Jubiläum: Die Worldcon fand heuer zum 75. Mal statt, Schauplatz war Helsinki.

Logo: Hugo Awards

Helsinki – Hach ja, Science Fiction und Technik ... das geht in der Alltagspraxis oft nicht so gut zusammen, wie man es von einem per se technophilen Genre erwarten würde. Zum ersten Mal seit langem fand heuer die World Science Fiction Convention samt Verleihung der Hugo Awards für die besten SF- und Fantasywerke des Jahres nicht nur außerhalb der USA, sondern sogar außerhalb der englischsprachigen Welt statt. Und dann funktionierte der Videostream aus Helsinki nicht. Tausende vorwiegend US-amerikanische Fans, die die Reise ins ferne Finnland gescheut hatten, mussten sich mit den mageren Tweets und Textfeeds begnügen, die als einziges aus dem Saal der Gala drangen.

Allerdings haben technische Pannen beim Jahreshauptfest der SF-Community bereits eine gewisse Tradition: Besonders originell war das Malheur von 2012, als der Stream von einem automatischen System zur Erkennung von Copyright-Verletzungen abgebrochen wurde. Die Software war angesprungen, als ein kurzer Ausschnitt aus jener TV-Serie gezeigt wurde, die gerade einen Hugo gewonnen hatte. Das war ausdrücklich erlaubt, was aber die künstliche Intelligenz kalt ließ. Man mag sich die Aufregung kaum ausmalen, wenn so etwas bei der Oscar-Gala geschähe ...

Bester Roman

Zum zweiten Mal hintereinander siegreich: N. K. Jemisin.
Fotos: Eugene C. Myers und Orbit Books

Die Preisträger werden durch Online-Abstimmung unter den Fans gewählt – über 3.300 ließen sich heuer für die Teilnahme registrieren. Und sie setzten den Trend extremer weiblicher Dominanz der vergangenen Jahre nahtlos fort: Sämtliche an Einzelpersonen vergebenen Hugos gingen an Frauen. In der Kategorie bester Roman, der traditionell das Hauptaugenmerk gilt, konnte die US-amerikanische Autorin N.K. Jemisin sogar den zweiten Treffer in Folge landen. 2016 gewann sie den Hugo für "The Fifth Season", nun wiederholte sie dies mit dessen Fortsetzung "The Obelisk Gate".

Die beiden Fantasy-Romane gehören zur "Broken Earth"-Reihe um eine Welt, die in einem Zyklus von verheerenden Katastrophen und Erholungsphasen steckt, in denen sich die Natur an die neuen Bedingungen anpasst und die Menschen vor neue Herausforderungen stellt. Zugleich sind die Menschen für die wiederkehrenden Katastrophen selbst verantwortlich – genauer gesagt ein Teil von ihnen, der mit einem besonderen genetischen Erbe ausgestattet ist, durch das sie buchstäblich die Erde erschüttern können. Ins Deutsche ist Jemisins Reihe bislang nicht übersetzt worden, im Original erscheint der dritte Teil bereits kommende Woche: die Chance auf einen Hugo-Hattrick im nächsten Jahr.

Bester Film und beste TV-Serie

Während SF und Fantasy auf dem Buchmarkt ein Nischendasein führen, sind sie in Kino und Fernsehen Mainstream. Wie groß diese Kluft ist, illustrierten sehr schön die Reaktionen auf die heurigen Nebula Awards bei uns im Forum: Während die preisgekrönten Bücher weitestgehend unbeachtet blieben, wurde der Siegerfilm "Arrival" eifrig diskutiert. Und "Arrival" hat nun auch den Hugo Award für "Best Dramatic Presentation – Long" erhalten. Damit schlug Denis Villeneuves stille First-Contact-Geschichte den Superheldenklamauk "Deadpool", die Neuauflage der "Ghostbusters", den "Star Wars"-Ableger "Rogue One", das NASA-Biopic "Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen" und die erste Staffel der Mystery-Serie "Stranger Things".

Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz

TV-Serien sind es in der Regel auch, die die Kandidaten für die Kategorie "Best Dramatic Presentation – Short" stellen. Hier war heuer die auf den Romanen von James Corey beruhende SF-Soap "The Expanse" (auf Deutsch auf Netflix zu sehen) erfolgreich. Das Finale der ersten "Expanse"-Staffel schlug "Game of Thrones", "Black Mirror" und den in dieser Kategorie unvermeidlichen, inzwischen dank modifizierter Nominierungsregeln aber eingedämmten "Doctor Who". Engagierte Fans der kindertauglichen britischen SF-Reihe hatten bis vor wenigen Jahren die Kategorie durch Mehrfachnominierungen in schon peinlicher Weise überschwemmt – als gäbe es nicht zahllose andere, originellere und vor allem bedeutend besser gemachte Serien.

Zudem wäre diese Kategorie (siehe die offizielle Bezeichnung) ohnehin wesentlich offener angelegt. Die mögliche Bandbreite ließ heuer ein ungewöhnlicher Kandidat erahnen: "Splendor & Misery" ist weder Kurzfilm noch Netzvideo, sondern ... ein Musikstück. Genauer gesagt ein Konzeptalbum des US-amerikanischen Hiphop-Trios Clipping über Science-Fiction-Themen. Im Kampf der TV-Titanen ging "Splendor & Misery" allerdings unter.

Sub Pop

Zurück zur (Fantasy-)Literatur

Den Preis für die beste Novelle erhielt Seanan McGuires "Every Heart a Doorway" um ein Mädchen und dessen Leidensgenossen, die allesamt eines verbindet: Sie mussten aus einer magischen Fantasywelt in die graue Realität zurückkehren. Zur besten Novellette wurde Ursula Vernons "The Tomato Thief" gekürt, zur besten Kurzgeschichte Amal El-Mohtars "Seasons of Glass and Iron"; beides ebenfalls Fantasygeschichten der eher stillen Art.

An der Schnittstelle von Fantasy und Steampunk respektive von Manga und Jugendstil bewegt sich die Siegerin in der Comic-Kategorie: In "Monstress" zeichnet Marjorie Liu ein alternativweltliches Asien, das gleichermaßen magisch wie matriarchalisch ist. Als bestes Werk aus der Sekundärliteratur wurde "Words Are My Matter" ausgezeichnet, die Lebens- und Genre-Betrachtungen von Ursula K. Le Guin, Grande Dame der Fantasy wie auch der Science Fiction.

Barrayar revisited

Einen dankenswerten Ausgleich zur Fantasydominanz lieferte die heuer probeweise zur Abstimmung stehende Kategorie "Beste Saga" für mehrbändige Werke. Diese Neueinführung war im Vorfeld der Convention durchaus umstritten, wird aber der Marktentwicklung hin zu immer mehr Trilogien und Reihen absolut gerecht.

Hier setzte sich zur Abwechslung mal die SF in Form der längstdienenden aller heuer nominierten Romanreihen durch: nämlich Lois McMaster Bujolds populäre "Miles Vorkosigan Saga", die bereits seit Mitte der 80er Jahre läuft. Auf Deutsch sind die zwischen Agententhriller, Space Opera und aristokratischem Machtpoker angesiedelten Romane eher unter dem Schlagwort "Barrayar" bekannt. Sie erschienen von 1993 bis 2006 bei Heyne, ehe der Verlag leider das Interesse an einer Fortsetzung verlor. Auf Englisch hat es seitdem drei weitere Romane gegeben, der jüngste ("Gentleman Jole and the Red Queen") erschien 2016.

Wartet auf eine Wiederaufnahme in deutscher Sprache: die "Barrayar"-Reihe.
Fotos: Heyne

Auch die meisten anderen Nominierten in dieser Kategorie dürften deutschsprachigen Phantastiklesern gut bekannt sein: Etwa Naomi Noviks Alternativweltreihe "Die Feuerreiter Seiner Majestät" oder die Urban-Fantasy-Serien "Peter Grant" von Ben Aaronovitch und "October Daye" von Seanan McGuire. Dazu kommt James Coreys "Expanse"-Reihe (die Vorlage zur preisgekrönten TV-Serie), die es vor kurzem mit "Babylons Asche" auch schon auf den sechsten Band gebracht hat.

Die Bilanz

Die ersten Reaktionen auf die heurigen Preisvergaben liefen durchaus erwartbar auf ein Lob der gezeigten Diversität hinaus. Das klingt zunächst etwas paradox, wenn man sich das Ergebnis ansieht: Überwiegend Fantasy, rein weiblich und fast ausschließlich US-amerikanisch (mit Amal El-Mohtar als kanadischem Feigen- respektive Ahornblatt). Während allerdings die US-Dominanz die Hugos seit ihrer Gründung begleitet, ist der Triumph der Frauen eine wesentlich jüngere Erscheinung. Und eine ziemlich komplizierte.

Zum einen spiegelt der Trend das Faktum wider, dass in den vergangenen Jahren reihenweise neue Autorinnen ins Genre geströmt sind und es wesentlich mitgeprägt haben – nicht nur die Fantasy, wo Frauen schon länger eine große Rolle spielen, sondern auch die Science Fiction. Aber das ist es wohl nicht allein.

Grüße aus dem fiktiven Matriarchat: Marjorie Lius "Monstress".
Foto: Image Comics

Zum anderen dürfte auch eine starke Gegenreaktion auf Trends der Vergangenheit im Spiel sein: Lange Zeit gab es bei den Hugo Awards eine vergleichbar starke männliche Dominanz, dazu kamen 2015 Angriffe konservativer Autoren- und Fangruppen (sowie einer Trollbrigade um einen geltungssüchtigen Kleinverleger vom rechten Rand), die die Nominierungslisten durch Blockabstimmung de facto kaperten.

Die daraufhin explodierende Kontroverse geriet zu einem im Ton unterirdischen und schwer aufzulösenden Gebräu aus ideologischen Konflikten, wirtschaftlichen Interessen und persönlichen Eifersüchteleien. Das Genderthema war in diesem jahrelangen Getümmel zwar bei weitem nicht der einzige Zankapfel, aber der, um den die meiste Aufregung herrschte.

Gegenwart und Zukunft

Die Hugo Awards konnten sich der Angriffe erwehren, indem sie das Nominierungssystem so modifizierten, dass eine geschlossen agierende Minderheit nicht mehr den Rest dominieren kann. Das Lager, das mit der Entwicklung der Hugo Awards nicht einverstanden war, hat sich inzwischen teilweise aufgelöst respektive den 2016 neugegründeten Dragon Awards zugewandt.

Und die von Fans gewählten Hugo Awards stehen wieder wie früher in weitgehendem Einklang mit den Nebula Awards, die von den Science Fiction and Fantasy Writers of America vergeben werden. Dass sich bei beiden aktuell die Preisträgerinnen die Klinke in die Hand geben, kann vor diesem Hintergrund nicht überraschen: Auf eine extreme Aktion folgt eine extreme Gegenreaktion. Irgendwann wird Diversität dann vielleicht endlich so selbstverständlich sein, dass es zu keinen derart massiven demografischen Ungleichgewichten mehr kommt.

Ein Stream, ein Stream, ein magisches Königreich für einen Stream!
Foto: Screenshot

... außer was die US-Dominanz betrifft, die wird vermutlich nie abgebaut werden. Passend dazu wird die Worldcon im nächsten Jahr im kalifornischen San Jose stattfinden, zur großen Erleichterung der amerikanischen Fans. Für den Rest der Welt gibt es hoffentlich einen funktionierenden Livestream. (Josefson, 12. 8. 2017)