Englishness im Visier: Regisseurin Sally Potter.

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STANDARD: Man könnte fast den Eindruck haben, Ihr Film "The Party" ist seit der Berlinale-Premiere noch aktueller geworden.

Potter: Ein Wahnsinn, nicht? Man könnte fast von einem prophetischen Gefühl sprechen. Als ich 2015 das Drehbuch zu schreiben begann, standen in England Unterhauswahlen mit den Spitzenkandidaten David Cameron und Ed Miliband an. Alle Parteien drängten damals in die Mitte, niemand sagte über irgendetwas die Wahrheit. Heute reden alle ganz selbstverständlich vom Postfaktischen. Mir ging es darum, einen Mikrokosmos von Menschen zu zeigen, die schon im eigenen Leben größte Schwierigkeiten haben, die Wahrheit zu sagen.

Ein Fest mit unerwarteten Wendungen: Kristin Scott Thomas, Patricia Clarkson und Bruno Ganz (v. li.) in Sally Potters bitterbösem filmischem Boulevardstück "The Party".
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STANDARD: Sie erzählen von einer Party, einem Abendessen, zu dem Menschen zusammenkommen, die auch im politischen Sinn eine Partei sind, mit allen Flügelkämpfen und kulturellen Unterschieden, konzentriert auf ein paar Leute.

Potter: Ich wollte weniger das Porträt eines bestimmten Milieus machen, als den Blick auf Strukturen richten: Woran glauben diese Menschen, was sind ihre Ideale, und wie verhalten sie sich, wenn sich ihnen etwas entgegenstellt? Auf diesen Spalt hatte ich es abgesehen, wobei ich mich keineswegs darüber erheben will. Ich gehöre ja auch zur Linken und zeige die Menschen durchaus mit Zuneigung. Kritik braucht Zuneigung.

STANDARD: Bei der Party kommt alles Mögliche zur Sprache. Nicht zuletzt geht es um eine klassische linke Alternative: Realpolitik oder Fundamentalopposition. Zwei Frauen stehen im Mittelpunkt: Janet (Kristin Scott Thomas) möchte Gesundheitsministerin werden, April (Patricia Clarkson) hingegen hält nichts von der Demokratie. Wie verteilen sich Ihre Sympathien zwischen den beiden?

Potter: Meine Sympathien verteilen sich auf alle Figuren. Zum Beispiel Gottfried (Bruno Ganz), der ständig alternative Medizin predigt. Ich halte auch viel davon, glaube aber genauso an das nationale Gesundheitssystem. Ich mag es, wie April mit scharfer Zunge über alles drübergeht, ich verstehe aber auch Janet, die etwas bewegen will. Da folge ich einem alten Drehbuchprinzip: Figuren sollen sich nicht überschneiden.

STANDARD: Man könnte "The Party" durchaus auch als eine Kritik an der kulturellen Linken sehen, wie sie nach der Brexit-Abstimmung und vor allem nach der Wahl von Donald Trump in den USA verschiedentlich geäußert wurde.

Potter: Das Brexit-Votum hat eine Schneise für Hass und Ignoranz und einen nostalgischen Nationalismus geschlagen, und es fragt sich tatsächlich, wie die Linke dem entgegentreten kann. Andererseits aber hat sich darüber die Opposition erneuert und verjüngt. Viele Leute Anfang 20 engagieren sich, während meine Generation und die von Labour-Chef Jeremy Corbyn, die im Kampf gegen Margaret Thatcher groß geworden sind, deswegen nicht obsolet werden muss. Plötzlich kann ein unwahrscheinlicher Held wie Bernie Sanders attraktiv werden, weil er sich treu geblieben ist. Nach dem Brexit-Votum gab es zahlreiche Demonstrationen, die mich hoffnungsvoll gestimmt haben. Vor allem der Women's March, da gab es so lebensfrohe, witzige Manifestationen. Das empfand ich belebend. Aber natürlich ist die Hoffnung in der Opposition: Die strategische Frage, wie man an die Macht kommt, bleibt offen.

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STANDARD: Eine der Ironien von "The Party" scheint mir, dass man sich einen ähnlichen Abend im Haus Theresa Mays auch vorstellen könnte.

Potter: Ich sage ja auch mit Absicht nie, welche Partei genau gemeint ist, auch wenn es mir insgesamt natürlich klar ist. Ich kann mit der Politik von Theresa May nichts anfangen, aber bestimmte Probleme, die Frauen an der Macht haben, hat sie unabhängig von ihren politischen Entscheidungen.

STANDARD: Man spürt auch nationale Charakteristika in "The Party", eine gewisse Britishness, oder umgekehrt: Mit Angela Merkel kann man sich so eine Geschichte nicht so recht vorstellen.

Potter: Das war mir sehr bewusst, und ich hielt es auch für ein Risiko. Eigentlich ist es ja Englishness, die Briten achten da sehr genau auf die Unterschiede. Der Akzent ist bei uns so wichtig. Ich fürchtete ein bisschen, The Party könnte zu englisch sein, aber es scheint sich zu bewahrheiten, dass man umso universaler sein kann, je spezifischer man ist.

STANDARD: Zu der Universalität trägt auch das Genre bei.

Potter: The Party ist eine Komödie! Eine Komödie mit einer Tragödie in der Mitte. Ich habe mir viele Screwballfilme angeschaut, zum Beispiel mit Katharine Hepburn und Spencer Tracy. Da geht es um Tempo, nichts wird unter die Decke gekehrt, alles muss raus. Das ist Teil meines minimalistischen Ansatzes: Es soll intensiv sein und was zum Lachen geben.

STANDARD: Sie waren Teil der linken Avantgarde in England, selbst mit einem populären Film wie "Orlando" nach dem Buch von Virginia Woolf. Woher kommen Ihre politischen Prägungen?

Potter: Mein Vater bezeichnete sich als Anarchisten im Sinn Kropotkins, er hoffte also stark auf ein freies Zusammenleben. Der Spanische Bürgerkrieg mit seinen Organisationsformen spielte bei uns daheim eine große Rolle. Meine Mutter war eher eine mitfühlende Liberale. Mein politisches Leben ging mit den ganzen Emanzipationsbewegungen einher: Frauen, Anti-Nazi League, Antirassismus. In seinen letzten Jahren war ich John Berger sehr nahe. Er las alle meine Drehbücher. Er sagte: "Sally, deine Filme werden es nie leicht haben, denn alles, was du machst, ist so politisch." Für mich ist Politik tatsächlich überall. Man hat gar keine Wahl. Berger war aber auch in seiner Ästhetik politisch. Wie Brecht.

STANDARD: Wie halten Sie es mit dem linken Populismus im englischen Kino? Also vor allem mit Ken Loach, von dem Sie sich doch markant unterscheiden?

Potter: Ich liebe Ken Loach als Mensch und seine Arbeit. Er kommt aus einer sozialrealistischen Filmtradition in den 1960er-Jahren, der es vor allem um die Klassenfrage ging. Davor habe ich großen Respekt. Für mich ist aber auch der magische Realismus der Filme von Michael Powell und Emeric Pressburger wichtig. Ich habe so meine Schwierigkeiten mit dem Realismus. (Bert Rebhandl, 27.7.2017)