Wien – Die Affinität von Erdinc A. zu motorisierten Zweirädern hätte Gruppeninspektor Anton F. am 22. September fast das Leben gekostet. "Ich habe Motorräder geliebt", erklärt der 30-jährige Angeklagte dem Schöffensenat unter Vorsitz von Nina Steindl. "Ich bin seit viereinhalb Jahren nicht mehr gefahren", ergänzt er. Der Grund der Pause: Derzeit sitzt er seine siebente Vorstrafe ab.

Am Tattag hatte er einen genehmigten Freigang. Sein Bruder holte ihn von der Justizanstalt Stein ab und brachte ihn nach Wien-Floridsdorf. Wo dummerweise auch das neue Gefährt des Bruders war. A. bekam Lust auf eine Spritztour, bastelte sich aus Karton eine Kennzeichentafel. "Ich wollte es zur Werkstatt bringen."

Panik bei Blaulicht

Auf dem Weg dorthin bemerkte eine Polizeistreife die Eigenbauleistung. "Ich bin zu einer Tankstelle gefahren, dann habe ich das Blaulicht bemerkt. Da habe ich Panik bekommen und bin davongefahren." Eine Verfolgungsjagd begann, die vor einer Schule endete.

"Gruppeninspektor F. wird diesen Tag nicht mehr vergessen. Nur, weil er seinen Job als Polizist gemacht hat", schildert die Staatsanwältin im Eröffnungsplädoyer ihre Sicht der Dinge. Der Beamte war gerade mit Schulwegsicherung beschäftigt, als er über Funk von der Fahndung erfuhr. Der 53-Jährige sah den Heranbrausenden und wollte ihn aufhalten.

Er stieg mit ausgebreiteten Armen auf den Schutzweg, wurde mit mindestens 96 Kilometern pro Stunde erfasst und flog zehn Meter durch die Luft. "Die Ärzte haben mir gesagt, dass ich nur eine fünfprozentige Überlebenschance hatte", schildert der Zeuge. An den Vorfall selbst kann er sich nicht mehr erinnern, nach zwölf Tagen im künstlichen Tiefschlaf hatte er keine Ahnung mehr, warum er im Krankenhaus lag. Noch heute leidet er an den Folgen.

Anklage wegen Mordversuchs geplant

Ursprünglich war eine Anklage wegen Mordversuchs geplant, aufgrund von Zeugenaussagen, die nahelegen, dass A. eigentlich ausweichen wollte, wurde es das Delikt Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen. Auf diese Aussagen stützt sich auch A.s Verteidigungsstrategie.

"Ich wollte den Herrn nicht verletzen", beteuert er. Er habe sich während der Fahrt umgedreht, um nach den Verfolgern zu schauen. "Plötzlich ist der Mann da gestanden. Ich habe noch nach links verrissen, um ihm auszuweichen, dann wurde alles schwarz." Erst als sich die Sanitäter um ihn kümmerten, sei er wieder zu Bewusstsein gekommen.

Am Tag nach dem Vorfall hat er bei seiner Befragung im Spital noch anderes erzählt, hält ihm die Vorsitzende vor. Damals sprach er noch davon, das Opfer sei nach links und rechts gestiegen, und er habe noch versucht auszuweichen. "Daran kann ich mich nicht mehr erinnern", sagt er nun. "Ich habe ihn erst zum Schluss gesehen."

Falsche Einschätzung

A. ist auch überzeugt, viel schneller unterwegs gewesen zu sein. Mindestens 120 Kilometer pro Stunde seien es gewesen, er habe keine Chance mehr gehabt zu bremsen. Eine Zeugin berichtet anderes: Er sei zunächst langsamer geworden, als der Polizist dann mitten auf der Fahrbahn gewesen sei, habe er wieder beschleunigt. Auch sie glaubt aber, dass A. wohl dachte, er könne um den Beamten herumfahren. Beziehungsweise, wie es der Angeklagte formuliert: "Es hätte sich eigentlich schon ausgehen müssen."

Auf die Frage der Staatsanwältin, ob er eigentlich je einen Führerschein hatte, kommt eine verblüffende Antwort: "Ja. Aber wie leider festgestellt wurde, war der eine Fälschung." Wie er zu dieser gekommen ist, bleibt offen.

Steindl vertagt schließlich, da der Unfallsachverständige verhindert ist und sie auch die beiden Polizisten, die den Angeklagten im Spital befragt haben, hören will, auf Oktober. (Michael Möseneder, 26.7.2017)