Viel Köstliches durfte ich in der Ukraine essen, eines der köstlichsten Gerichte – und mir bis dahin gänzlich unbekannt – war der grüne Borschtsch. Feingehackter Sauerampfer, jede Menge Kräuter und kräftige Rindsuppe vereinen sich dabei zu einem erfrischend sauren, überraschend komplexen Ganzen, das für Leute wie mich, die das Wildgemüse nicht gar so oft essen, noch einen Hauch Exotik zu bieten hat. Weil saure Suppen bei Hitze super sind, habe ich in den vergangenen Wochen immer wieder mit grünem Borschtsch gespielt – als Abschluss der kleinen Osteuropa-Serie (>> Okroshka: Die Suppe ja nicht warm werden lassen & Georgische Rolle: Mit Nüssen gefüllte Melanzani) der vergangenen Wochen folgen hier zwei Rezepte.

Foto: Tobias Müller

Wer einmal beginnt, sich mit Borschtsch zu beschäftigen, merkt schnell, wie komplex und umfangreich das Thema ist. Das fängt schon beim Namen an: Auf Österreichisch ist es das einzige Wort mit Doppel-Sch, Russen und Ukrainer transkribieren Borsch. Und so vielfältig wie die Schreibweise sind auch die Variationen.

Borsch soll auf ein Gericht aus milchsauer vergorenem Wiesen-Bärenklau (Heracleum sphondylium, auf Russisch "Borschewik") zurückgehen, das im Mittelalter in Osteuropa sehr beliebt war. Im Lauf der Zeit verweichlichte der Begriff zunehmend und bezeichnet heute schlicht eine saure Suppe, von der jede Hausfrau östlich der Oder (und auch noch ein bisschen westlich) ihre eigene Variante kennt: von der international so erfolgreichen Rote-Rüben-Suppe (roter Borschtsch) über Suppe aus vergorenem Roggen (weißer Borschtsch) bis hin zu ebenjener grünen Variante.

Letztere kommt ihrem mittelalterlichen Namensgeber insofern recht nahe, als sie ebenfalls auf ein Wildkraut mit widerborstigem Geschmack setzt: Frischer Sauerampfer ist tatsächlich aggressiv sauer, mit grünen Noten, geschmacklich irgendwo zwischen Rhabarber (botanisch sein Cousin) und Spinat angesiedelt. Als Kind habe ich mir auf Wanderungen immer wieder ein Blatt in den Mund geschoben und genüsslich das Gesicht verzogen – bis zur Entdeckung des grünen Borsch aber hat mir eine sinnvolle Verwendungsmöglichkeit für größere Mengen gefehlt. Zugegeben, Anfang August ist nicht die Wildkräuter-Hochsaison. Die Gemüsebäuerin meines Vertrauens aber hat derzeit jede Menge Sauerampfer im Angebot. Er sollte also, zumindest in Wien, mit etwas gutem Willen zu bekommen sein.

Wie bei allen Borschs gibt es auch beim grünen zahllose Varianten: mit Gemüse- oder Fleischbrühe, mit oder ohne Kartoffel und/oder Fleisch, gebunden oder klar, mit Sauerampfer, Spinat oder Brennnesseln, mit ganzem oder verquirltem Ei, warm oder kalt, von extravagant bis superschlicht. Claudia Roden beschreibt in ihrem Buch über die jüdische Küche etwa eine Variante ("Schav Borscht") mit nichts als Sauerampfer, alten Kartoffeln, Ei und Wasser, Olia Hercules kocht ihre nobel mit Entenfleisch.

Ich habe mich für meine Borschtsch-Varianten ein wenig umgehört und -gelesen: Einerseits in diesem schönen Buch, andererseits habe ich mir Borschtsch-Beratung vom superen Florian Florian (per Twitter mein Kiew-Reiseleiter) und Katrina Kollegaeva ("All You Can Eat"-Ex-Sowjetunion-Korrespondentin mit estnisch-ukrainischen Wurzeln) geholt. Die erste Variante ist modern und üppig, die zweite ist traditionell und eher in der Borschtsch-Tradition des Arme-Leute-Essens, nach dem Rezept von Katrinas Mutter. In beiden Fällen gilt: ja nicht am Dill sparen!

Grüner Borschtsch modern für zwei Esser, frei nach Olia Hercules …

Borsch stehe eine starke Suppe gut, schreibt Hercules in ihrem Rezept, und ich finde, sie hat völlig recht. Ich habe daher für meine Variante zu meinem kräftigen Lieblingssuppenfleisch, dem Ochsenschwanz, gegriffen. Statt hartgekochter Eier habe ich auf weiche gesetzt, was die Suppe noch ein wenig üppiger und gaumenschmeichelnder macht. Das Rezept ist ein bisserl asiatisch: alles kleinschneiden, gut vorbereiten, im letzten Moment zusammenbauen, Grünzeug nur sehr kurz garen. Das sorgt für frischeren Geschmack und verhindert, dass aus dem grünen eher ein olivbrauner Borschtsch wird.

Bedecken Sie einen handlich gehackten Ochsenschwanz mit mindestens drei Zentimeter Wasser, salzen Sie ordentlich, bringen Sie das Wasser zum Sieden und lassen Sie alles drei, vier Stunden ziehen, bis das Fleisch ohne Widerstand vom Knochen fällt, aber noch ordentlich saftig ist.

Foto: Tobias Müller

Etwa eine Stunde vor Ende der Ziehzeit geben Sie eine halbierte geschälte Zwiebel und ein, zwei Karotten in den Topf. Wenn die Suppe fertig ist, abseihen und idealerweise samt Ochsenschwanz darin über Nacht kaltstellen.

Foto: Tobias Müller

Zwei Karotten und drei heurige Erdäpfel würfeln, zwei, drei Frühlingszwiebel kleinschneiden, eine Handvoll Dill hacken und ein Büschel Sauerampferblätter (weg mit den harten Stielen) in feine Streifen schneiden.

Ein Ei kernweich kochen. Meiner Erfahrung nach am einfachsten: mit kaltem Wasser bedecken, zum Kochen bringen, von der Hitze nehmen, drei Minuten ziehen lassen, abschrecken, fertig.

Das Rindsfett, das sich auf der kalten Suppe über Nacht abgesetzt hat, mit einem Löffel abschaben und in eine Pfanne geben. Die entfettete Suppe samt Fleisch zum Kochen bringen. In dem Rinderfett die Karotten und Frühlingszwiebel ein paar Minuten weichbraten. Das Fleisch aus der heißen Suppe nehmen und vom Knochen lösen. Die Kartoffelwürfel ein paar Minuten in der Suppe weichkochen. Die weichgekochten Eier mit einem Messer der Länge nach halbieren und mit einem Löffel die Hälften aus der Schale lösen.

Kurz vor dem Servieren anrichten: in jede Schüssel ein wenig Fleisch, Karotten-Zwiebel-Mischung, Sauerampferstreifen, gehackten Dill und ein halbes Ei legen. Mit der kochenden Suppe übergießen, Kartoffelwürfel nachlegen und sofort servieren.

Foto: Tobias Müller

… und klassisch nach Katrina Kollegaevas Mutter

Diese Variante ist vegetarisch und deutlich schneller zubereitet als die oben beschriebene. Achten Sie darauf, wirklich viele Kräuter zu verwenden!

Bringen Sie einen Topf gut gesalzener Gemüsesuppe (oder Wasser) zum Kochen. Würfeln Sie einige Kartoffeln, hacken Sie eine Zwiebel klein, und schneiden Sie jede Menge frische Kräuter (Dill, Petersil, Minze, Frühlingszwiebelgrün, Basilikum …) klein. Schneiden Sie etwas Sauerampfer und Spinat in Streifen. Das Kartoffel-Kräuter-Verhältnis sollte etwa 30:70 (nach Volumen) sein, meint Katrina.

Foto: Tobias Müller

Kochen Sie die gewürfelten Kartoffeln drei, vier Minuten in der Suppe. Braten Sie die Zwiebeln währenddessen kurz in Butter, werfen die gehackten Kräuter nach und lassen alles ein paar Minuten schmoren. Geben Sie den Spinat und Sauerampfer und dann die gebratene Kräuter-Zwiebel-Mischung zur Suppe und lassen alles noch einmal zwei, drei Minuten köcheln.

Die Suppe von der Hitze nehmen und pro Esser ein verquirltes rohes Ei einrühren: "Du wirst sehen, wie sich wunderschöne weiße Fäden wie ein Netz darin verteilen", hat mir Katrina geschrieben. Die Suppe auf Schüsseln verteilen, mit ordentlich frischem Pfeffer würzen und sofort servieren. Sauerrahm schadet im Zweifel übrigens nie.

Foto: Tobias Müller

(Tobias Müller, 6.8.2017)

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