Mit ein bisschen Fantasie hört man Herzogin Georgina in den Irrgärten von Schloss Chatsworth heute noch tuscheln und kichern. Vielleicht lassen sich auch ein paar Seufzer vernehmen, dort zwischen Rosenbüschen, den Brunnen mit steinernen Delfinen, zahlreichen Lauben, einem Sarkophag für blaublütige Schoßhündchen und einem Rasen, der bestimmt mit der Nagelschere geschnitten wird.

Hapert es an Fantasie, gibt es Georgina, das imperiale It-Girl und Duchess of Devonshire (1758-1806), auf Gemälden im Schloss oder im Streifen "Die Herzogin" mit Keira Knightley zu sehen. In ihrem Heimatschloss Chatsworth ist sie in ihrer Rolle als Prä-Influencerin allerdings nicht allein. Vor allem nicht in der derzeit im Anwesen gezeigten Schau "House Style".

Schloss Chatsworth, eines der berühmtesten Herrenhäuser in England.
Foto: Chatsworth

Modegeschichte

Unter diesem Titel zeigt Lady Burlington, die künftige Duchess of Devonshire, eine beeindruckende Modeausstellung mit gut 100 Kleidungsstücken und unzähligen Accessoires aus 500 Jahren, getragen von illustren und prominenten Familienmitgliedern. Der Bogen spannt sich von Kleidern, welche die Herzoginnen bei Krönungen trugen, bis hin zu zeitgenössischen Entwürfen von Alexander McQueen, Helmut Lang und Gucci, dem Hauptsponsor der Schau.

Die Idee zu einer Kooperation kam dem Modehaus, als man die 2017er-Cruise-Kampagne vor Ort fotografierte: Damals rückte man neben Pferden, Gänsen und Hunden unter anderem die berühmte englische Schauspielerin Vanessa Redgrave vor die Linse – sie übernachtete nach getanem Shooting in jenem Schlafzimmer, in dem bereits Queen Victoria schlief.

Die Idee zu "House Style" hatte Lady Burlington, die Schwiegertochter des aktuellen Dukes, bereits vor sechs Jahren. Sie sichtete das Archiv der Familie und fasste den Plan zur Ausstellung. Mit an Bord holte sie sich unter anderem den Modejournalisten, Dandy und Freak in Sachen Glamourgeschichte Hamish Bowles.

Er muss sich während der Arbeit gefühlt haben, als sei er bereits zu Lebzeiten ins Modehimmelreich aufgefahren. Ähnlich euphorisch ging der Kreativdirektor von Gucci das Projekt an. "This is the most rock 'n' roll place I have ever been", sagte Alessandro Michele über Chatsworth. Und: Der Ort, seit dem 16. Jahrhundert ununterbrochen von der Familie Cavendish, den Dukes of Devonshire, bewohnt, sei "Quelle der Inspiration für zeitgenössisches Design".

Modelmusen

Apropos Inspiration: Als Muse und Ausstellungsthema kommen hier nicht nur Georgina, Queen Victoria oder Vanessa Redgrave zum Einsatz. Supermodel Stella Tennant, Enkelin des elften Duke of Devonshire, ist ebenso Teil der Schau wie Adele Astaire, Schwester von "Hollywood-Lord-of-the-dance" Fred Astaire und Frau eines Sohnes des neunten Dukes.

Das Model Stella Tennant und die britische Herzogin Deborah Devonshire wurden 2006 von Mario Testino für Gucci vor Schloss Chatsworth fotografiert.
Foto: Mario Testiono © Chatsworth

Gucci und Lady Burlington bedienen sich im Rahmen der lebendig gestalteten kulturhistorischen Schau "House Style" einem bunten modischen Vehikel. Zu entdecken sind Krönungsroben, Uniformen und Faschingskostüme neben aktuellerer Mode von Christian Dior, Stella McCartney, Tom Ford, Vivienne Westwood, no na Gucci oder Vetements. Alles wurde zu thematischen Inseln zusammengestellt, ohne dabei streng programmatisch zu wirken.

Einem Krönungskleid aus Hermelin, Samt und Seide, das 1911, 1937 und 1953 getragen wurde, stellte man zum Beispiel im "Painting Room" ein knappes schwarzes Kleid aus Baumwollspitze von Alexander McQueen aus dem Jahre 1993 gegenüber. Getragen hat es Stella Tennant bei einem Shooting mit Steven Meisel für die britische Vogue.

Mit Leidenschaft

Die Ausstellung ist eine Entdeckungsreise voller Gegenüberstellungen und Querverbindungen. Sie zeigt, wo das Thema Mode anfangen kann und noch lange nicht aufhört, sie erzählt von Macken, Strömungen und Tabus. Die Auswahl der Exponate, Schriftstücke und Fotos, die allesamt fein säuberlich mit der Hand beschriftet sind, lässt große Leidenschaft gegenüber einem Thema erkennen, das zwar nicht jeden beschäftigt, aber doch jeden betrifft.

Die Schau gleicht einem modischen Setzkasten der britischen Upperclass und ist wie eine skurrile Wunder- und Kunstkammer mit viel Liebe zum Detail des Alltäglichen gestaltet: Studieren lassen sich aristokratischer Krimskrams wie Einkaufszettel von Herzogin Georgina, Puderdöschen, waschbeckengroße Bergkristalle, ausgestopftes Getier oder Converse-Turnschuhe, die der amtierende Duke selbst geflickt hat.

Foto: Gucci

Große Kunst

Neben einer Bibliothek mit gut 20.000 Bänden gibt es in den großteils dunklen, schwer wirkenden Prunkräumen sowie an deren Plafonds auch große Kunst zu sehen: Zum Beispiel die Devonshire-Porträts von Lucian Freud, eine goldene Skulptur von Damien Hirst sowie Meisterwerke von Tintoretto, Renoir oder Rembrandt. Allein wenn man das kleine Wörtchen Chatsworth ausspricht, vermeint man, ein Tröpfchen blaues Blut auf der Zunge zu spüren.

Das Schloss ist eines der berühmtesten Herrenhäuser in England, das jährlich von 650.000 Menschen besucht wird. Das Hauptgebäude, eine gigantische Bühne für "House Style", thront im Stile des englischen Barock zwischen sanften Hügeln am Fluss Derwent und macht mit seinen 175 Räumen gewaltig was her.

Im Umland lässt es sich flanieren, man begegnet Baumriesen, an denen schon Jane Austen vorbeigekommen sein dürfte, sowie fettgrünen Wiesen, die von hunderten vanillefarbenen Schafen gesprenkelt sind. Daneben rauscht der Bach. Chatsworth wurde zum ersten Ort der sogenannten "Gucci Places" auserkoren. Das neue Projekt des Hauses will Orte, die das Modehaus aus Florenz inspiriert haben, mit dazugehöriger App entdecken lassen.

Foto: Gucci

Dass Designchef Alessandro Michele an diesem Ort ins Staunen geriet und für "House Style" zugriff, verwundert nicht, lebt der Gucci-Style unter seiner Führung vom Samplen bunter Versatzstücke aus Geschichte und Popkultur. Und das Mäzenatentum von Modehäusern? Gehört in den Konzernen längst zum guten Ton. Louis Vuitton eröffnete 2014 sein eigenes Museum, Cartier besitzt eines seit über 30 Jahren, Tod's zahlt unter anderem bei der Renovierung des Kolosseums mit, Fendi füllte den Palazzo della Civiltà Italiana mit neuem Leben und Gucci fand neben anderen Projekten seinen "Rock 'n' Roll" in Schloss Chatsworth.

Und das nicht nur wegen der Patschen, die das Konterfei von Elvis tragen oder der 16 schlichten blauen Pullover des elften Duke of Devonshire, die er sich wie Mottoshirts mit Sprüchen besticken ließ. Darauf finden sich Pferdenamen wie der Sager: "Life's a bitch and then you die". Bei einer Krönung dürfte er diesen kaum getragen haben. (Michael Hausenblas, RONDO, 27.8.2017)

GUCCI
Foto: Thomas Loof, © Chatsworth