Graz – Archäologen haben im Grazer Stadtgebiet im Stadtbezirk Liebenau Relikte des ehemals größten NS-Zwangsarbeiterlagers entdeckt. Die Wissenschafter sind im Vorfeld einer geplanten Verlegung von Heimgärten, die durch den Bau des Murkraftwerkes notwendig wird, auf Fundamente etlicher Baracken gestoßen. Insgesamt wurde eine rund 3.300 Quadratmeter große Fläche untersucht und freigelegt.

ORF

"Bis zu 5.000 Zwangsarbeiter gleichzeitig waren in den Baracken zwischen 1943 und Kriegsende untergebracht, etliche dürften dort auch ihren Tod gefunden haben", schilderte Grabungsleiter Gerald Fuchs vom Archäologenteam Argis. Das Team wurde vorausschauend zur Untersuchung eines mehr als 3.000 Quadratmeter großen Geländes am Ostufer der Mur gerufen, von dem bekannt ist, dass sich dort in der NS-Zeit das größte Zwangsarbeiterlager im Grazer Stadtgebiet befunden hat. Das Bundesdenkmalamt ist die zuständige Kontrollinstanz.

Fundamente, Straßen, Stacheldraht

"Wir wurden vor rund einem Monat gerufen. Es hat sich schnell herausgestellt, dass die Baracken-Fundamente zum Großteil noch vorhanden sind", bestätigte Fuchs einen Bericht von ORF Steiermark. "Daneben sind wir nur knapp unter der bisherigen Humusschicht auf zwei geschotterte Straßen, das Fundament eines Fahnenmasts und ein Zaunfundament mit Resten von Stacheldraht sowie eine Fettabscheideranlage gestoßen", führte er an. Menschliche Überreste habe man nicht gefunden und auch nicht erwartet, "jedoch dort, wo es am Rande des Lagers Gräben gab oder Bombentrichter entstanden sind, sind sie nicht auszuschließen", betonte Fuchs.

Die entdeckten Baracken – sie sind fast 30 Meter lang – dürften zum Großteil als Mannschaftsbaracken gedient haben. "Die Bauweise war denkbar einfach. Sie wurden aus vorfabrizierten Holzelementen zusammengestellt", so der Archäologe. Am Donnerstag wollte man noch Luftbildaufnahmen mittels Drohne machen. Interessant dürfte auch noch der Inhalt einer historischen Abfallgrube sein. "Spätestens Mitte der nächsten Woche" dürften laut Fuchs die Untersuchungen jedoch abgeschlossen sein. Dann wird auch geklärt, was mit und auf den freigelegten Flächen passiert.

Vergessener Komplex

Laut Fuchs sind heute rund 50 bis 60 Prozent der Anlage verbaut. Bis vor wenigen Jahren kannten viele Anrainer die Geschichte des Ortes nicht. Noch mehr war in Vergessenheit geraten, dass der Komplex auch eine Station der ungarischen Juden auf den Todesmärschen vom "Südostwallbau" im Grenzraum zu Ungarn war – mindestens 35 von ihnen wurden dort erschossen. Die Geschichte hat Barbara Stelzl-Marx vom Grazer Institut für Kriegsfolgenforschung aufgearbeitet und 2013 publiziert.

In Graz wurden 1942 bis 1945 Tausende Menschen als Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in verschiedenen Wirtschaftsbereichen als billige Arbeitskräfte eingesetzt. Untergebracht waren sie in mehreren Lagern. Im Lager Graz-Liebenau waren seit spätestens 1942 Zwangsarbeiter untergebracht. Seit März 1943 ist in den Akten auch von einem "Frauenarbeitslager" bzw. "Zivilarbeiterlager", die beide zum Steyr-Daimler-Puch-Werk gehörten, die Rede, hat Stelzl-Marx erhoben. Zwischen 1943 bis Kriegsende starben im Lager etwa 70 ausländische Zwangsarbeiter: Sie stammten vor allem aus der Sowjetunion, Frankreich und Italien. Auch Selbstmorde und Hinrichtungen waren darunter.

Arbeitslager wurde zu Flüchtlingslager

Im März 1945 wurden bei Bombardements einige der insgesamt 190 Baracken zerstört. Nach der Befreiung der Kriegsgefangenen im Frühjahr 1945 diente die Einrichtung, die im Jahr 1940 ursprünglich für umgesiedelte Volksdeutsche errichtet worden war, als Flüchtlingslager, schilderte Fuchs. Dann sind die Baracken zerstört und teilweise überbaut worden. Jahrzehnte später wurde am nördlichen Ende des Lagers ein Skaterpark angelegt. Dieser wurde wieder stillgelegt. Ein Teil der Fläche, die sich im Besitz der GBG Gebäude- und Baumanagement Graz GmbH befindet, sollte in Zukunft als Ausgleichsfläche für einige Heimgärten dienen, die dem Bau des Murkraftwerkes weichen mussten, wie Fuchs erläuterte.

"Wenn die Gartenhäuschen gebaut werden, dann sollten sie so platziert werden, dass möglichst wenig der historischen Fläche zerstört wird", wünschte sich der Archäologe. Bereits im März dieses Jahres haben Relikte des Lagers für eine Unterbrechung des Baus eines Jugendzentrums geführt: Damals war man auf einen Luftschutzgang des einstigen Lagers gestoßen. Das Bundesdenkmalamt hat diesen nunmehr unter Denkmalschutz gestellt, wie Fuchs berichtete. (APA, red, 10.8.2017)