Wien/Midway – "We're on our way out as a culture", sagte Sam Shepard 2014 im Guardian-Gespräch und traf damit ziemlich genau jenes Unbehagen, das zwei Jahre später einen gewissen Donald Trump an die Macht spülen sollte. Man müsse nur an einen Truckstop in Sallisaw, Oklahoma, fahren, dort würde man dem Gesicht Amerikas begegnen: "Wie verzweifelt wir sind. Richtig verzweifelt. Ganz ungeschützt."
Welcher Politiker begibt sich heute noch an solche Orte? Sam Shepard, 1943 in Fort Sheridon, Illinois, geboren, hat als Autor seine Sensibilität für die Menschen der Fly-over-States, des ruralen Kernlands der USA, nie verloren. In seinen Stücken wird der Mythos des amerikanischen Westens, die Familie als Herz der Nation, zwar nachhaltig erschüttert und auseinandergenommen. Aber tief im Inneren hegte er für diese Menschen immer Sympathie.
Shepard wuchs selbst auf einer Avocadofarm in Kalifornien auf, bis er die alkoholbedingten Ausfälle seines Vaters nicht mehr ertrug und in den 1960er-Jahren nach New York flüchtete. Ursprünglich Schlagzeuger, hat er sich als Dramatiker und Schauspieler neu erfunden, der experimentierfreudige Punk-Gestus der Off-Broadway-Bewegung kam ihm entgegen. Shepard schrieb Stücke, die sich mit "Verzweiflung und Hoffnung" auseinandersetzten, von Endzeitängsten und jugendlichem Hunger nach neuen Mythologien erzählten.
Sein erstes Stück hieß Cowboys, mit Buried Child, der Vivisektion einer Mittelschichtfamilie, gewann er später auch den Pulitzerpreis (1979). Stücke, sagte er einmal, müssen darüber hinausgehen, nur Probleme zu lösen. 44 schrieb er im Laufe seines Lebens. Shepard wollte das "Kolloquiale" Amerikas in eine eigene Poetik überführen. Dass er später mit Brownsville Girl auch einen Song mit Bob Dylan verfasste, verwundert da nicht weiter.
Vielseitiges Talent
Andere Künstler waren in seinem Wirkkreis immer nahe, der Fotograf und Filmemacher Robert Frank, Patti Smith, selbst Michelangelo Antonioni, für den er an Zabriskie Point mitschrieb, wurden zu Arbeitspartnern. Auch für Wim Wenders in Cannes ausgezeichnete Tour durch die Bildwelten Amerikas, Paris, Texas, war Shepard einer der Koautoren.
Das Kino war schon in seinen Dramen ein Fluchtpunkt. Sein Stück Fool For Love, in dem es um das Wiedersehen eines inzestuösen Pärchens geht, wurde 1985 von Robert Altman verfilmt – mit Shepard in der Hauptrolle. Mit dem Astronautendrama The Right Stuff feierte er seinen größten schauspielerischen Erfolg und heimste eine Oscarnominierung ein. 1982 lernte er am Set von Frances die Schauspielerin Jessica Lange kennen, mit der er 27 Jahre in wilder Ehe lebte; die beiden hatten auch einen gemeinsamen Sohn.
Shepard schrieb weiter – oft auch Prosa – und blieb ein verlässlicher, charismatisch-viriler Darsteller im US-Kino, in Filmen wie Andrew Dominiks Western The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford oder Jeff Nichols' Scifi-Drama Midnight Special. Zuletzt krönte er seine Laufbahn mit einem Part in der TV-Serie Bloodline.
Am Montag ist Sam Shepard an den Folgen der Nervenkrankheit ALS auf seiner Farm in Midway, Kentucky, gestorben. (Dominik Kamalzadeh, 31.7.2017)