Suizide misslingen mitunter, und die Menschen werden Wachkoma-Patienten: Wie Nina (nicht auf diesem Bild abgebildet).

Foto: Heribert Corn

Innsbruck/Wien – Immer wieder habe man ihr prophezeit, sie werde einmal böse sein auf ihr Kind. "Aber für mich war immer klar, dass das eine Krankheit ist", sagt Angela Pointner. "Und ich kann niemandem böse sein, der krank ist." Pointners Tochter Nina hatte im Herbst 2015 versucht, sich selbst zu töten.

"Die zentrale Frage ist oft: Wer hat Schuld?", sagt Regina Seibl von Pro Mente Tirol. Dabei sei es eben "der fundamentale Unterschied zwischen Suizid und anderen Todesursachen, dass die Person, die gegangen ist, den Tod selbst verursacht hat". Der Adressat für die Wut der Hinterbliebenen fehlt. Oft kreisten die Gedanken von Angehörigen darum, was man hätte anders machen können, sagt Seibl. Wichtig sei, diese Gedanken zuzulassen. Man muss akzeptieren lernen, dass es keine endgültige Antwort geben kann.

Nach dem Suizidversuch lag Pointners Tochter Nina im Wachkoma. "In den 13 Monaten, die sie noch lebte, hat ihr Gehirn abgebaut", sagt Pointner über diese Zeit. Kommunikation war kaum möglich, "manchmal hat Nina ein bisschen mit Blickkontakt auf uns reagiert", beschreibt die 46-Jährige jene Zeit, in der ihre Tochter in der Klinik lag. Die größte Angst sei für sie als Mutter gewesen, dass jemand sagt: "Da muss ja etwas falsch gelaufen sein in eurer Familie." Sie erlebte, wie stark Suizid tabuisiert ist und welche Stigmata damit verbunden sind.

Sich Hilfe holen

Diese Pattstellung kennt auch Seibl aus ihrer Arbeit mit Angehörigen: "Zum Teil ist es tatsächlich so, dass sich Leute von Betroffenen abwenden", erzählt die Therapeutin, da läge vieles im Argen. Vor allem im ländlichen Raum sind Ausgrenzungen heute noch Realität. Die Scham, die viele Hinterbliebene nach einen Suizid ihrer Verwandten spüren, "kommt nicht von ungefähr".

Umso mehr hilft der Kontakt mit Menschen, die Ähnliches durchgemacht haben, sind sich Pointner und Seibl einig. Oft haben Betroffene das Gefühl, ihr Umfeld verstünde ihre Situation nicht, sagt die Therapeutin: "Wenn sie dann auf Leute mit ähnlichen Erfahrungen treffen, wird das als eine unglaubliche Erleichterung erlebt, weil man plötzlich nichts mehr erklären muss." Selbsthilfegruppen leisten hier einen wichtigen Beitrag – umso problematischer, dass es in Österreich keine flächendeckenden Angebote gibt.

"Bei mir war immer die Hoffnung dominant", sagt Pointner. Allerdings: Die Hoffnung veränderte sich. Hatte sie unmittelbar nach dem Suizid noch geglaubt, Nina würde sich wieder komplett erholen, hoffte sie später nur mehr, dass "es ihr zumindest ein bisschen besser geht".

Angela Pointner ist dankbar für die Zeit, die sie noch mit ihrer Tochter gemeinsam verbringen konnte. Als Nina dann starb, "war der Verlust sehr schlimm", sagt sie – alles andere wäre ihr lieber gewesen. Oft habe sie sich die Frage gestellt, "was man sich wünschen soll. Aber ich habe mir nie gewünscht, dass sie stirbt." (Sebastian Fellner, 31.7.2017)