Grenzgebiet Spielfeld im November 2015. Doch auch heute noch kommen viele Flüchtlinge über die Balkanroute nach Österreich.

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Wien – Die sogenannte Balkanroute für Flüchtlinge gilt seit Monaten als geschlossen. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat die Sperre der Route als Erfolg für sich reklamiert. Nach Vorliegen aktueller Asyldaten lässt sich eine "Totalsperre" der Balkanroute allerdings nicht nachvollziehen.

Am Grenzübergang zur Steiermark etwa, wo 2015 der Großteil der Flüchtlinge nach Österreich einreiste, zählt die Exekutive nach wie vor täglich ankommende Menschen. "Sie kommen allein, zu Fuß oder in Autos von Schleppern. Es sind meist Flüchtlinge aus Afghanistan", sagt Polizeisprecher Fritz Grundnig.

In Summe seien bundesweit im ersten Halbjahr 2017 rund 16.000 "Aufgriffe" registriert worden, davon stellten 12.000 Personen Asylanträge, heißt es auf Anfrage des STANDARD im Innenministerium. Verglichen mit den ersten sechs Monaten im "Flüchtlingsjahr 2015" bedeutet dies ein Drittel der damaligen Asylanträge.

Ein großer Teil der Flüchtlinge sei auch aktuell über die alte Balkanroute eingereist, heißt es. Über diese Wegstrecke kämen nach wie vor wesentlich mehr Menschen ins Land als über die jetzt von Außenminister Kurz ins Visier genommene Mittelmeerroute. Die Aufgriffe seien an sich verteilt im ganzen Bundesgebiet. Über den jetzt in Diskussion stehenden Brenner sind im ersten Halbjahr 4.000 Flüchtlinge eingereist. Sie seien zum Teil direkt beim Grenzübertritt aufgegriffen worden oder nachdem sie von Deutschland nach Österreich zurückgeschickt worden waren. Über den Brenner sei also in diesem Jahr bisher ein Viertel der registrierten Flüchtlinge eingereist, heißt es im Innenministerium.

"Keine Nullzuwanderung"

Das zweitstärkste Bundesland, was aktuelle Flüchtlingszahlen anbelangt, sei Wien mit 3.000 neuen Flüchtlingen im Halbjahr. Wobei auch hier die meisten wohl über die alte Balkanroute eingereist seien.

Außenminister und ÖVP-Chef Sebastian Kurz will sich zu diesen Zahlen nicht ausführlich äußern, räumt im STANDARD-Gespräch aber ein, dass eine "totale Sperre" der Balkanroute "natürlich" nicht möglich sei und "natürlich" nach wie vor vereinzelt Flüchtlinge über die alte Route nach Österreich kämen. Der große Ansturm sei aber gestoppt worden, sagt Kurz.

"Sicher, im März 2016 ist der staatliche Transport von Flüchtlingen Richtung Norden beendet worden. Aber das heißt nicht, dass niemand unterwegs ist. Eine Nullzuwanderung hat es noch nirgendwo gegeben", erläutert Innenministeriumssprecher Karl-Heinz Grundböck.

Das deutsche "Handelsblatt" zitierte kürzlich einen Bericht des dortigen Bundesinnenministeriums, wonach im ersten Halbjahr 2017 knapp 90.400 Asylsuchende registriert worden seien. Die meisten seien immer noch über einen Weg gekommen, "der eigentlich versperrt sein sollte – die Balkanroute".

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Zu diesem doch beträchtlichen Gap zwischen den Angaben der österreichischen Behörde, die ja von 16.000 Aufgriffen beziehungsweise 12.000 Asylanträgen spricht, und den Zahlen aus Deutschland meint Grundböck: "Da wäre ich sehr vorsichtig mit einer so simplen Zuordnung, was einzelne Routen betrifft. Wir wissen, dass es zwei Hauptrouten gibt, die Balkan- und die Mittelmeerroute, es gibt aber auch abseits viele individuelle Wege, die Menschen suchen, um zu ihren Zielländern zu kommen. Und dabei Österreich auch umgehen."

Sobotka: Neue Kontrollen

Unterdessen hat Innenminister Wolfgang Sobotka "zur Bekämpfung illegaler Migration" groß angelegte Schwerpunktkontrollen im Grenzbereich angeordnet. Vorgesehen sei dabei auch eine "Intensivierung des Assistenzeinsatzes durch das Bundesheer". Sobotka argumentierte die Aktion in einer Aussendung damit, dass es "zu vermehrten Aufgriffen größerer Gruppen von illegalen Migranten" gekommen sei. Ziel sei es, "die illegale Migration stetig zu verringern", sagte der Innenminister. (Walter Müller, 10.8.2017)