Die derzeitige Form der Unterbringung im Maßnahmenvollzug ist reformbedürftig und menschenrechtlich bedenklich.

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Vor kurzem besuchte ich eine Gerichtsverhandlung, bei er es um die Frage ging, ob jemand aus dem Maßnahmenvollzug entlassen wird oder nicht. Die wesentliche Entscheidungsgrundlage dafür ist die Stellungnahme der Justizanstalt. Der Mann war Anfang 2016 wegen gefährlicher Drohung verurteilt worden und als zurechnungsunfähig erklärt worden. Es wurde somit keine Strafe ausgesprochen, sondern "nur" der Maßnahmenvollzug verhängt. Dies auf unbestimmte Zeit.

Jährliche Verhandlung – ein Praxisbeispiel

Ob der Maßnahmenvollzug fortzusetzen ist, hat das Gericht jedes Jahr zu entscheiden. Das aus einem Drei-Richter-Senat bestehende Gericht begibt sich dafür in die Justizanstalt, wo in einem Abstand von zehn Minuten die Verhandlungen stattfinden. Ich gab dem vorsitzenden Richter einen Tag vorher bekannt, dass ich als Vertrauensperson anwesend sein werde, worauf dieser erklärte, dass kein Anspruch bestehe, eine Vertrauensperson beizuziehen. Ich bin anderer Auffassung, aber es ist die vorherrschende Meinung, und ich hielt es nicht für sinnvoll, grundsätzliche Rechtsfragen zu erörtern. Ich begab mich dennoch am nächsten Tag zu der Justizanstalt, wo ich zu meiner Überraschung am Eingangstor nicht abgewiesen wurde, als ich den Grund meines Kommens angab.

Kurz darauf erschien der Verteidiger. Ich kam mit ihm ins Gespräch, und es stellte sich heraus, dass er die Stellungnahme der Justizanstalt, die ja die wesentliche Entscheidungsgrundlage darstellt, nicht kannte. Sie war ihm nicht zugestellt worden. Im Gang vor dem Verhandlungssaal trafen wir auf seinen Mandanten, der ebenfalls von einer Stellungnahme der Justizanstalt nichts wusste. Es erfolgte der Aufruf zur Verhandlung. Der vorsitzende Richter zeigte sich gnädig und sprach sich nicht gegen meine Anwesenheit aus. Ein Vertreter der Anstalt trug die Stellungnahme vor.

In dieser wird ausführlich geschildert, dass sich die "Medikamentencompliance" anfangs schwierig gestaltet habe, der Untergebrachte die Depotmedikation abgelehnt habe, aber derzeit Depotmedikation und orale Medikation dulde. Wie man ihn dazu gebracht hat, wurde nicht ausgeführt. Es liegt die Vermutung nahe, dass man ihm, wie üblich, angedroht hat, dass er sonst nicht entlassen werde, was gemäß einer Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011 als unzulässige Zwangsmaßnahme anzusehen ist. In der Stellungnahme wird außerdem ausführlich auf seine Charaktereigenschaften eingegangen sowie sein Verhalten in der Haft geschildert. Zuletzt wird erklärt, dass eine Entlassung aus der Justizanstalt derzeit nicht empfohlen werde. Daraufhin fragte der Vorsitzende den Untergebrachten, was er dazu sage. Er sagte nichts, was vermutlich nicht das Dümmste war. Wie nicht anders zu erwarten war, wurde die weitere Anhaltung im Maßnahmenvollzug beschlossen.

Allgemeine Verfahrensgrundsätze

Man möge sich folgendes Szenario vorstellen: Ein Angeklagter wird in den Verhandlungssaal gebracht. Die dem Angeklagten und seinem Verteidiger bis dato unbekannte Anklage wird verlesen. Dann fragt der Richter den Angeklagten, was er dazu sage. Der sagt nichts. Sein Verteidiger sagt auch nichts. Dann wird verhandelt und das Urteil gefällt.

Zwar geht es bei der hier geschilderten Verhandlung nicht um die Frage, ob jemand wegen einer Straftat verurteilt wird, aber es geht um ein weiteres Jahr Gefängnis. Ein Jahr ohne Freunde, ein Jahr ohne Familie und ein Jahr zwangsweiser Verabreichung von Injektionen, von denen man, wie ein Betroffener es ausgedrückt hat, dick und dumm und impotent wird.

Es scheint mir eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass auch bei diesem Verfahren die allgemeinen Verfahrensgrundsätze wie das Gebot der Waffengleichheit, rechtliches Gehör, Recht auf Akteneinsicht et cetera zu beachten sind. Ohne diese Verfahrensgarantien gleicht die Verhandlung einem standrechtlichen Geheimverfahren.

Fortschritt: Anwesenheit eines Verteidigers

Einen erheblichen Fortschritt stellt allerdings der Umstand dar, dass der Untergebrachte sich von einem Verteidiger vertreten lassen darf. Hat doch das Oberlandesgericht Wien vor nicht allzu langer Zeit entschieden, dass zwar ein Verteidiger anwesend sein darf, dieser sich aber weder an der Vernehmung beteiligen dürfe noch ein Schlusswort habe. Diese Auffassung hat sich erfreulicherweise nicht durchgesetzt. Der Verteidiger darf das Wort ergreifen, was jedoch wenig hilfreich ist, wenn er nicht weiß, was die Entscheidungsgrundlagen des Gerichts sind.

Da es kein Gesetz gibt, das das Verfahren regelt, in dem über die Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug entschieden wird – es wird lediglich die sinngemäße Anwendung des Gesetzes über die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug angeordnet, was jedoch keinen Sinn ergibt, da es dort um etwas anderes geht –, kann er es auch nicht wissen, außer er war schon einmal bei einer solchen Verhandlung, was bei den meisten nicht der Fall ist. Da alle Rechtsanwälte als Verfahrenshelfer zugeteilt werden, egal auf welchem Gebiet sie tätig sind, ist die Wahrscheinlichkeit groß, eine Person zugeteilt zu bekommen, die noch nie bei so einer Verhandlung war und sich auch mangels Vorliegens einer gesetzlichen Regelung nicht informieren kann.

Unzumutbare Verschlechterung

In dem vorliegenden Entwurf wird das Recht auf eine Verteidigung wieder extrem eingeschränkt. So soll ein zurechnungsunfähiger Untergebrachter erst eine Verteidigung bekommen, wenn die Unterbringung mehr als drei Jahre gedauert hat, und der Zurechnungsfähige, der ja zusätzlich zu der Maßnahme noch eine Strafe bekommt, erst nach Verbüßung der Strafe. Das stellt eine völlig unzumutbare Verschlechterung dar und ist abzulehnen.

Dass die Einhaltung der allgemeinen Verfahrensgrundsätze eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint, mag wohl auch der Grund dafür sein, dass in dem vom Justizminister vorgelegten Expertenentwurf "Zukunft: Maßnahmenvollzug" nicht gefordert wird, dass sämtliche Bezug habenden Schriftstücke vor der Verhandlung dem Betroffenen und seinem Verteidiger zugestellt werden. Und zwar so rechtzeitig, dass der Untergebrachte auf den Inhalt eingehen und eine Replik vorbereiten kann.

Vielleicht wäre es doch sinnvoll gewesen, Betroffene bei der Entstehung dieses Expertenentwurfs einzubinden und diese überdies nicht explizit auszuladen, als sie an der kürzlich abgehaltenen Konferenz zur Umsetzung eines modernen Maßnahmenvollzugs ihre Teilnahme angekündigt hatten. (Katharina Rueprecht, 4.8.2017)