Angeblich mutiger, angeblich fauler, liest angeblich nicht so gerne wie ein Mädchen und redet auch nicht so gern: Das Buben-Stereotyp.

Die Liste an Unterschieden, die es im Mittel zwischen Frauen und Männern gibt, ist lang. Sie liegen in den Interessen, in der Wahl der Berufe, im Einkommen, in den Positionen und vielem mehr. Geschlechtsunterschiede gibt es nicht nur bei Erwachsenen, sondern sie sind bereits ab den ersten Lebensjahren zu beobachten.

Mädchen sind im Durchschnitt in sprachlichen Bereichen besser, sind fleißig und lesen mehr als Buben. Diese wiederum zeigen im Mittel mehr Interesse und Können in Mathematik, Naturwissenschaften und Technik, sind jedoch gleichzeitig oft fauler als Mädchen.

Unhinterfragt

Viele Menschen nehmen diese Unterschiede als gegeben hin. "Frauen haben eben andere Interessen und Begabungen als Männer." Wie die umfangreiche einschlägige Forschung zeigt, ist dies jedoch keineswegs der Fall. Vielmehr bringen wir Buben und Mädchen durch die Verstärkung von geschlechtskonformem Verhalten dazu, dass sie Rollen im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung übernehmen. Grund dafür ist, dass wir in der Gesellschaft, zumeist unbewusst, unterschiedliche Erwartungen gegenüber Buben und Mädchen haben, was in der Wissenschaft als Geschlechtsstereotype bezeichnet wird.

Das sind übereinstimmende Meinungen darüber, wie sich ein Bub, wie sich ein Mädchen, ein Mann, eine Frau verhält und verhalten sollte. Sie enthalten damit eine beschreibende Komponente ("wie sich Männer und Frauen verhalten") und eine vorschreibende Komponente ("wie sie sich verhalten sollten"). Gemäß diesen stereotypen Meinungen sind Buben und Männer durchsetzungsfähiger und streben nach Führung, Mädchen und Frauen dagegen fürsorglicher und kommunikativer.

Damit werden die Menschen nach einem Merkmal von vielen, nämlich dem Geschlecht, in zwei Kategorien eingeteilt; es steht nicht die Individualität des Menschen im Vordergrund. Vergessen wird dabei, dass es innerhalb der Geschlechter massive Unterschiede gibt. Nicht alle Mädchen sind fleißig, lesen gerne und interessieren sich für Sprachen; nicht alle Buben sind faul und interessieren sich für Technik.

Schon Babys werden so geformt

Geschlechtsstereotype beeinflussen das Verhalten von Erwachsenen bereits gegenüber Säuglingen. Mit einem blau angezogenen Säugling wird wilder gespielt als mit einem rosa angezogenen Säugling; mit dem wird dafür mehr gesprochen. Auf Kinderspielplätzen werden Mädchen (speziell von den Vätern) mehr behütet als Buben, die eher ermutigt werden, sich etwas zu trauen.

Eine besondere Rolle kommt dem Kinderspielzeug zu. Wie wir in einer aktuellen Studie feststellen konnten, kaufen auch egalitär eingestellte Eltern ihren Kindern häufiger Spielzeug, das den Geschlechtsstereotypen entspricht, und beteiligen sich auch häufiger beim Spielen damit, was wiederum Lerneffekte hat, die sich auf die Schulkarriere auswirken. Während das Spielen mit Puppen mehr das Sozialverhalten fördert, lernen Buben mit Bauklötzen räumliches Vorstellungsvermögen. Die Spielzeugindustrie trägt durch extreme Genderisierung von Spielzeug ihren Teil dazu bei, aber auch Medien und weitere Bezugspersonen.

Die Geschlechtsstereotype zeigen ihre Wirkung auch im Schulalter. Sowohl Eltern als auch Lehrpersonen gehen davon aus, dass Mädchen begabter in Sprachen und Buben begabter in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern sind. Bei einer guten Note in Mathematik nehmen sie bei Mädchen daher primär an, dass diese viel gelernt haben oder Unterstützung beziehungsweise Glück hatten. Schlechte Noten führen sie umgekehrt eher auf mangelnde Begabung zurück. Bei Buben ist es genau umgekehrt.

Diese Reaktion haben wir in einer neuen Studie bereits bei Lehramtsstudierenden beobachtet. Daher werden in der Schule bei Experimenten in Physik oder in Chemie auch die Buben viel häufiger drangenommen als die Mädchen. Dieses Verhalten der Lehrkräfte führt dazu, dass die Buben eine höhere Expertise in diesen Fächern erwerben können und damit auch ein größeres Selbstvertrauen. Wenn die Mädchen dagegen "geschont" werden, weil die Lehrkräfte glauben, diese Fächer lägen den Mädchen nicht, dann haben diese gar keine Chance, es zu erproben und ein entsprechendes Selbstvertrauen zu entwickeln.

Der Druck auf Buben, sich geschlechtsstereotyp zu verhalten, ist jedoch noch deutlich größer als auf Mädchen. Bei Mädchen wird es z. B. viel eher akzeptiert, wenn sie mit einem Auto, einer Lokomotive oder anderem "Bubenspielzeug" spielen, als wenn Buben mit Puppen spielen oder sich in einem Spiel schminken und schmücken. Auch Weinen wird bei Buben nicht so gerne gesehen, speziell von den Vätern.

So fängt's an und geht weiter

Das Erleben von Geschlechtsstereotypen zieht sich durch die Biografien und führt – ganz im Sinne des Spruchs "Steter Tropfen höhlt den Stein" – zu entsprechenden Wirkungen. Mädchen bzw. Frauen mangelt es im Mittel an Selbstvertrauen, sie meiden eher naturwissenschaftliche Fächer und Berufe, obwohl sie vielleicht eine Begabung dafür hätten, sie meiden herausfordernde Situationen. Sie haben auch seltener Führungspositionen inne mit entsprechend negativen Konsequenzen für Gehalt oder Einkommen. Buben wieder ergreifen seltener pädagogische oder soziale Berufe wie z. B. Kindergartenpädagoge, obwohl diese sie möglicherweise interessieren.

Das Stereotyp, faul und damit keinesfalls ein Streber sein zu dürfen, kann insbesondere bei weniger begabten und von zu Hause kaum geförderten Buben fatale Konsequenzen haben. Sie schließen zu einem beträchtlichen Prozentsatz die Pflichtschule nicht erfolgreich ab, finden keinen Lehrplatz und stellen damit die größte Gruppe an Arbeitslosen, wie aktuelle Daten des AMS zeigen.

Geschlechtsstereotype haben somit Nachteile für beide Geschlechter, denn sie bedeuten Einschränkungen von Interessen und Handlungsmöglichkeiten. Daher gilt es, sie zu bekämpfen. Ein erster wichtiger Schritt dazu ist es, sein eigenes Verhalten dahingehend zu reflektieren, inwieweit man selbst (unbewusst) geschlechtskonformes Verhalten befördert. (Christiane Spiel, 15.8.2017)