecken, dahinter türmen sich künstliche graue Felsen, die wie mit sanfter Hand abgerieben aussehen. Es ist kein Tier zu sehen, Natascha Meuser ist begeistert. "Das ist Landschaftsarchitektur, keine verkopfte Naturnachbildung." Sie redet nun von einer Inszenierung, dass der Zoo eben auch ein Bühnenerlebnis ist, auf dem das jeweilige Tier wie auf einer Tribüne platziert ist. Sie dreht sich um. "So euphorisch bin ich selten in Zoos."

Auf dem Fließbeton nähert sie sich einem künstlich aufgeschütteten Sandhügel. Südamerikanische Guanakos dösen darauf in der Sonne. Warmer Sand, erklärt die Architektin, das schafft Ruheflächen. Aufgeschütteter Kies, sie zeigt auf die gesplitterten Pfade, bedeutet Laufwege. So lenkt man Bewegungen im Gehege. Kaum sichtbar stehen Drahtfächer aneinandergereiht am Rand. Diese filigranen Minipalmen formen einen elektrischen Zaun, der die Tiere vom Verlassen der Anlage abhält. Schon wieder so eine Idee, die Meuser gefällt. "Das nimmt man gar nicht als Zaun wahr."

Einblick in den OP des Tierarztes

Nun kommen doch ein paar Publikumsmagnete, eine Gruppe von sechs Löwen. Wie es sich für die Raubkatzen gehört, schlafen sie tagsüber. Trotzdem drücken sich die Besucher die Gesichter am Glas platt, als erwarten sie eine Treibjagd. Nebenan gibt es ein großes Schaufenster, das einen Einblick in den Operationssaal des Tierarztes gibt. Der Besucher wird daran erinnert, dass es sich um Lebewesen und nicht nur um Ausstellungsstücke handelt. Natascha Meuser findet das natürlich toll.

Und dann riecht sie ihn, den Giraffenbullen, der auf der Freianlage vor dem großen Felsen aufreizend langsam auf seinem Heu herumkaut. Es gibt viel Sand, ein paar Bäume als Schattenspender, Strauße, Antilopen und höher gelegene Mauern. "Eine schöne Variation von Gelände", lobt Natascha Meuser im Expertenjargon. "Meist nehme ich Tiere in den Anlagen gar nicht wahr, hier will ich sie erleben."

Nach fast vier Stunden ist sie so erschöpft wie beglückt. "Das ist der modernste Zoo, den ich kenne." Wie Landschaft und Tiere miteinander harmonieren, wie die Architektur sich zurücknimmt, bis man sie gar nicht mehr wahrnimmt: "Jetzt glaube ich doch, dass der Zoo eine Zukunft hat." (Ulf Lippitz, 27.7.2017)