"Die Römer hatten ja einen Arbiter Elegantiarum im Senat, der hat gesagt: 'Die Toga da ein bisserl höher schnüren, und heute bitte die Sandalen nicht offen tragen! Dein Gelb schlägt sich mit dem Orange!', und so weiter. Man stelle sich vor, so einer würde bei uns heute im Parlament stehen!": Hans Hurch.

Foto: Robert Newald

STANDARD: Herr Hurch, lassen Sie uns über Anzüge reden: Ein unfassbar eleganter Anzugträger, Christopher Walken, wird heuer Stargast der Viennale sein ...

Hurch: Nein, eben leider doch nicht, weil er einen Film mit dem De Niro drehen muss.

STANDARD: Dann werden Sie wieder mit der Patti Smith allein hier im Engländer herumsitzen, beide im schwarzen Anzug?

Hurch: Genau, mit der Patti. Die ist ja gerade umgezogen, weil sie das in Manhattan nicht mehr aushält. Sie hat dort ein schönes Townhouse, aber überall sind dort diese überflüssigen Geschäfte und die ganzen überflüssigen Touristen auf der Suche nach den überflüssigen Geschäften. Jetzt hat sie sich etwas Schönes in Rockaway Beach gekauft, dort hat sie es endlich richtig gemütlich.

STANDARD: Das Haus hat sie wohl mit den Einnahmen aus ihrem Buch "Just Kids" gekauft?

Hurch: Richtig, sie hat ja allein in Amerika über eine Million Stück davon verkauft.

STANDARD: Sie berichtet darin über ihre Anfänge als Künstlerin in einem heruntergekommenen New York der 70er-Jahre, ein wunderbares Buch.

Hurch: Wobei sie immer sagt: "Ihr tuts das alle ein bisserl sehr idealisieren, wie wir da gelebt haben!" Die haben ja auch oft nichts zum Essen gehabt ...

STANDARD: Dafür in ihren Wohnungen Mäuse und Kakerlaken ohne Ende! Vielleicht spart sie deswegen auch heute noch bei ihrer Kleidung und trägt meist den gleichen Anzug, sie sieht irgendwie aus wie ein Filmkritiker, der sehr schlecht nach Zeilenhonorar bezahlt wird.

Hurch: Eher wie ein Programmkinobetreiber. Bei denen kommt ja noch der Angstschweiß dazu, weil sie immer Angst haben, dass sie ihr Kino zusperren müssen.

STANDARD: Wie kam es also, dass Sie schwarze Anzüge tragen?

Hurch: Meine Mutter, die ich sehr geliebt habe, und sie mich auch, hat immer zu mir gesagt: "Bub, du kannst alles tragen, du bist wie ein Allwetterreifen."

STANDARD: Was soll das heißen?

Hurch: Das weiß ich auch nicht. Jedenfalls hat ein Kritiker der Wiener Zeitung einmal, als ich gerade als Direktor verlängert wurde, geschrieben, dass er meine Verlängerung zwar absolut begrüße, sich aber Sorgen mache, ob mein Anzug noch zwei weitere Jahre hält. Das hat mich natürlich schon gekränkt, dass der von dem einen Anzug geschrieben hat.

STANDARD: Warum?

Hurch: Weil ich nicht einen Anzug habe, sondern viele! Fassen Sie bitte einmal meinen Ärmel an, was ist das? Das ist Seide! Seide kühlt bei Hitze und wärmt bei Kälte. Ich vertrage nämlich keine Wolle, auch keine Teppichwolle. In Berlin gibt es übrigens das Hotel Esplanade, die haben ganz oben ein riesiges Allergikerzimmer. Wenn ich mir das reserviere, dann freuen die sich immer, weil sie es zwar haben, aber es nie gebucht wird. Das ist dort besser als die Präsidentensuite.

STANDARD: Zurück zu den Anzügen. Sie tragen also glänzende Seide?

Hurch: Um Gottes willen, nein! Ich trage ausschließlich Waschseide. Glänzende Seide ist für Damen, und man kriegt sie überall. Ich aber muss meine Waschseide auf der ganzen Welt suchen, seit der eine Tandler da im ersten Bezirk zugesperrt hat, am liebsten kaufe ich sie in Lissabon. Das Problem mit Seide ist aber, dass sie durchschnittlich nur ein halbes Jahr lang hält, wenn man so wie ich sehr viel im Kino sitzt, die Hosen verschleißen dann grundsätzlich schneller als die Sakkos.

Ich muss sie also immer wieder entsorgen, so wie die Italiener – haben Sie überhaupt eine Ahnung, was die alles wegwerfen? Einmal bin ich mit meinem guten alten Freund Jean-Marie Straub durch Rom gegangen, da sah er einen Mantel auf einem Müllhaufen liegen, er zog ihn an und sagte: Der passt doch noch hervorragend!

STANDARD: Straub trägt also gebraucht, und Sie kaufen Seide. Was passiert dann?

Hurch: Dann lasse ich mir meine Anzüge schneidern, von einer wunderbaren Schneiderin im zweiten Bezirk. Sie ist in Wahrheit eine Modistin, wissen Sie überhaupt, was eine Modistin ist? Eine Modistin übernimmt die modische Ausgestaltung von Kleidung! Sehen Sie nicht, wie weit bei mir das Revers heruntergeht? Bis knapp oberhalb des ersten Jackettknopfes!

STANDARD: Bei mir aber auch! Wir tragen einfach beide klassische Zweiknopf-Einreiher.

Hurch: Es ist trotzdem ein Unterschied, ob ich so wie Sie ein Klumpert trage oder ob ich mir etwas schneidern lasse.

STANDARD: Was genau ist der Vorteil?

Hurch: Mir ist zum Beispiel wichtig, dass die Brustinnentasche tief genug ist, damit das Geldtascherl schön weit drinnen steckt und nicht herausfällt.

STANDARD: Ihre Geldtasche ist aber auch schwerer als meine! Gibt es eine Außentemperatur im höheren Plusbereich, bei der ein Mann sein Jackett ablegen darf?

Hurch: Um Gottes willen, nein! Niemals!

STANDARD: Ihre Hemden tragen Sie dafür immer kurzärmelig, auch im Winter?

Hurch: Natürlich, das spart Stoff. Die langen Ärmel sind ja komplett unnötig. Das kann ich überhaupt nicht leiden, wenn da beim Sakkoärmel noch das Hemd rausschaut!

STANDARD: Gehört aber so.

Hurch: Sagt wer?

STANDARD: Die hohe Schule der Schneiderkunst. Kennen Sie nicht die eine "Simpsons"-Folge, in der Homer einen Anzug verpasst bekommt und Sideshow Bob zu ihm sagt: "Bauch raus!" Und zum Schneider sagt er dann: "Sie schauen jetzt, dass man den Bauch nicht sieht!" Darum geht es beim Schneidern.

Hurch: Ach?

STANDARD: Warum lassen Sie eigentlich das Hemd immer heraushängen?

Hurch: Weil das hineingesteckte Hemd meiner Meinung nach in den 70er-Jahren gestorben ist.

STANDARD: Dafür tragen Sie die oberen Knöpfe immer offen. Sie sind kein David-Lynch-Typ?

Hurch: Nein, ich bin das Gegenteil! Ein zugeknöpftes Hemd würde mir ein Gefühl des Abgeschnürt-seins vermitteln. Das hat vielleicht mit den Pfarrern aus meiner Kindheit zu tun, die ja diesen engen Kragen tragen mussten.

STANDARD: Jetzt tragen Sie und die Pfarrer immer Schwarz. Warum?

Hurch: Der liebe Peter Kubelka hat einmal zu mir gesagt: "Wenn du Weiß oder Schwarz trägst, dann schaut dich keiner mehr an. Das ist wie eine Rüstung, da schaut man nicht hin."

STANDARD: Wie muss die Hose beschaffen sein?

Hurch: (steht auf) So! Keine Bügelfalte, keine Stulpe, das brauche ich alles nicht! Ich liebe übrigens das Atelier meiner Schneiderin – die gleichmäßige Arbeit, den ganzen Tag hört sie Ö1. So etwas gefällt mir.

STANDARD: Stattet sie auch Politiker aus? Oder anders gefragt: Näht sie auch in Slim-Fit?

Hurch: Was ist das?

STANDARD: Das, was die Herren Kern, Kurz und Strache tragen.

Hurch: Du meine Güte, nein! Ist Ihnen übrigens schon aufgefallen, was so einen Politikeranzug vor allem auszeichnet? Dass die Ärmel sehr kurz sind, damit man die Gebrauchtwagenhändler- und Discobubenuhr sieht, die sie alle tragen. Das soll wohl Autorität ausstrahlen und uns sagen: Der hat keine Zeit zu verschwenden!

STANDARD: Ein trauriges Kapitel, der Politikeranzug.

Hurch: Allerdings. Mir gefällt übrigens, was die Sängerin Carla Bruni über ihren Sarkozy gesagt hat: dass er den roten Knopf unterm Bett liegen hat, mit dem er ein paar Atombomben zünden könnte, das macht ihn sehr attraktiv. Dann ist es nämlich egal, wie man aussieht! Am gescheitesten wäre es, wenn sich alle Politiker anziehen würden wie der Außenminister Mock damals im Urlaub, so mit kurzer Hose bis zu den Knien im Sir-Stanley-Matthews-Style. Die Römer hatten ja einen Arbiter Elegantiarum im Senat, der hat gesagt: "Die Toga da ein bisserl höher schnüren, und heute bitte die Sandalen nicht offen tragen! Dein Gelb schlägt sich mit dem Orange!", und so weiter. Man stelle sich vor, so einer würde bei uns im Parlament stehen! Habe ich Ihnen übrigens schon erzählt, dass der Herr Grasser im Flieger nach Berlin einmal vor mir gesessen ist und in sein Handy hineingesagt hat: "Dieses politische Nackerpatzerl!" Auf Kärntnerisch! "Noooockabaatzal."

STANDARD: Sie hätten es mit Ihrer Beobachtungsgabe auch als Gesellschaftsreporter weit bringen können!

Hurch: Das hätte ich allerdings. Einmal, heuer im Sommer, war ich auf dem Weg nach Neapel, und der Schneckerl Prohaska steht auch am Flughafen in Wien ...

STANDARD: Im Anzug?

Hurch: Nein, im Italia-Shirt mit Bluejeanshosen. Und meine wunderschöne Begleitung sagt zu ihm: Wegen dem Foul vom Ronaldo im Finale von der EM wäre er zu nachsichtig gewesen, das war ihrer Meinung nach nämlich ein schweres, absichtliches Foul. Aber der Schneckerl sagt ganz gütig: "Schauen Sie, die Berührung erfolgte mit dem Knie, aber niemand foult einen anderen absichtlich mit dem Knie, weil das Knie das anfälligste Gelenk überhaupt ist." Oder so irgendwie. Aber passen S' auf, habe ich Ihnen schon die traurige Geschichte mit dem Kaurismäki erzählt?

STANDARD: Der sieht wenigstens gut aus im Anzug.

Hurch: Damals in Cannes leider nicht, kennen Sie Cannes? Der Badeort an der Côte d'Azur, wo er seinen letzten Film Le Havre gezeigt hat, wirklich der beste Film im Wettbewerb, großartig. Und die Jury hat ihn total hängenlassen, kein Preis, keine Blumen. Als ich dann heimgeflogen bin von Nizza, dem anderen Badeort an der Côte d'Azur, da sitzt er in der Abflughalle am Boden gegen eine Säule gelehnt, total betrunken. Bin ich hingegangen zu ihm und habe ich gesagt: "Mr. Kaurismäki, for me you are the winner of this year's festival!" Hat er mich angeschaut und gesagt: "Thank you. But I was it not for the festival!" Muss übrigens ein wirklich einmalig sympathischer Zeitgenosse sein, der lebt ja das halbe Jahr über in Portugal.

STANDARD: Wo Sie Ihre Seide kaufen.

Hurch: Neben Cannes ist ja auch immer das Formel-1-Wochenende in Monaco, Ort der Superreichen an der Côte d'Azur. Fliege ich also irgendwann wieder von Nizza nach Hause und komme ich im Flieger neben dem Heinzi Prüller zum Sitzen, der redet wirklich gerne, habe ich Ihnen das schon erzählt? Fängt er also an, mit mir zu reden: "Ist Ihnen eigentlich schon einmal aufgefallen, dass, wenn Sie auf einem Flughafen schlecht angezogene Leute sehen, diese immer zum AUA-Schalter gehen?"

STANDARD: Trug wenigstens er einen Anzug?

Hurch: Nein!

STANDARD: Wer sah Ihrer Meinung nach gut aus im Anzug?

Hurch: Der Gary Cooper. Ein Kunsthistoriker hat einmal gesagt: Eine Skulptur von Michelangelo, die kannst du den Hügel hinunterrollen, und sie wird nicht zerbrechen. Das Gleiche galt für Gary Cooper: Roll him down the hill and he will not break. Der steht da unten wieder auf, putzt sich ab und ist wieder cool.

STANDARD: Mastroianni?

Hurch: Ganz groß. Dem konntest du dreißig Sakkos hinhängen, und er hätte immer das richtige rausgesucht. Es gibt ja ein Stilgespür, und das hatte er. Wobei man sagen muss: Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte, und das alles in Schwarz-Weiß, das ist natürlich das Schönste überhaupt ... (Manfred Rebhandl, Album, 29.7.2017)